Classement thématique série 1848–1945:
I. SITUATION INTERNATIONALE
5. Affaires intérieures
5.8. Etat de l’Italie
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 4, doc. 364
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#886* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 392 | |
Dossier title | Rom, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 10 (1900–1901) |
dodis.ch/42774
In seinem Bericht vom 21. April 1. J.2, mitgeteilt sub No 8, gibt mein College Herr Lardy Äusserungen des österreichisch-ungarischen Botschafters in Paris über die ökonomische Lage Oberitaliens wieder, die nach meinen Beobachtungen den Tatsachen nicht entsprechen; Graf Wolkenstein sagt, es liege eine «reculade économique immense» vor. Davon ist keine Rede. Handel und Industrie haben im Gegenteil in dem letzten Jahrzehnt gerade in Oberitalien einen grossen Aufschwung genommen. Von sozialistischen Agitatoren beeinflusst, sind aber in diesem Landesteil namentlich die Fabrikarbeiter, in Süditalien die Landarbeiter anspruchsvoller geworden: daher die Unruhen vom Frühjahr 1898 und die zahlreichen Strikes neueren Datums.
Daraus indessen auf einen ökonomischen Rückgang des Einzelnen oder des ganzen Landes zu schliessen, ist ebenso falsch als wenn man behaupten wollte, die unzähligen Arbeitseinstellungen in Frankreich seien ein sicheres Anzeichen des bevorstehenden finanziellen Ruins der Republik.
Damit soll selbstverständlich nicht gesagt sein, dass vielerorts in Italien die Lage der Arbeiter und der Landbevölkerung nicht beklagenswert sei und unter Umständen gefahrdrohend werden könnte. Jeder Einsichtige gibt dies zu und das Ministerium Zanardelli ist, wie ich in früheren Berichten ausführte, ernstlich bestrebt, nach Möglichkeit Abhülfe zu schaffen.
Hingegen ist die finanzielle Lage des Königreichs gegenwärtig eine sehr gute. Es gibt keine Grossmacht in Europa, Frankreich und Österreich-Ungarn inbegriffen, welche, wie Italien es jetzt tut, alle ausserordentlichen Ausgaben, für Bewaffnung, Schiff- und Eisenbahnbau u.s.w. aus den ordentlichen Einnahmen bestreitet und dazu noch, dank den effectiven, die bugetierten übersteigenden Steuer- Eingängen, für das Jahr 1900/1901 auf einen Netto-Überschuss von über 26'/2 Million Lire zählen kann.
Der Augenblick ist schlecht gewählt, um von einer «reculade économique immense» zu sprechen.
Was sodann die eventuelle Wiederaufnahme von Verhandlungen handelspolitischer Natur insbesondere bezüglich der Seidengewebe zwischen Italienund Frankreichanbelangt, auf die Herr Minister Lardy in seinem eingangs erwähnten Bericht, sowie in dem vorangehenden vom 18. April3, mitgeteilt sub No 7, hinweist, so leugnet man des bestimmtesten auf dem Ministerium des Äussern, sowie auf dem Finanzministerium, dass etwas im Zuge sei. Um diese Antwort zu controllieren, habe ich den mir befreundeten Herrn Luzzatti sondiert, der, wenn seine Eitelkeit im Spiele ist, nicht gar zu zugeknöpft zu sein pflegt und der mich schon im Juli 1898 (Vgl. meinen Bericht No 64)4 in die Lage versetzte, Ihnen melden zu können, dass eine Handels-Verständigung mit Frankreich mit voraussichtlichem Inkrafttreten Anfangs des Jahres 1899 so gut wie vereinbart sei. Luzzatti also sagt ebenfalls, dass nicht verhandelt werde, was vom französischen Botschafter Barrère in der absolutesten Form bestätigt wird. Barrère fügte hinzu, dass wir eine Erhöhung der Seidenzölle nicht zu fürchten hätten, dass er auf dieser Grundlage nie mit Italien verhandeln würde, denn er wisse zu gut, dass diese Zölle den Kernpunkt unserer Verständigung mit Frankreich bilden und dass man nicht an denselben rühren dürfe. Er habe in diesem Sinne auch nach Paris geschrieben, als die Lyoner-Interessenten eine Erhöhung verlangten, während der damalige französische Geschäftsträger in Bern, Lefaivre, den Ernst der Sache nicht verstanden habe.
Mit Deutschlandund Österreich-Ungarn sind, wie mir Herr Prinetti sagte, noch keinerlei, auch nur einleitende Verhandlungen über die Erneuerung der Handelsverträge im Gange. Aber die Königliche Regierung verfolgt mit Interesse alle diesbezüglichen Kundgebungen in den genannten Ländern, wie ihrerseits der hiesige deutsche und österreichisch-ungarische Botschafter ein aufmerksames Auge auf die betreffenden italienischen Vorgänge haben. Bemerkenswert ist nach dieser Richtung die Campagne, welche Luzzatti jüngst in dem Süden Italiens unternahm, um die Bebauer von Weinreben und Südfrüchten aus ihrer Apathie zu wecken und zur Verteidigung ihrer Interessen zu veranlassen, nach dem Beispiel der Industriellen Norditaliens.
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