Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
IV. NIEDERLASSUNGS- UND ASYLPOLITIK
2. Die schweizerische Asylrechtspraxis
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 237
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#7014* | |
Dossier title | Beschlussprotokoll(-e) 18.05.1883 (1883–1883) |
dodis.ch/42216 Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 18. Mai 18831 2514. Auslieferungsvertrag mit Spanien. Verhandlungen
Das Justiz- und Polizeidepartement, beziehungsweise der mit den bezüglichen Verhandlungen betraute Hr. Bundespräsident Ruchonnet erstattet Bericht über den gegenwärtigen Stand der Unterhandlungen betreffend Abschluss eines Auslieferungsvertrages mit Spanien.2
Hienach hat sich die spanische Regierung laut einer Note3 der spanischen Gesantschaft dahier bereit erklärt, den Text des schweizerisch-französischen Auslieferungsvertrages als Grundlage einer zwischen der Schweiz und Spanien abzuschliessenden Übereinkunft anzunehmen. Dagegen schlägt sie folgende 2 Abänderungen vor:
1. Es sei in Art. 2 die Bestimmung aufzunehmen, dass das Attentat gegen den Souverain oder den Leiter des States oder gegen die Glieder seiner Familie weder als politisches Verbrechen noch als eine mit einem ähnlichen Verbrechen in Zusammenhang stehende Handlung betrachtet werden soll, wenn das Attentat den Charakter der Tödtung, des Mordes oder der Vergiftung trage. Diese Bestimmung sei auch in die von Spanien mit Deutschland und den Republiken Mexiko und Argentinien abgeschlossenen Auslieferungsverträge aufgenommen worden.
2. In Art. 4 sei das Maximum der provisorischen Verhaftung, die im schweizerisch-französischen Vertrage auf 15 Tage angesezt sei, auf 30 zu erhöhen, da 15 Tage in vielen Fällen zur Beibringung der nötigen Ausweise nicht genügen.
Das Departement beantragt, sich mit lezterer Abänderung einverstanden zu erklären, dagegen die erstere definitiv abzulehnen.
Es verweist mit Bezug auf den erstem Antrag auf die seit 1833 von der Schweiz und ändern Staten befolgte Praxis, wegen politischer Verbrechen oder Vergehen oder irgend einem ändern damit in Verbindung stehenden Grunde die Auslieferung zu verweigern. Allerdings habe sich infolge der in lezter Zeit häufig vorgefallenen Attentate auf fürstliche Personen eine andere Richtung geltend gemacht. Insbesondere habe das im Jahre 1880 in Oxford vereinigte Institut für internationales Recht die Annahme folgenden Grundsazes empfohlen:
«Der angesprochene Stat entscheidet in souveräner Weise, nach den Umständen, ob die Handlung, um deren Willen die Auslieferung verlangt wird, einen politischen Charakter habe oder nicht. Hiebei hat er folgende Gesichtspunkte zu berüksichtigen: a) Handlungen, welche alle Merkmale gemeinrechtlicher Verbrechen an sich tragen (Mord, Brandstiftungen, Diebstäle) dürfen nicht, – bloss weil die Täter dabei politische Absichten hatten, – von der Auslieferung ausgeschlossen werden, b) Um die im Verlaufe eines Aufstandes, eines Bürgerkriegs, einer politischen Empörung begangenen Handlungen zu beurteilen, hat man sich zu fragen, ob sie durch die Kriegsgebräuche entschuldigt würden oder nicht.»
Das Departement erachtet, an folgenden, von der Schweiz. Juristenversammlung im Jahre 1880 auf Antrag des Hrn. Bundesrichter Morel aufgestellten Thesen festhalten zu sollen:
«Als politische Vergehen sind anzusehen und daher von der Auslieferung ausgeschlossen: a. die gegen den Stat und die öffentliche Ordnung gerichteten Vergehen; b. alle ändern strafbaren Handlungen, welche in ihren Zweken oder in ihren Beweggründen einen politischen Charakter haben. Konnexe Vergehen würden ebenfalls in diese Kategorie fallen, wenn die Zuwiderhandlung gegen gemeines Recht mit dem politischen Vergehen in innigem Zusammenhang stünde.»
