Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
IV. NIEDERLASSUNGS- UND ASYLPOLITIK
2. Die schweizerische Asylrechtspraxis
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 277
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E21#1000/131#24646.2* | |
Old classification | CH-BAR E 21(-)1000/131 2557 | |
Dossier title | Auslieferungsvertrag vom 17.11.1888 (von der Bundesversammlung nicht behandelt) und Auslieferungsvertrag vom 10.3.1896, Bd 6-11 (1883–1923) | |
File reference archive | 03.2.2.26 |
dodis.ch/42256
Von dem östr. Gesandten Herrn von Ottenfels ist dem Unterzeichneten am 10. d. M. folgende «durchaus vertrauliche» Mitteilung gemacht worden:
Die östr. Gesandtschaft hat von dem Grafen Kälnoky den Auftrag erhalten dem Bundespräsidenten zu eröffnen, es beabsichtige die östr. Regierung den zwischen unseren Staaten bestehenden Auslieferungsvertrag2 zu künden, da derselbe in verschiedenen Beziehungen antiquirt und unvollständig sei; bevor hierüber eine formelle Eröffnung an die Schweiz habe erfolgen können, sei von dem Fürsten Bismark in einer «vertraulichen Eröffnung» der Gedanke angeregt worden, ob es sich nicht empfehlen würde in den künftig abzuschliessenden Auslieferungsverträgen den Fürstenmord oder allgemein Angriffe auf das Leben eines Staatsoberhauptes nicht mehr als ein besonderes Verbrechen unter die die Auslieferung begründenden strafbaren Handlungen aufzunehmen. Die Auslieferung sollte vielmehr wegen «Mord» überhaupt zuzusichern sein. Wolle man gleichwol wegen politischen Verbrechen einen Vorbehalt machen, so müsste gesagt werden, dass Mord oder Mordversuch gerichtet gegen wen es sei niemals als ein pol. Verbrechen anzusehen sei; denn ein gemeines Verbrechen könne niemals dadurch zum politischen werden, dass seine Motive politische seien; mit der gegenteiligen Deduction würde man dahin gelangen auch Diebstahl, Brandstiftung, Falschmünzerei etc. zu polit. [Verbrechen zu machen; die Politik könne die Triebfeder zu den verschiedensten gemeinen Verbrechen werden (irländ. Attentate auf englische Schiffe; Falschmünzerei der Nihilisten; Anarchistenverbrechen etc.). Ein politisches Verbrechen liege nach der Anschauung des Reichskanzlers nur dann vor, wenn der Thatbestand eines gemeinen Verbrechens nicht in ihm zur Erscheinung komme (z.B. die socialistischen allgemeinen Verschwörungen der Gegenwart). Sobald es bei letzteren zu einem Mordversuche irgend welcher Art komme, höre der pol. Character des Verbrechens auf.
Die östr. Regierung schliesst sich diesen Ausführungen des Fürsten Bismark an und es erscheint ihr sehr wünschenswerth den Vertrag mit der Schweiz auf diese Praxis zu stellen. Es wird für die Schweiz leichter sein eine generelle Formel anzunehmen als eine Spezialbestimmung, welche ein gegen das Staatsoberhaupt gerichtetes Verbrechen aus der Reihe der übrigen heraushebt und eine Ausnahme in betreff des ersteren statuirt.
Der östreichische Gesandte hat nun den Auftrag diese Angelegenheit «ganz vertraulich» bei der Bundesregierung zur Sprache zu bringen. Sollte von Seite der Schweiz der Einwand erhoben werden, dass Tödtungen, die man eventuell als «Mord» interpretiren würde, in Folge von politischen Ereignissen (bei Bürgerkriegen und Empörungen) eintreten könnten wo dann der pol. Character des betreffenden Delictes immer noch im Vordergrund stehen würde, sollte dieses eingewendet werden, so werde man sich gerne zu einer Formel verstehen, welche ein jedes Missverständniss in dieser Richtung ausschliesst.
Auch die Theorie namentlich die bekannten Oxforder-Beschlüsse3 stimmen mit dem Vorschläge des Fürsten Bismark überein und tragen auch der erwähnten eventuellen Einwendung Rechnung.
Der Gesandte wiederholt schliesslich nochmals es handle sich «zunächst nur um einen ganz vertraulichen Meinungsaustausch»; jedoch lege die Regierung ein grosses Gewicht auf die Annahme ihrer Auffassung; von der Aufnahme dieser Eröffnung werde es abhängen in welcher Weise mit Rücksicht auf den Standpunct der Regierungen beider Reichshälften vorzugehen sei.
Nach dieser am 10. Nov. stattgehabten und möglichst getreu wiedergegebenen Eröffnung des östr. Gesandten, erschien am 15. Nov. der deutsche Gesandte Herr von Bülow bei dem Bundespräsidenten und teilte ihm mit, dass er von der Reichsregierung beauftragt worden sei dem Bundesrat in «vertraulicher Weise» zu eröffnen, es habe der Bundeskanzler von den durch den östr. Gesandten gemachten Erörterungen und Vorschlägen Kenntniss und unterstütze dieselben in allen Theilen; zu weitern selbständigen Anträgen finde er sich aber nicht veranlasst und beschränke sich darauf das genaue Einvernehmen der beiden Regierungen zu constatiren.
Der Unterzeichnete beschränkte sich darauf diese Kundgebungen entgegenzunehmen und beschränkt sich auf den Antrag, es wolle der Bundesrat davon Kenntniss nehmen und zunächst in eine allgemeine Berathung darüber eintreten.4
- 1
- Bericht: E 21/24646, Bd. 1.↩
- 2
- AS 1854-1857, V, S. 188-197.↩
- 3
- Vgl. auch Nr. 23 7.↩
- 4
- Dieser Bericht wurde am 20.11.1884 auf dem Kanzleitisch aufgelegt und am 22.11.1884 dem Justiz-und Polizeidepartement zur Antragsstellung überwiesen. Der daraufhin vom Departement ausgearbeitete Antrag ist abgedruckt unter Nr. 281.↩
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