Classement thématique série 1848–1945:
I. LES RELATIONS INTERGOUVERNEMENTALES ET LA VIE DES ÉTATS
I.12 FRANCE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 2, doc. 360
volume linkBern 1985
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.41-02#1000/1671#526* |
Old classification | CH-BAR E 2200.41-02(-)1000/1671 304 |
Dossier title | Diverse Korrespondenzen, Eingang (1870–1871) |
File reference archive | 429 |
dodis.ch/41893
Ihr letzter Brief2 lässt leider wenig Hoffnung auf baldige Wiedergewinnung der Stadt Paris und Wiederherstellung eines gesetzlichen Zustandes daselbst. Wenn die Verlängerung des jetzigen Zustandes nicht durch den Mangel an den nöthigen Kräften zur directen Bezwingung von Paris gerechtfertigt ist, so kommt mir das Verfahren von Thiers ganz unbegreiflich vor. Paris nochmals dem Hunger und dessen verheerenden Folgen Preis zu geben, es darauf ankommen zu lassen, dass unter dem Druck der Noth und dem Stachel leidenschaftlicher Rache aus der Herrschaft des Communal-Regimes ein wahrhaftes Schreckensregiment werde, welches von einem extremen Act in den ändern sich stürzt und dem Wohlstände von Tausenden verderblich wird, erscheint Einem grausamer als die Anwendung selbst der äussersten Waffengewalt. Wie ungemein penibel es für Sie sein muss, von Paris abgeschnitten, von den Ihrigen getrennt, isolirt in Versailles sich aufzuhalten und in diesen critischen Zeiten verhindert zu sein, den Ihrem Schutze Anbefohlenen die gewohnte, jetzt mehr als je nöthige Berathung und Hülfe zu gewähren, fühlen wir aufs Lebhafteste und begreifen vollkommen, wenn Sie diese Zeit die Traurigste nennen, welche Sie während Ihrer Amtsführung durchlebt haben.
Unser letztes Telegramm3, mit welchem wir Ihre Anfrage betreffend Erlass eines confidentiellen Schreibens an den bayerischen Gesandten in Sachen unserer Grenzpostulate verneinten, ist Ihnen vielleicht etwas auffallend vorgekommen. Der Bundesrath hielt es für bedenklich, die Verwendung des bayerischen Gesandten zu veranlassen und gegenüber Berlin zu schweigen. Sollte das Erstere geschehen, so musste nothwendig auch ein Schritt bei dem deutschen Bundescanzleramte erfolgen. Beides zusammengenommen hiess den Standpunkt verlassen, auf den der Bundesrath sich bezüglich der Behandlung der Frage gestellt. Was der Bundescanzier zu wissen nöthig hat, dass nämlich auch schweizerischerseits auf ungehinderte Verkehrs Verbindung mit Frankreich hoher Werth gelegt wird und dass, wenn von Frankreich darauf gedrungen wird, diess in Übereinstimmung mit den Wünschen der Schweiz geschieht, das weiss er aus den ersten in Versailles stattgehabten Besprechungen. In directer Weise bei Deutschland als Postulant aufzutreten und sich dadurch der Gefahr auszusetzen, dass nach Äquivalenten gesucht und gefragt wird, das möchte der Bundesrath vermeiden. Er hält es zudem auch überflüssig, indem er glaubt annehmen zu müssen, dass, wenn deutscherseits Frankreichs Interesse nicht berücksichtigt werden will, das schweizerische Interesse diesen Standpunkt nicht ändert.
Ich habe letzter Tage den Besuch von Herrn Alfred Köchlin von Mülhausen gehabt, welcher seither auch bei Ihnen sich eingefunden haben wird. Er hat mir mitgetheilt, dass man in Mülhausen entschlossen sei, die ernstlichsten Schritte zu thun, um eine solche Grenzgestaltung zu erwirken, dass Mülhausen auf französischem Territorium bleibt. Nach dem von ihm uns vorgelegten Projecte würde Mülhausen die äusserste Spitze eines vorspringenden Dreiecks bilden, dessen südlicher Schenkel von Mülhausen gegen Delle hin sich zöge und dessen nördlicher Schenkel von Mülhausen aus nordwestlich das Eisass durchschnitte. Mit Rücksicht auf den ernstlichen Widerspruch, den in Deutschland selbst das Hereinnehmen von der Industrie Mülhausens in den deutschen Zollverein finde, halte man es nicht für unmöglich, dass von der Annexion Mülhausens abstrahirt werde. In diesem Falle, meinte Köchlin, könnte dann die Frage auftauchen, ob nicht der abgeschnittene Sundgau, bez.weise das Dreieck Basel–Mülhausen-Delle, welches nur durch eine schmale Zunge mit dem übrigen deutschen Eisass Zusammenhängen würde, der Schweiz überlassen werden sollte.
