Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. BILATERALE BEZIEHUNGEN
10. Italien
10.2. Handelsvertragsverhandlungen
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 17
volume linkBern 1983
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E13#1000/38#309* | |
Old classification | CH-BAR E 13(-)1000/38 72 | |
Dossier title | Sitzungsberichte der schweizerischen Verhandlungsdelegation in Rom an das Handelsdepartement (1904–1904) |
dodis.ch/42872
In ähnlicher Weise, wie dies Herr Dr. Laur mit Bezug auf seine Unterredung mit Herrn Pantano getan hat3, gestattet sich der ergebenst Unterzeichnete zu berichten über seine Unterhaltung mit Herrn Minister Luzzatti und über seine Verhandlungen mit Herrn Luciolli, die sich tags darauf daran geschlossen haben.
Ich war auf Dienstag den 12. abends in die Wohnung des Herrn Ministers zum Diner geladen, an dem ausser der Familie desselben Herr Luciolli teilnahm. Nach beendigtem Essen stellte sich noch ein Herr Maldifassi, Direktor des Musée commercial in Mailand ein, welcher für die industriellen Fragen der sachverständige Vertrauensmann Herrn Luzzattis zu sein scheint. Man hat in der Tat den Eindruck, er sei gut informiert.
Schon während des Essens sprach Herr Minister Luzzatti von der Situation im allgemeinen, von der Lage, in welche Italien durch die Prätentionen der Schweiz versetzt werde, von der Möglichkeit, sich mit ihr abzufinden. Er sagte, wenn es Herrn Pantano und Herrn Dr. Laur gelinge, sich bezüglich der landwirtschaftlichen Forderungen und Gegenforderungen zu verständigen, so werde er seinerseits Hand bieten zu grossen Konzessionen für die zuckerhaltigen Milchprodukte, Schokolade, Mouchoirs, Stickereien, Seidenwaren und Textilmaschinen. Ich bemerke ausdrücklich, dass Herr Luzzatti von grossen Konzessionen sprach und dass ich insistierte, es müssten auch die dynamo-elektrischen Maschinen mit Konzessionen bedacht werden.
Herr Luzzatti erwähnte neuerdings den ungemein günstigen Eindruck, den Herr Pantano von Herrn Dr. Laur erhalten habe und der eine Verständigung wesentlich erleichtern werde. Auch er selbst stehe unter diesem Eindruck, den er freilich vor der Bekanntschaft mit Herrn Dr. Laur nicht gehabt habe. Letzteres ist nicht verwunderlich, wenn man von Herrn Luzzatti hört, dass zu seiner ganz regelmässigen Lektüre gehören, ausser der Gazette de Lausanne, das Journal de Genève und die von Dr. Müller in Basel redigierte Verbandszeitung der Konsumvereine, und dass ein reger Briefwechsel besteht zwischen dem Minister und Herrn Le Cointe in Genf.
Herr Luzzatti sagte, dass Pantano und er zurzeit die zwei einzigen Männer des Landes sein dürften, denen es gelingen könne, einen Vertrag mit der Schweiz auf der von ihr gezeichneten Basis durchzubringen, deshalb solle man ihn nicht zwingen, mit seinen Zugeständnissen über jene Grenze hinauszugehen, die er für möglich halte. Sollte letzteres geschehen, sollten sich die Interessen der Landwirtschaft des Südens und die der Industrie des Nordens gegen ihn und Pantano verbünden können, so wäre es unmöglich, den Vertrag durchzubringen. Das wäre gleichbedeutend mit seiner Demission, denn er halte den Zollkrieg mit der Schweiz, der dann unabwendbar wäre, für verbrecherische Unvernunft.
Er halte eine Verständigung auf dem landwirtschaftlichen Gebiete für wahrscheinlich, schwieriger werde sie sein auf dem industriellen Gebiet. Und zwar namentlich nicht nur darum, weil die Forderungen der Schweiz an sich masslos seien, sondern weil jedes Zugeständnis an sie in grösserm Umfange dritten Staaten zugute kommen werde. So sei der neue Vertrag, den Italien mit Deutschland abgeschlossen habe, zurzeit gut; die einzige industrielle Konzession, die Italien für industrielle Erzeugnisse an Deutschland gemacht habe, betreffe Velozipede (er sei bereit, mir den Vertrag zu zeigen). Durch jede Erfüllung einer Forderung der Schweiz aber verschlechtere sich auch der Vertrag mit Deutschland und das Verhältnis der italienischen Produktion zu anderen Ländern. Was die Schweiz wolle, sei eine völlige Zerstörung und Vernichtung der italienischen Industrie, die er selbstverständlich nie zugeben könne. Immerhin wiederhole er, dass er zu grossen Konzessionen bereit sei (Sie werden aus den späteren Mitteilungen ersehen, was Herr Minister Luzzatti unter grossen Konzessionen versteht).
Den von seinem Temperament getragenen Äusserungen des Herrn Ministers gegenüber verhielt ich mich ruhig und abwehrend. Ich betonte, dass wir nichts Unbilliges verlangten, dass wir durch Italien und andere Länder zu dem Verhalten gedrängt worden seien, das wir beobachten und in dem wir beharren werden. Es hätte keinen Zweck, auf all die Reden und Gegenreden näher einzugehen.
Zum Schluss fragte mich Herr Minister Luzzatti, ob ich bereit sei, mit Herrn Lucciolli in ähnlicher Weise über die industriellen Positionen zu verhandeln, wie das für die landwirtschaftlichen Positionen zwischen Herrn Pantano und Herrn Dr. Laur geschehen sei. In Hinsicht auf die vielen technischen Details erklärte ich mich hiezu grundsätzlich bereit, betonte jedoch, wir hätten von Anfang an den bestimmten Eindruck gewonnen, die italienische Delegation habe gar keine generellen Vollmachten und sei von Nummer zu Nummer abhängig von den Weisungen des Herrn Ministers. Wenn nun auch Herr Luciolli solche Vollmachten nicht besitze, so hätten unsere Besprechungen kaum einen Wert. Hierauf versicherte mich Herr Luzzatti, Herr Luciolli habe solche Vollmachten, und so wurde denn auf den folgenden Vormittag eine Konferenz verabredet.[...]4
Tags