Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
16. Italie
16.1. Commerce
16.1.3. Traité de commerce de 1904
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 4, doc. 430
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E13#1000/38#301* | |
Old classification | CH-BAR E 13(-)1000/38 70 | |
Dossier title | Korrespondenz des Handelsdepartements mit der Schweizer Gesandtschaft in Rom; Anträge des HD an den Bundesrat; Notizen; Bundesratsbeschlüsse (1903–1903) |
dodis.ch/42840
Le Chef du Département du Commerce, de l’Industrie et de l’Agriculture, L. Forrer, au Conseil fédéral1
Kündung des Handelsvertrages mit Italien
Wir sehen uns veranlasst, dem Bundesrat die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob nicht unser Handelsvertrag mit Italien sofort zu künden sei.
Dieser Vertrag datiert vom 19. April 1892.2 In demselben ist mit Bezug auf die Dauer bestimmt, dass er bis Ende 1903 vollziehbar bleibe, dass aber jeder Teil das Recht habe, ihn auf 1. Januar 1898 zu künden. Der Vertrag erwies sich für uns schon in den ersten Jahren seiner Gültigkeit als wenig vorteilhaft, indem unsere Ausfuhr, insbesondere von Käse und Textilien, beständig zurückging, während die Einfuhr italienischer Erzeugnisse immer grössere Dimensionen annahm. Es wurde deshalb seinerzeit nicht ermangelt, die Frage der Kündigung auf 1. Januar 1898 zu prüfen, doch gelangte der Bundesrat auf Antrag des Handelsdepartements, welches sich im Einverständnis mit dem Schweizerischen Handels- und Industrie-Verein befand, zur Verneinung der Frage, weil die Möglichkeit, einen günstigeren neuen Vertrag abzuschliessen, höchst zweifelhaft erschien und man sich, unter dem frischen Eindruck des Zollkrieges mit Frankreich, nicht der Gefahr eines neuen Konflikts aussetzen wollte.
Seit Anfang dieses Jahres kann nun der Vertrag jeden Tag auf 12 Monate gekündet werden. Die Frage der Kündung drängt sich deshalb von neuem auf, umsomehr als der neue Zolltarif vom Volke angenommen worden ist und unser Handelsverkehr mit Italien sich seit dem Kündungstermin von 1898 noch ungünstiger gestaltet hat. Wir sind der Ansicht, dass eine Beschlussfassung nicht weiter zu verschieben sei und legen dem Bundesrate hiemit unsere Erwägungen und Anträge vor.
Über unsern Verkehr mit Italien orientiert zunächst die beiliegende Übersicht.3
Aus derselben geht folgendes hervor:
1. Unsere Gesamtausfuhr nach Italien betrug im Jahre 1902 rund 51 Millionen Fr., unsere Einfuhr aus diesem Lande hingegen 3 1/2 mal so viel, nämlich 175 Millionen Fr. Hierin figuriert Rohseide allein mit 105 Millionen Fr. Diesen Rohstoff müssen wir haben. Bringen wir denselben in Abzug, so enfällt auf die übrigen Artikel, die wir im Notfälle aus Frankreich und Spanien, Deutschland und Österreich-Ungarn beziehen könnten, immer noch ein Betrag von 70 Millionen Fr., worunter Vieh mit ca. 20 Millionen, Wein und Keltertrauben mit 8 Millionen, Eier mit 4 Millionen, Südfrüchte, Geflügel und Butter mit je 2 bis 3 Millionen, sogar italienischer Käse mit 1,4 Millionen Fr.
Es stehen also, selbst wenn wir Seide abrechnen, 70 Millionen Franken Einfuhr gegen nur 51 Millionen Franken Ausfuhr. Die grössere Summe von Interessen liegt auf der Seite von Italien.
2. Unsere Einfuhr aus Italien hat seit 1892 um 40 Millionen, unsere Ausfuhr hingegen nur um 5 Millionen Franken zugenommen. Greifen wir auf 1896 zurück, so ergibt sich sogar, dass letztere um 10 Millionen Franken abgenommen hat, während sich die Zunahme der Einfuhr aus Italien, von jenem Jahre an gerechnet, auf 61 Millionen Franken beziffert.
