Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. BILATERALE BEZIEHUNGEN
8. Frankreich
8.2. Handelsvertragsverhandlungen
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 5, Dok. 115
volume linkBern 1983
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E13#1000/38#177* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 13(-)1000/38 39 | |
Dossiertitel | Korrespondenz des Handelsdepartements mit der Schweizer Gesandtschaft in Paris und der schweizerischen Handelsvertrags-Delegation in Paris (1906–1906) |
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E13#1000/38#178* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 13(-)1000/38 39 | |
Dossiertitel | Eingaben von Handels- und Industrievereinen, Handelskammern, Industriellen, Fabrikbesitzern, kleineren Firmen, schweizerischen Regierungsvertretern etc. an das Handelsdepartement und Auskunftsbegehren des Departements von denselben betr. den französischen Tarif; Korrespondenz des Handelsdepartements mit der Zürcherischen Seidenindustrie-Gesellschaft betr. Seidenzölle (1905–1906) |
dodis.ch/42970
Nachdem der Handelsvertrag mit Österreich-Ungarn abgeschlossen ist und die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Frankreich unmittelbar bevorsteht, glauben wir Ihnen die Stellungnahme der schweizerischen Seidenstoffweberei zu einem Handelsabkommen mit Frankreich neuerdings vortragen zu sollen und Sie um umfassendste Wahrung unserer Begehren auf das dringendste zu ersuchen3.
Wir fühlen uns um so mehr dazu bewogen, als das Resultat der abgeschlossenen Handelsverträge mit Italien, Deutschland und Österreich-Ungarn, trotz den auf den Seidenzöllen in den beiden erstgenannten Verträgen erreichten Konzessionen, unsere Industrie nicht befriedigt. Die Ermässigungen sind nicht derart, dass durch sie der industriellen Auswanderung vorgebeugt und unserem Verkehr nach diesen Ländern die Ausdehnung und Fortentwicklung gegeben und gesichert würde, die wir im Interesse unserer einheimischen Industrie wünschen müssen.
Dieser Umstand wirkt um so nachteiliger, als auch unser Absatz nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika zusehends quantitativ und qualitativ in Folge der dortigen Schutzzölle und des Erstarkens der amerikanischen Seidenstoffweberei (44000 mechanische Stühle) zurückgeht und sich mehr und mehr nur zum unsicheren Konjunkturgeschäft gestaltet.
Unter solchen Verhältnissen erhält der französische Markt - nach England unser grösstes Absatzgebiet - für uns die höchste Bedeutung. Nicht nur macht unser Absatz nach Frankreich rund einen Fünftel unserer Gesamtproduktion aus, sondern er ist auch derjenige, der direkt und indirekt den meisten Wert hat. Paris ist der Handelsplatz von dem heute noch die Mode für die Seidenwaren ausgeht. Die Fühlung mit Paris erschliesst uns die ändern Märkte. Wir können uns keine Illusionen darüber machen, dass wir, vom Parisermarkt abgedrängt, als unabhängige schweizerische Exportindustrie verloren und entweder zur Auswanderung gezwungen, oder zu raschem Verfall verurteilt sein würden.
Die Zollsätze von Fr. 2.- für schwarze und Fr. 2.40 für farbige, ganzseidene Stoffe, wie sie das Handelsabkommen von 1895 enthielt, bedeuten die Grenze der Belastung, wie wir zu ertragen vermögen, um noch auf die Dauer in Paris mit der übermächtigen französischen Seidenindustrie konkurrieren zu können. Jede darüber hinausgehende Erschwerung wird uns vom Parisergeschäft ausschliessen und die erwähnten Folgen nach sich ziehen.
Die Erfahrungen mit dem Zollsatz von Fr. 4.- auf Ganzseidengeweben im Jahre 1892, ganz besonders aber diejenigen seit 1. Januar 1906, lassen zur Genüge erkennen, dass wir bei dieser oder annähernder Belastung in Paris nicht mehr in Wettbewerb treten können. Die Folgen würden heute zudem viel schärfer sein und rascher eintreten, da sich die Verhältnisse gegenüber 1892 wesentlich zu unseren Ungunsten verschoben haben. Nicht nur ist die allgemeine Konkurrenz gewachsen, sondern unsere Produktionskosten steigen aus Ihnen bekannten Gründen derart, dass unsere Lage sowieso stets ungünstiger wird.
Nachdem unsere Forderungen zu den schon abgeschlossenen Verträgen nicht erfüllt worden sind und in allen drei Fällen, unter dem Drucke allgemeiner Beweggründe, unsere äussersten Konzessionen wesentlich überschritten wurden und bei dem Abschluss mit Österreich-Ungarn unsere Proteste kein Gehör mehr fanden, liegen die Verhältnisse mit Frankreich derart, dass wir uns diesmal nicht opfern lassen können und mit der unbedingten Forderung an Sie herantreten müssen, unter keinen Umständen höhere Zollsätze für ganzseidene Gewebe zuzugestehen, als sie das Handelsabkommen von 1895 enthielt.
Es handelt sich in diesem Falle für uns um Sein oder Nichtsein als schweizerische Exportindustrie. Ein Nachgeben ist nicht möglich4. Wir wären gezwungen, uns mit allen gesetzlichen Mitteln gegen den Abschluss eines Vertrages zu wehren, der unsere Lage gegenüber 1895 verschlechtern würde. Die Tatsache, dass in den letzten Monaten die Anbahnung neuer Geschäfte mit Paris fast zur Unmöglichkeit geworden ist, hat zur Folge, dass in unseren Kreisen heute Einstimmigkeit darüber herrscht, dass der Zollkrieg einer Zollerhöhung vorzuziehen wäre!
Mit Bezug auf die notwendig werdende Verlängerung des Provisoriums, erklären wir uns im Interesse der Weiterführung der Verhandlungen bereit, in eine Verlängerung bis längstens 31. Juli 1906 einzuwilligen, in der Meinung jedoch, dass letztere für beide Teile bindend sei und während der Dauer des Provisoriums die der Abmachung zu Grunde liegenden Zollsätze nur dann abgeändert werden dürfen, wenn man sich inzwischen auf günstigere Sätze geeinigt haben sollte.
- 1
- Unterzeichner: A. Rüetschi, G. Siber, R. Stehli-Zweifel.↩
- 2
- Schreiben: E 13 (B)/189.↩
- 3
- Vgl. Nr. 69 und Nr. 97.↩
- 4
- Am 27. April 1906 schrieb Bundesrat Deucher dem schweizerischen Gesandten in Paris: [...] Was die Seidengewebe betrifft, so sind die Herren Delegierten mit Ausnahme von Herrn Dr. Laur sehr entschieden für absolutes Festhalten an 200 und 240, nachdem die Vertreter der Seidenindustrie neuerdings erklärt haben, dass jede Abweichung von diesen Ansätzen einem Verlust des französischen Absatzgebietes gleichkäme (E 13 (B)/187).↩
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