Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 4, doc. 146
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#95* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 51 | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 12 (1894–1896) |
dodis.ch/42556 Le Ministre de Suisse à Berlin, A. Roth, au Chef du Département des Affaires étrangères, A. Lachenal1
Als ich gestern nachmittag, (anlässlich des offiziellen Dienstags-Empfangs), den Staatssecretär von Marschall besuchte und im Laufe unserer Conversation die Frage an ihn stellte, ob er mir betreffend die auswärtige Politik Mittheilungen von besonderem Interesse zu machen in der Lage sei, gab mir derselbe zur Antwort, das Auswärtige Amt bzw. die Kaiserliche Regierung sehe z. Z. nach zwei Richtungen hin der nächsten Zukunft nicht ohne Sorge entgegen.
In erster Linie sei man namentlich durch den dermaligen Krankheits-Zustand des Kaisers Alexander beunruhigt.
Dann hege man auch ernste Befürchtungen betr. das eventuelle Los der in China niedergelassenen Europäer, (bzw. der deutschen Staatsangehörigen); die japanische Armee sei der chinesischen notorisch so enorm überlegen, dass man nach diesseitigem Dafürhalten mit einer vollständigen Niederwerfung Chinas und alsdann mit einer Revolution rechnen müsse, welche die Zersetzung des durch und durch morschen und faulen chinesischen Reichs zur unmittelbaren Folge haben dürfte und bei einer solchen Umwälzung liege zweifellos die Gefahr sehr nahe, dass die Volkswuth sich alsdann auch gegen die Ausländer wende.
Den ersteren Punkt anbelangend erwiderte Baron Marschall auf meine Zwischenfrage, ob also auch das Auswärtige Amt ungünstige Berichte aus Petersburg erhalten habe, er könne mir streng vertraulich mittheilen, dass der Kaiser Alexander von den Ärzten vollständig auf gegeben sei und sich z. Z. im letzten Stadium der Bright’schen Krankheit befinden soll; so habe ihm (Marschall) gestern auch der deutsche Botschafter in Petersburg, General von Werder, welcher soeben aus Spala hier eingetroffen, mündlich berichtet.
Der Grossfürst Thronfolger – antwortete Marschall auf meine weitere Frage, wie man denselben hier beurtheile, – gelte entschieden als deutschfreundlich; er sei erheblich gebildeter, als sein Vater und auch intelligent; Kaiser Wilhelm halte grosse Stücke auf ihm und taxiere ihn als ebenso friedliebend wie den Kaiser Alexander. Doch könne man eben nicht wissen, was er als Kaiser und ob er, ein noch sehr junger Mann, selbständig genug sein werde, um sich den vielerlei deutschfeindlichen Einflüssen zu entziehen. Der Kaiser Alexander habe nach dieser Richtung eine grosse Festigkeit bewiesen; zudem habe sein ganzes Naturel nach Ruhe und Frieden gedrängt und sei seine Person eine seriöse Garantie für die Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen auch mit Deutschland gewesen; wie der Thronfolger sich als Kaiser machen werde, bleibe abzuwarten und sei für die deutsche Regierung, trotz der guten Meinung, welche man hier von ihm habe, eine völlig offene Frage. [...]
- 1
- Rapport politique: E 2300 Berlin 12.↩
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