Er wünschte zu wissen, wie man sich schweizerischerseits zu einem solchen Gedanken verhalten würde. Ich erwiederte ihm, dass je näher gerückt uns Frankreich bleibe, desto lieber sei es uns; dass, wenn die Sachlage sich wirklich in der von ihm angedeuteten Weise gestalten sollte, die Schweiz die Übernahme des fraglichen Gebiets in ernstliche Erwägung ziehen würde, ich aber nach dem, was wir erfahren, nicht viel Hoffnung hätte, dass wir in den Fall gesetzt werden, uns über diese Frage auszusprechen. Von Basel her in Kenntniss, dass wir uns bemühten, den directen Verkehrszusammenhang zwischen der Schweiz mit Frankreich trotz der Annexion möglichst aufrechtzuerhalten, und dass von Ihnen in diesem Interesse schon mannigfache Besprechungen und Verhandlungen gepflogen worden seien, wünschte er, bei Ihnen vorsprechen und sich mit Ihnen in Verbindung setzen zu dürfen. Ich nahm keinen Anstand, ihn dazu aufzumuntern; da er während der Verhandlungen des Friedens in Brüssel sein wird, so kann er uns durch Informationen u.s.w. von Nutzen sein.
Was die Savoy erfrage anbelangt, so sind die Umstände nicht der Art, dass auf eine baldige Anhandnahme derselben gehofft werden könnte: Immerhin ersuche ich Sie, die Angelegenheit nicht aus dem Auge zu verlieren. In Savoyen selbst steht die Stimmung so, dass die Bevölkerung französisch bleiben will, sofern Frankreich Republik bleibt, dagegen Trennung anzustreben entschlossen ist, wenn monarchische Restauration eingeleitet werden sollte. Allgemein wird diese letztere befürchtet und es hat desshalb die Einladung zur Bildung von Freiwilligencorps zur Unterstützung der Rep. von Versailles das bezeichnende Fiasco gemacht, dass sich in Savoyen, wie gemeldet wird, nicht mehr als 17 Mann eingeschrieben haben.
Aus den Journalen habe ich entnommen, dass die Nationalversammlung den Beschluss gefasst habe, den Schaden, welcher Gemeinden u. Particularen in den vom Krieg unmittelbar heimgesuchten Gegenden getroffen, nicht lediglich den Einzelnen zu überlassen, sondern auf das ganze Land zu nehmen. Ich nehme als selbstverständlich an, dass, wenn von Staats wegen für erlittene Zerstörungen Einzelnen Vergütung geleistet werden sollte, hievon kein Unterschied zwischen Franzosen und niedergelassenen Angehörigen neutraler Staaten werde gemacht werden. Es sind in letzter Zeit mehrere Begehren eingegangen von Schweizern, welche furchtbar mitgenommen worden sind. Hat die Regierung bereits Einleitungen getroffen, um den fraglichen Beschluss zur Vollziehung zu bringen, wenigstens dessen Vollziehung vorzubereiten? Existirt eine Behörde, welche beauftragt ist, in den einzelnen Gemeinden den erlittenen Schaden der Corporationen und Privaten zu ermitteln, und nach welchen Grundsätzen wird bejahendenfalls dabei verfahren? Es wäre mir sehr lieb, wenn Sie über diese Angelegenheit Informationen einziehen und berichten wollten.
Der franz. Gesandte in Bern, Herr Châteaurenard, hat mir letzter Tage Andeutungen gemacht, dass in der Besetzung der hiesigen Gesandtschaft möglicherweise bald eine Änderung eintreten könnte. Man würde es, offen gestanden, nicht eben sehr bedauern, wenn der Marquis durch eine andere Persönlichkeit ersetzt würde. Sein ganzes Auftreten und Handeln während der Zeit seines Hierseins war nicht der Art, um sich unsere Sympathien zu erwerben und wenn man Alles Mögliche gethan hat, um Frankreich, so weit es nur immer unsere Neutralität zuliess, gefällig und dienstbereit zu sein, so war er jedenfalls nicht daran Schuld. Wenn Sie in geeigneter Weise eine Änderung insinuiren könnten, so handeln Sie nicht nur im Sinne des dermaligen Bundespräsidiums, sondern sämmtlicher Mitglieder des Bundesrathes, speciell meines Vorgängers sowol als meines Nachfolgers.
Die vielen Geschäfte haben die Beantwortung Ihres Schreibens betreffend die Verhandlung mit Bismark über die Evacuation der internirten franz. Armee bis jetzt verzögert. Die Darstellung des Verlaufs der Angelegenheit, über welche wir wegen unzuverlässiger Communication Sie nicht vollständig au courant halten konnten, wird Ihnen Manches in einem ändern Lichte erscheinen lassen.