Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 2, doc. 332
volume linkBern 1985
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#1230* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 517 | |
Dossier title | Wien, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Konsularberichte, Band 19 (1869–1872) |
dodis.ch/41865
Indem ich Ihnen Ihre geehrten Mittheilungen vom 8. Februar2 samt den Beilagen auf das verbindlichste verdanke, erlaube ich mir, Ihnen mitzutheilen, dass die rasche und geordnete Durchführung der Entwaffnung und Internirung der Bourbakischen Armee, soweit dieselbe bis jezt aus öffentlichen Blättern bekannt wurde, allgemein hier die höchste Anerkennung gefunden hat. Man zollt der Schnelligkeit und Ordnung, mit der diese militärischen Operationen ausgeführt wurden, um so unbedingteres Lob, als man ziemlich allgemein der Ansicht war, dass unser Wehrsystem ein so entscheidend promptes, präcises Ineinandergreifen nicht gestatte, oder dass wenigstens bei der verhältnismässig geringen practischen Übung unserer Truppen, Intendanzen etc. mancherlei Störungen und Unordnungen Vorkommen würden.
Von meinen deutschen Collegen ist mir bei verschiedenen Anlässen ihr Bedauern ausgedrückt worden, dass manche und zum Theil angesehene deutsche Blätter eine so höhnende, verletzende u. beleidigende Sprache gegen die Schweiz führen. Wenn es auch nur vereinzelte Stimmen sind und der süddeutsche Chauvinismus nicht gerade besorgniseinflössend ist, so bewirken doch diese Aufreizungen eine gegenseitige Erbitterung, die am wenigsten bei Gränznachbarn Platz greifen sollte.
Sowohl in der hiesigen Presse, als bei der Bevölkerung im Allgemeinen, herrscht eine namenlose Erbitterung gegen das neue Ministerium, trotzdem man bis jezt von demselben keinen anderen Act, als die dem Kaiser vorgeschlagene und gewiss sehr zweckmässige Amnestie für politische Pressvergehen, kennt.
Der Hass gegen die neue Regierung beruht vor der Hand auf blossen «Befürchtungen einer beginnenden Reaction». Sehr viel erhöht den Missmuth der Presse, der Umstand, dass sie absolut keine Ahnung von der Zusammensetzung des neuen Cabinetes hatte und ebenso, wie das grosse Publikum, durch die amtliche Wiener Zeitung, welche die Ernennung brachte, überrascht wurde. So ein officielles, undurchdrungenes Geheimniss verwinden die heutigen Journalisten eben sehr schwer.
Der neue Landesvertheidigungs-Minister, Generalmajor Freiherr von Scholl, besuchte mich am zweiten Tage nach seiner Ernennung und sagte mir im Laufe des Gespräches: «Ich hoffe, dass Sie mich aus unseren freundschaftlichen Beziehungen genau genug kennen, um überzeugt zu sein, dass ich unter keiner Bedingung in einem Ministerium, das reactionäre, ultramontane oder inconstitutionelle Tendenzen verfolgt, ein Portefeuille angenommen hätte». Er bemerkte mir ferner, dass das Ministerium unverbrüchlich auf dem Boden der Verfassung stehen, aber auch mit unnachsichtiger Strenge den von der Reichsvertretung erlassenen Gesetzen Achtung verschaffen werde. Er meinte, es sei allerdings eine sehr schwere Aufgabe für die Regierung, stillschweigend die masslosen Angriffe der Presse über sich ergehen lassen zu müssen und einer Nation gegenüber zu treten, deren Vertrauen in die Regierung vom ersten Augenblicke ihres Amtsantrittes systematisch untergraben werde. Das Ministerium werde sich jedoch durch diese ungünstigen Umstände nicht beirren lassen, sondern mit eiserner Consequenz sein vom Kaiser gutgeheissenes Programm ausführen.
Minister von Scholl ist ein ausgezeichneter Hydrotechniker und war auch eines der einflussreichsten Mitglieder der Donauregulirungscommission. Wir hatten schon seit zwei Jahren wiederholt die Rheindurchstichsfrage zum Gegenstand eingehender Erörterungen genommen. Ich ergriff daher die Gelegenheit, ihn freundlichst zu ersuchen, mich in seiner neuen Stellung in meinen Bemühungen, die Frage einem baldigen Abschlüsse entgegenzuführen, zu unterstützen und er versprach mir sowohl directe beim Minister des Innern, Grafen Hohenwart, diese Angelegenheit zu befürworten, als auch bei jeder Gelegenheit im Ministerrath dieselbe aufs wärmste zu vertreten.
PS. Die heutige «alte Presse» bringt über den Vorschlag des h. Bundesrathes beim Grafen Bismark, die franz. Armee Bourbaki zu entlassen, einen namenlos gehässigen Artikel voll Insulten u. Hohn gegen die Schweiz. Es darf diess nicht gerade Wunder nehmen, da der Eigenthümer & Chefredacteur der «Presse», Traeger, ein geborener Preusse (aus Königsberg) ist u. nach verlässlichen Angaben während des ganzen Krieges im Solde Preussens stand.
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Neutrality policy
Internment of the Bourbaki Army (1871)