Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 4, doc. 370
volume linkBern 1994
Plus… |▼▶Emplacement
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2300#1000/716#887* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2300(-)1000/716 392 | |
Titre du dossier | Rom, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 11 (1902–1903) |
dodis.ch/42780
In meinen Berichten No 73 und 74 vom 14. und 28. April 18992 habe ich auf den deprimierenden Eindruck aufmerksam gemacht, den der damalige Abschluss des englisch-französischen Abkommens betreffend Abgrenzung der gegenseitigen Interessensphären in Nord-Afrika hier hervorgebracht hatte, zumal Frankreich und England sich ohne Beiziehung Italiens verständigt hatten. Die hiesigen Regierungskreise verübelten dieses Vorgehen Frankreich nicht, da dasselbe damals Italien keinerlei besondere Rücksichten schuldig war; um so mehr war man dagegen über England aufgebracht, das verpflichtet gewesen wäre, die italienischen Interessen zu schützen bei der intimen Freundschaft, die in diesem Zeitpunkt zwischen Italien und England bestand. Damals hatte eben ItalienEngland den grossen Dienst geleistet, Kassala gegen alle Angriffe zu halten und dadurch den Engländern in ihrem Feldzug gegen die Mahdisten eine sehr wertvolle Unterstützung zu Teil werden lassen.
Diese England ungünstige Stimmung dauerte an. Und wie seinerzeit die Besetzung Tunesiens durch die Franzosen Italien in die Arme des Dreibunds getrieben hatte, so bewirkte das rücksichtslose und egoistische Verhalten Englands, dass Italien in den Mittelmeerfragen einen Anschluss an Frankreich und eine Verständigung mit der Republik suchte. Die diesbezüglichen Verhandlungen begannen schon unter dem Nachfolger Canevaros und dem Vorgänger des gegenwärtigen Ministers des Äussern Herrn Prinetti, d. h. unter Visconti Venosta. Man war hier nachgerade zur Überzeugung gelangt, dass es vorteilhafter sei für die italienischen Interessen, namentlich in Tripolis, an Frankreich als an England sich zu halten, von dem nie ein Gegendienst zu erreichen war.
Zunächst wurden alle Schwierigkeiten mit Frankreich im Roten Meere beseitigt. Ich erinnere an die Gebietsabgrenzung bei Raheita (Vgl. meinen Bericht No 68 vom 17. November 18983).
Sodann schritt man an die schwierigeren Fragen des Mittelmeers. Auch hierüber kam ein Einvernehmen zustande. Es wurde dies durch die jüngsten Erklärungen Prinettis in der Kammer und die Neujahrsrede Barrères verkündet. Hierauf bezügliche Drucksachen habe ich Ihnen bereits zugesandt. In nächster Zukunft wird auch der französische Minister des Äussern in der Deputiertenkammer sich über dieselbe Materie auszusprechen haben.
In Gesprächen mit Herrn Prinetti und Herrn Barrère habe ich Näheres über die politische Tragweite der Verständigung zu erfahren gesucht. Beide Herren verhielten sich äusserst reserviert. Immerhin konnte ich festsetzen:
1. Die Verständigung bezieht sich insbesondere auf Tripolis und Marokko. Frankreich lässt in TripolisItalien freie Hand, wogegen Italien sich verpflichtet, in MarokkoFrankreich keinerlei Schwierigkeiten zu bereiten, weder direkt noch durch Unterstützung allfällig fremder Einsprachen;
2. Deutschland und Österreich-Ungarn wurden auf dem Laufenden der Verhandlungen gehalten und haben gegen deren Resultat nichts einzuwenden. Herr Prinetti versichert, dass durch diese Spezialabmachung mit Frankreich die Stellung Italiens zu den zwei anderen Dreibundmächten in keiner Weise berührt werde. Etwas anders als bisher werde allerdings das Verhältnis Italiens zu England, was Letzteres sich selbst zuzuschreiben habe.
3. Ob ein förmlicher Vertrag vorliege, konnte ich nicht in Erfahrung bringen, dagegen sagte mir Herr Prinetti, dass die Verständigung vollständig fest und bis in alle Einzelheiten bestimmt und bindend sei. Unter diesen Umständen ist die Form nebensächlich.
Bei Licht betrachtet, scheint das Abkommen für Italien, wenigstens was die nächste Zukunft betrifft, günstiger als für Frankreich. Denn in Tripolis hatte Italien nur den französischen Einfluss zu fürchten, während die Interessen Italiens in Marokko fast Null sind und Frankreich in diesem Lande auf den Mitbewerb Englands und Deutschlands stossen wird. Die in Tripolis vor allem beteiligte Macht, die Türkei, der das Vilajet ja gehört, hat, wie mir Herr Prinetti erklärte, keinerlei Einspruch gegen eine Abmachung erhoben, die ihr eigenes Gut betrifft. Es ist dies bezeichnend für die türkische Regierung. Übrigens sagt Herr Prinetti, dass Italien in keiner Weise vorhabe, die Sache zu brüskieren und die Hand auf Tripolis zu legen; wesentlich war nur festzustellen, dass keine andere Macht als Italien, bei zeitlich näher oder ferner liegender Gelegenheit, das Recht habe, sich von Tripolis zu bemächtigen.
Auf meine Anfrage, ob eine eventuelle Nichterneuerung der Handelsverträge auf den Bestand des Dreibunds zurückwirken könnte, erwiderte Prinetti, er sei der festen Überzeugung, dass Italien seine Handelsverträge mit Deutschland und mit Österreich-Ungarn werde abschliessen können, mit ersterem Lande ohne besondere Schwierigkeiten und mit letzterem jedenfalls leichter als dies zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn der Fall sein werde. Der Minister des Äussern hofft sogar, die Weinklausel mit Österreich-Ungarn, wenn auch in beschränktem Masse, retten zu können. Herr Prinetti fügte bei: «Ich fürchte, dass die Handelsvertragsverhandlungen mit Ihnen die schwierigsten sein werden, und zwar weniger wegen den Ermässigungen, die Sie von uns verlangen, als wegen der Erhöhungen, die Sie uns werden annehmbar machen wollen. Wir bereiten für die Handelsvertragsverhandlungen keinen neuen Tarif vor; wir werden auf Grund des bisherigen verhandeln; kommt aber keine Verständigung zustande, so werden wir sehr hohe Kampfzölle anwenden. Die bezüglichen Studien sind schon gemacht; auf meinen Wunsch wird aber von den Beschlüssen der Kommission nichts publiziert»4.