Zur weiteren Begründung dieses Standpunktes führt das Departement aus:
Die Strafbarkeit der politischen Verbrechen und Vergehen und der mit diesen in Zusammenhang stehenden verbrecherischen Handlungen an und für sich sei nicht festgestellt, und es seien die besten Männer hierüber verschiedener Ansicht, da der politische Verbrecher meistens mit seiner Handlung für sein Land das Beste wolle. Der Auslieferung Verbrecher dieser Art stehe aber auch der Umstand hindernd entgegen, dass der ausliefernde Stat keine Gewissheit habe, dass der Ausgelieferte in dem Stat, in welchem er die bestehenden Einrichtungen hat Umstürzen wollen, unparteiische Richter finden werde. Die Ansichten darüber, was als politische strafbare Handlung zu betrachten sei, seien übrigens in den verschiedenen Ländern auch verschieden, je nach der besonderen Organisation derselben. Sobald aber für die sog. connexen Vergehen in gewissen Fällen eine Ausnahme gestattet und die Auslieferung solcher Delinquenten bewilligt würde, so müsste der requirirte Stat in jedem einzelnen Falle die Strafbarkeit des Angeschuldigten abwägen und müsste dadurch zum Richter über die innere Politik des ändern Landes werden, was zu Vorwürfen der Parteilichkeit und zu internationalen Verwikelungen Veranlassung gäbe. Es sei also der Schweiz anzuempfehlen, von ihrer Praxis in dieser Angelegenheit nicht abzugehen.
Auf seine Ausführungen sich stüzend, beantragt das Departement, der spanischen Gesantschaft in Form des von ihm vorgelegten Notenentwurfes seine Entschliessung zur Kenntnis zu bringen, dass es der von Spanien vorgeschlagenen ersten Abänderung betreffend Auslieferung politischer Verbrecher nicht beipflichten kann, dass es aber sich mit dem Vorschlag, das Maximum der provisorischen Haft auf 30 Tage anzusezen, einverstanden erkläre und dass der Delegierte des Bundesrates bereit sei, dem spanischen Bevollmächtigten weitere Vorschläge für die entgültige Fassung des Vertrages zu machen, sobald auf dem ersten Vorschlag seitens der spanischen Regierung nicht mehr beharrt werde.
Vom Bundesrat wird nach gewalteter Beratung beschlossen:
1. Die vom Departement beantragte Antwort wird mit folgenden Abänderungen genehmigt:
a. Der Saz, wonach seit 50 Jahren die Schweiz beständig dem Grundsaz gehuldigt habe, dass keine Auslieferung wegen einer politischen Handlung verlangt werden könne, wird gestrichen.
b. Dagegen wird folgender Zusaz aufgenommen:
In keinem der bisherigen Statsverträge sei der von Spanien beantragte Vorbehalt aufgenommen worden, und jedesmal wenn ein solcher Vorschlag der Schweiz gemacht worden, habe er vom Bundesrat, unterstüzt von der Bundesversammlung, abgelehnt werden müssen. Dies sei unter anderem im Jahre 1869 der Fall gewesen, als Frankreich gegenüber der Schweiz die Aufnahme einer ähnlichen Bestimmung wie die von Spanien beantragte in den damals vereinbarten Auslieferungsvertrag verlangt habe. Die Ablehnungsgründe der Schweiz seien in der bezüglichen Botschaft an die Bundesversammlung vom 29. November 18694 enthalten und seien heute noch dieselben.
2. Diese Antwort ist durch Hrn. Bundespräsident Ruchonnet, als Bevollmächtigten für diese Vertragsunterhandlungen, dem spanischen Gesandten in Form einer Verbalnote und unter Anschluss eines Exemplares der erwähnten Botschaft zu eröffnen.
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