Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 4, Dok. 348
volume linkBern 1994
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2300#1000/716#886* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2300(-)1000/716 392 | |
Dossiertitel | Rom, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 10 (1900–1901) |
dodis.ch/42758
Anlässlich seines vorgestrigen wöchentlichen Empfanges erfuhr ich von Herrn Visconti-Venosta, Minister des Äussern, dass nunmehr eine Einigung zwischen den in Chinaintervenierenden europäischen Mächten betreffend die zu stellenden Friedensbedingungen erzielt sei. Was die Bestrafung der Kaiserlichen Prinzen anbelange, habe man die Forderung der Todesstrafe fallen lassen und an deren Stelle die «strengste Strafe» gesetzt. Damit ist aber nichts gesagt bemerkte der Minister, «denn nur bei controllierter Vollstreckung der Todesstrafe hätte man Gewissheit gehabt, dass selbst die geschicktesten chinesischen Manipulationen nichts mehr hätten helfen können». Aber das am meisten interessierte Deutschland, dann Japan und Italien gaben in diesem Punkte, hauptsächlich auf das Drängen der Vereinigten Staaten von Amerika nach, um das Zusammengehen der Mächte zu retten. Auf die Vorstellungen ebenfalls des Washingtoner Cabinets wurde beschlossen, die Mitteilung der Friedensbedingungen nicht in die Form eines Ultimatums zu kleiden, um bei allfälliger Ablehnung einer oder der ändern derselben seitens Chinas nicht eine Kriegserklärung folgen lassen zu müssen. Immerhin sollen die nun vereinbarten Bedingungen China als unwiderruflich feststehend zur Kenntnis gebracht werden.
Unter diesen Bedingungen befindet sich, ausser den in meinem Berichte No 103, vom 15. v. Mts.2, erwähnten, auch die, dass China in eine den Handel mit dem Ausland erweiternde und begünstigende Revision der bestehenden Verträge einwillige. Herr Visconti-Venosta sagte mir, er habe hauptsächlich die Aufnahme dieser Forderung befürwortet, welche allen handelstreibenden Ländern zugute kommt.
Bezüglich der Geld-Entschädigungen ist nur das Prinzip der Leistung derselben ausgesprochen; der an jede einzelne Macht zu zahlende Betrag wird später bestimmt.
Herr Visconti-Venosta meint, die Zustellung der Collectiv-Note, mit den Friedensbedingungen würde nunmehr in der allernächsten Zeit stattfinden können; es bleibe nur noch der in letzter Stunde geäusserte Wunsch Japans zu erörtern, ebenfalls, wie Deutschland, eine chinesische Sühne-Mission für die Ermordung des japanischen Gesandtschafts-Kanzlers zu erhalten. Aber dieser Punkt werde ohne weiteres von den mitbeteiligten Mächten und jedenfalls auch von China zugestanden werden.
Die Kosten der China-Expedition Italiens werden – für ein Jahr berechnet – auf L. 12.824.700. büdgetiert. Ein diesbezüglicher Gesetzesentwurf liegt bereits der Kammer vor. Von der genannten Summe sollen L. 8.524.700. dem Kriegs-, L. 4.300.000. dem Marineministerium gutgebracht werden.
Dieser Tage war Prinz Georg von Griechenland, Generalcommissär der Schutzmächte in Creta, hier in Rom. Ich fragte Herrn Visconti-Venosta, ob er Geld habe aufnehmen wollen. Der Minister antwortete verneinend, er sagte, der Prinz habe die Schutzmächte zu bestimmen gesucht, ihre Zustimmung nicht zu versagen, wenn nächstens die cretensische National-Versammlung den Anschluss der Insel an Griechenland proclamieren würde. Er wurde von Russland, wie von Frankreich, England und Italien zur Geduld verwiesen. Man machte ihn darauf aufmerksam, dass Griechenland und Creta sich einstweilen mit dem nach einem unglücklichen Kriege unerhofft Erreichten zufrieden geben, nicht auf einmal zu viel verlangen und den Dingen ihren Lauf lassen soll
Prinz Georg machte auf Herrn Visconti-Venosta den Eindruck eines Mannes, der mit jugendlicher Beredsamkeit seine Sache eifrig zu verfechten wisse, dem es aber an Erfahrung und Menschenkenntnis für die richtige Lösung seiner schwierigen Aufgabe fehle. Auch sei er geneigt, zu glauben, es müsse ihm alles gelingen («Il ne doute de rien»),
Prinz Georg sprach mit Herrn Visconti-Venosta von Herrn Droz. Er bemerkte, er habe nach seiner Ernennung zum Generalcommissär Herrn Droz angefragt, ob er ihm als Berather zur Seite stehen wolle. Herr Droz habe aber eine solch unabhängige Stellung beansprucht, dass Prinz Georg auf dessen Berufung verzichtet habe. «Ich halte dies für bedauerlich», sagte mir Herr Visconti-Venosta, «denn unter der Mitwirkung von Herrn Droz wäre die Insel gewiss besser verwaltet worden als sie es jetzt wird und der Generalcommissär, der von alten, total unwissenden Crete nsern berathen wird, stünde nicht vor dem Deficit, aus dem er sich nicht heraus zu arbeiten weiss».
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