Die Zunahme unserer Ausfuhr seit 1892 entfällt in der Hauptsache auf Uhren (7,6 gegen 5,0 Millionen Franken), Maschinen (7,5 gegen 3,6 Millionen Franken), und Chocolade (2,6 gegen 0,4 Millionen Franken). Mit Bezug auf Käse und Baumwollgewebe ist hingegen ein grosser und konstanter Rückgang zu verzeichnen. Die Käseausfuhr hat um die Hälfte abgenommen (von 9,9 auf 4,5 Millionen), diejenige der Baumwollgewebe, die im Jahre 1886 noch 7,8 Millionen, und im Jahre 1892 noch 4,6 Millionen Franken betrug, ist auf 1,2 Millionen Franken gefallen. Unsere Baumwollweber betrachten den italienischen Markt als so gut wie gänzlich verloren und unsere Baumwolldrucker erhoffen nur noch von ganz weitgehenden Zollermässigungen die Möglichkeit einer ferneren, auch dann noch mühsamen Konkurrenz mit der italienischen Industrie. In den Kreisen der Landwirtschaft wird übereinstimmend erklärt, dass bei der grossartigen Entwicklung der Milchwirtschaft und besonders der Käseproduktion in Italien eine weitere Abnahme, wenn nicht der gänzliche Verlust unseres Käseabsatzes, unvermeidlich sei, dass zwar das möglichste getan werden sollte, die Abnahme durch Erwirkung einer starken Zollermässigung zu verlangsamen, in der Hauptsache aber danach getrachtet werden müsse, uns in Zukunft gegen die Einfuhr von Käse aus Italienzu schützen, dieselbe hat, wie schon erwähnt, bereits den Betrag von 1,4 Millionen Fr. erreicht und begreift nicht nur spezifisch italienische Sorten, sondern zum grossen Teil imitierten Emmenthalerkäse in sich.
Die Situation ist (heute) mit Bezug auf diejenigen Artikel, die bis jetzt beim Abschluss von Verträgen mit Italien ausschlaggebend waren, fast völlig umgewandelt. Gegen Zollerleichterungen zugunsten von Käse, Zuchtvieh und Baumwollwaren setzten wir jeweilen unsere Zölle für Wein und Schlachtvieh etc. auf das niedrigste, mit unsern Finanzen noch verträgliche Mass herab. Seit aber dieser Export auf den Betrag von wenigen Millionen zurückgegangen ist und ein weiterer Rückgang aus Gründen, die nicht nur in den Zöllen, sondern auch in den natürlichen Vorteilen liegen, die Italien seiner Industrie zu bieten vermag, unaufhaltsam ist, so können wir in Zukunft, auch wenn sie noch so bedeutend wären, Zollkonzessionen Italiens nicht mehr den Wert beimessen, den sie früher gehabt hätten. Unsere Landwirtschaft ist daher selbst für den Fall, dass unsere Forderungen mit Bezug auf Käse, Vieh etc. ganz bewilligt würden, nicht mehr geneigt, für die Einfuhr von Wein und Schlachtvieh, etc. auf die jetzigen Vertragszölle zurückzugehen.
Wohl haben wir eine erhebliche Mehrausfuhr von Maschinen, Uhren, Chocolade und minder wichtigen Artikeln zu verzeichnen. Mit Bezug auf das Risiko im Falle einer Kündung des Vertrages und die Eventualität eines Zollkrieges ist jedoch zu bemerken, dass die Einfuhr von Uhren in Italien aus bekannten Gründen nur erschwert, nicht verhindert werden könnte und dass, was die Maschinen betrifft, es sich zum grossen Teil um solche handelt, welche die italienische Industrie von uns beziehen muss.
Bei den früheren Handelsvertragsunterhandlungen mit Italien pflegte das Gefühl der Abhängigkeit vom Entgegenkommen des ändern Teils auf unserer Seite zu sein. Bei den nächsten Unterhandlungen wird es sich eher umgekehrt verhalten; daher die unverkennbare Besorgnis der italienischen Regierung, dass wir den für sie so günstigen Vertrag künden werden, und ihr ersichtliches Bestreben, die Simplonangelegenheit so hinauszuziehen, dass sie in den bevorstehenden Handelsvertragsunterhandlungen von ihr verwertet werden kann.
Angesichts dieser Sachlage sind wir der Ansicht, dass durch einen weiteren Aufschub der Kündung nichts gewonnen, möglicherweise aber der richtige Augenblick versäumt würde. Es könnte allerdings die Frage aufgeworfen werden, ob nicht vor der Kündung versucht werden sollte, die italienische Regierung durch den Vorschlag einer freiwilligen Vertragsrevision zu den wünschenswerten Konzessionen zu bewegen. Wir halten einen solchen Versuch jedoch für aussichtslos und daher für einen unnützen Zeitverlust. Ist es schon sehr fraglich, ob die italienische Regierung unter dem Drucke einer Kündung nachgeben wird, so ist es noch zweifelhafter, dass sie sich auf dem Wege einer freiwilligen Revision entschliessen werde, neue Zollermässigungen zu gewähren, oder gar in eine Erhöhung unserer Einfuhrzölle für Wein, Vieh, etc. einzuwilligen. Ihr Bestreben ginge, wie bisher in der Simplonangelegenheit, naturgemäss dahin, die Unterhandlungen in die Länge zu ziehen, so dass wir schliesslich doch genötigt wären, zu dem Mittel der Kündigung Zuflucht zu nehmen. Mittlerweile hätten wir aber eine günstige Konjunktur verpasst. Es ist nämlich zu beachten, dass der Handelsvertrag zwischen Italien und Österreich-Ungarn gekündet ist und Ende dieses Jahres abläuft, wenn inzwischen kein neuer Vertrag zustandekommt. Dieser Umstand ist für uns deshalb von Bedeutung, weil Italien bisher dank jenem Vertrage, und auch infolge der Phylloxera-Verheerungen in Ungarn, jährlich für ca. 15 Millionen Franken Wein nach Österreich-Ungarn exportiert. Es ist dies, beiläufig erwähnt, ein Hauptgrund, warum die italienische Weinausfuhr nach der Schweiz abgenommen hat. Eine völlige Erneuerung der bisherigen Vergünstigungen für italienische Weine in Österreich-Ungarn ist undenkbar, weil der Vertrag eben wegen der betreffenden Weinklausel auf Betreiben der ungarischen Regierung gekündet worden ist und Ungarn infolge seiner Erholung von den Phylloxeraschäden der baldigen Wiedererlangung der früheren Produktionsund Exportfähigkeit entgegensieht. Wenn wir der italienischen Regierung keine Zeit lassen, sich mit Österreich-Ungarn zu verständigen, bevor sie mit uns unterhandeln muss, so wird sie genötigt sein, auf das Zustandekommen eines neuen Vertrages mit uns um so grösseren Wert zu legen.
