dodis.ch/42820
Le Président de la Confédération et Chef du Département politique,
J. Zemp, au Chargé d Affaires de Suisse à I ›me, F. Du
Martheray1
Confidentiell. Einschreiben
Bern, 11. Oktober 1902
Beiliegender Nummer des schweizerischen Bundesblattes, No 40 v. l.Okt. 1902, wollen Sie die Ansprache entnehmen, welche Herr Dr. Iten, Präsident des Nationalrates, bei der Sessionseröffnung v. 29. v. Mt. gehalten hat.2 Im zweiten Teile dieser Rede hat Herr Dr. Iten der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und Italien Erwähnung getan, und zwar ohne dass der Bundesrat vorher irgendwie darüber unterrichtet worden wäre.
Der italienische Minister des Äussern, Herr Prinetti, soll sich über diese Rede aufgehalten haben und hat der kaiserlichen deutschen Regierung sein Befremden über die Äusserungen des Herrn Iten zu erkennen gegeben. Der deutsche Geschäftsträger in Bern, Herr Baron von Eyb, sprach vorgestern beim Unterzeichneten vor und teilte ihm confidentiell im Aufträge der Reichsregierung mit, dass die Rede des Herrn Nationalratspräsidenten die Empfindsamkeit des italienischen Ministers gereizt habe. Baron v. Eyb erörterte die Frage, ob es nicht angezeigt wäre, dass der Bundesrat durch seinen Geschäftsträger in Rom eine Demarche bei Herrn Prinetti machen liesse um letzterem mitzuteilen, dass er – der Bundesrat – der Rede des Herrn Iten fremd stehe.
Der Unterzeichnete erwiderte, dass Herr Iten die betreffende Rede aus eigener Initiative gehalten habe, ohne vorher den Chef des politischen Departements oder ein anderes Mitglied des Bundesrates um seine Meinung begrüsst zu haben. Der Bundesrat könne in diesem Falle für die Rede des Nationalratspräsidenten absolut keine Verantwortung übernehmen. Auch müsse es der Unterzeichnete ablehnen, durch Sie, Herr Geschäftsträger, irgendwelche Demarche in dieser Angelegenheit bei Herrn Prinetti machen zu lassen, da die schweizerische Gesandtschaft in Rom betr. Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen mit Italien keine active Rolle bisher gespielt hat; es haben vielmehr sämtliche diesbezügliche Meinungsäusserungen durch die gefällige Vermittlung der kaiserlichen Regierung stattgefunden. Wenn Baron v. Eyb auch diesmal, die Vermittlung seiner Regierung in Aussicht stellen könne, so sei der Unterzeichnete bereit, ihm zuhanden des Herrn Prinetti beruhigende Erklärungen abzugeben. Baron v. Eyb willigte in diesem modus procedendi ein und es wurden die 3 folgenden Punkte präcisiert, auf welche der deutsche Botschafter beim Quirinal die Aufmerksamkeit des Herrn Prinetti lenken wird.
1.) Der Bundespräsident u. der Bundesrat haben von der Rede des Hrn. Iten zuvor keine Kenntnis gehabt und können daher eine Verantwortlichkeit für deren Inhalt und Bedeutung nicht übernehmen.
2.) Der Bundespräsident bedauert, dass Herr Iten sich in dieser Weise über die ehemaligen Differenzen mit Italien ausgesprochen hat.
3.) Der Bundespräsident hat bestimmten Grund anzunehmen, dass auch Herr Iten selbst nicht willens war, irgendwelche Worte zu gebrauchen, welche die Gefühle Italiens unangenehm berühren könnten.
Wir wollten nicht versäumen, Sie von Vorstehendem zu Ihrer persönlichen Orientierung in Kenntnis zu setzen, fügen aber bei, dass, wenn sich für Sie die Gelegenheit finden lässt, mit Herrn Prinetti über diese Angelegenheit zu sprechen, Sie sich an den Sinn obiger Ausführungen zu halten haben.3