Zu dem Gesagten kommt, dass der Zeitpunkt der Kündung unseres Handelsvertrages mit Italien möglichst so gewählt werden muss, dass der Ablauf des Vertrages ungefähr in die Zeit des Herannahens der Weinernte, bezw. der Abschlüsse der Weinhändler fällt, damit den italienischen Weinproduzenten die Gefahr eines allfälligen Misslingens der Unterhandlungen und eines Zollkrieges deutlich zum Bewusstsein komme. Um diesen Effekt zu erreichen, wäre für die Kündung heute der richtige Augenblick.
Wenn wir heute künden, so haben wir vor unserm Lande und gegenüber Italien einen doppelten Grund: die ungünstige Bilanz unseres Warenverkehrs mit Italien und die Haltung der italienischen Regierung in der Simplonangelegenheit, die mit dem Art. 16 des zu kündenden Handelsvertrages im Widerspruche steht. Dieser Artikel lautet wie folgt:
Artikel 16.
Der schweizerische Bundesrath und die königlich italienische Regierung, von dem Wunsche beseelt, die Handeslbeziehungen zwischen der Schweiz und Italien zu fördern und auszudehnen, verpflichten sich, die Erstellung von Verkehrsstrassen, welche zur Verbindung der beiden Länder bestimmt sind, nach Möglichkeit zu begünstigen und insbesondere beiderseits solchen Unternehmungen alle möglichen Erleichterungen zu sichern, welche zum Zwecke haben, mittelst Fortbewegung durch Dampfkraft, quer durch die schweizerischen Alpen, die Bahnnetze im Norden und Süden dieses Gebirges mit einander in direkte Verbindung zu setzen.
Nach Kündung des Handelsvertrages steht es in unserm Belieben, der italienischen Regierung zu erklären, dass wir nicht eher in Unterhandlungen über den Abschluss eines neuen Vertrages eintreten werden, bevor die Simplonangelegenheitzu unserer Zufriedenheit geordnet z'^und uns die nötigen Garantien geboten sind, dass keine weiteren Schwierigkeiten bereitet werden.
Wir beantragen:
1. Es sei der schweizerische Gesandte in Rom unter Kenntnisgabe unserer Gründe nach beiliegendem Entwurf zu beauftragen, der italienischen Regierung nächsten Dienstag, 30. dies, die Kündung des Handelsvertrages vom 19. April 1892 zu notifizieren und damit die Erklärung zu verbinden, dass der Bundesrat geneigt sei, mit ihr in Unterhandlungen zum Zwecke des Abschlusses eines neuen Handelsvertrages einzutreten;
2. folgende Notiz an die Presse: Der Bundesrat hat beschlossen, den am 19. April 1892 vereinbarten Handelsvertrag zwischen der Schweiz und Italien auf den 1. Juli 1904 zu künden und der italienischen Regierung die Geneigtheit auszusprechen, mit ihr in Unterhandlungen über den Abschluss eines neuen Handelsvertrages einzutreten.
[...]4
- 1
- Propositon (Kopie): E 13 (B)/221.↩
- 2
- Cf. RO 1892, XII, pp. 786 s.; FF 1892, III, pp. 561-662; FF 1893, II, p. 819.↩
- 3
- Non reproduit.↩
- 4
- Cette proposition fut approuvée par le Conseil fédéral le 17 septembre 1903 (E 1004 1/214, no4077). Le même jour, Ch. L. E. Lardy, Chargé d’affaires a. i. de Suisse à Rome, présente au Ministère des Affaires étrangères la note annonçant la dénonciation du traité de commerce. Cf. E 1004 1/214, no 4132.↩