Frage der politischen Tätigkeit italienischer Fremdarbeiter in der Schweiz. Rolle der Gewerkschaften und der italienischen Behörden. Einfluss italienischer und schweizerischer Kommunisten.
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 17, Dok. 69
volume linkZürich/Locarno/Genève 1999
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E4800.1#1967/111#21* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 4800.1(-)1967/111 4 | |
Dossiertitel | Beziehungen zu anderen Staaten - Italien: Allgemeines (1939–1956) | |
Aktenzeichen Archiv | 1.04.12 |
dodis.ch/4183
Die Bundesanwaltschaft an den Chef der Polizeiabteilung des Justiz- und Polizeidepartements, H. Rothmund1
ZUR FRAGE DER POLITISCHEN TÄTIGKEIT ITALIENISCHER FREMDARBEITER2
Zur Prüfung dieser Frage nahm ich mit zuverlässigen Gewerkschaftsfunktionären in Bern, Zürich, Winterthur, Schaffhausen und Basel Fühlung. Ich habe mit jedem Einzelnen eingehend diese Frage besprochen. Ich stiess ausnahmslos auf ein reges Interesse. Es war überall festzustellen, dass es den Leuten ein Bedürfnis war, mit einem Vertreter einer eidgenössischen Behörde diese Frage zu besprechen. Verschiedene gaben ihrer Befriedigung Ausdruck, dass sich die eidgenössischen Behörden auch mit dieser Seite des Problems befassen.
Ganz allgemein ist folgendes zu erwähnen: Die italienischen Fremdarbeiter in der Schweiz haben zur Hauptsache ein Interesse, Geld zu verdienen3. Sie sind an möglichst hohen Löhnen interessiert und wehren sich gegen alle Geldabgaben, so z. B. gegen die Bezahlung von Steuern. Sie wandten sich häufig an Gewerkschaftssekretariate mit der Bitte, dafür zu sorgen, dass sie von der Steuerpflicht entbunden würden.
Die italienischen Fremdarbeiter haben ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und gehen in ihrer Freizeit meist in Gruppen aus. Es handelt sich zum grössten Teil um Leute zwischen 20 und 30 Jahren. Ihre Jugend verbrachten sie unter dem fascistischen Regime. Demokratie ist für sie nicht mehr als ein Wort. Kommunismus steht für sie nicht im Gegensatz zur Demokratie, sondern stellt vielleicht eine Antipode zu der katholischen Kirche dar. Sie wissen, was Parteien und Gewerkschaften sind und wie Wahlen vor sich gehen. Trotzdem sind sie politisch ungeschult. Ein eigenes kritisches Urteil fehlt den meisten. Sie sind an politischen Fragen nicht desinteressiert, doch kommt in diesem Punkt ein gewisser Herdeninstinkt zum Vorschein, d. h. sie haben die Tendenz, irgendeinem «nachzulaufen». Die Zahl der auch in Italien politisch Aktiven ist klein. Aus diesem Kreis rekrutieren sich die Leute, um welche sich die grosse Zahl der andern gruppieren. Ausnahmen stellen vor allem ältere Arbeiter dar, welche früher schon in der Schweiz arbeiteten. Im Gegensatz zum grossen Haufen sind es auch diese Ausnahmen, welche Kontakt mit der schweizerischen Bevölkerung suchen und haben.
Die Gewerkschaften haben von Anfang an den Standpunkt vertreten, dass die italienischen Fremdarbeiter nach Möglichkeit in den Gewerkschaften organisiert werden sollen. Dies soll nach ihrer Ansicht die beste Garantie dafür bieten, dass nicht eine ungesunde Konkurrenz gegenüber den Schweizerarbeitern entsteht. Dies hat gewiss seine Berechtigung. Es ist verschiedenenorts festgestellt worden, dass die Arbeitsbedingungen der italienischen Fremdarbeiter in der Schweiz, welche nicht gewerkschaftlich organisiert sind, schlechter waren als für schweizerische Arbeitskräfte. Dadurch entsteht natürlich die Gefahr, dass auch die Arbeitsbedingungen für schweizerische Arbeitskräfte mit der Zeit verschlechtert werden könnten. Andererseits gibt es im grossen und ganzen kaum einen Unterschied in den Arbeitsbedingungen in Betrieben, in welchen auch die italienischen Fremdarbeiter der entsprechenden schweizerischen Gewerkschaft angehören. Die Anstellungsverhältnisse sollten von den italienischen Behörden in der Schweiz – nach Auffassung der italienischen Fremdarbeiter – kontrolliert werden. Verschiedentlich sollen sich Italiener an das zuständige Konsulat oder an die Gesandtschaft gewandt haben, mit der Bitte zu intervenieren, wenn irgendein Misstand vorhanden war. Die zuständigen italienischen Behörden in der Schweiz sollen aber kaum etwas von sich hören lassen. In den meisten Gewerkschaften mussten zu Beginn der ganzen Italieneraktion die italienischen Fremdarbeiter den vollen Beitrag zahlen. Die Gewerkschaften hatten dies so beschlossen, weil sie befürchteten, die schweizerischen Arbeiter würden andernfalls sich beschweren. Zahlreiche Kreise aus der Arbeiterschaft stellten sich auf folgenden Standpunkt: Die italienischen Fremdarbeiter profitieren heute vom sozialen Niveau der schweizerischen Arbeiterschaft. Diese hat aber in jahrzehntelangem Ringen ihre knappen Mittel zur Erreichung eines solchen hohen Niveaus verwendet. Die italienischen Fremdarbeiter sollten nun auch ihren Beitrag leisten, indem sie mindestens heute den gleichen Beitrag zahlen sollten wie die schweizerischen Arbeiter. Es zeigte sich aber bald, dass das nicht durchführbar war. Denn die italienischen Fremdarbeiter wehrten sich nicht nur gegen die Bezahlung von Steuern, sondern auch gegen die Beiträge an die Gewerkschaften. Um diese Leute trotzdem bei der Stange zu halten, wurden Sonderbeiträge beschlossen. In einzelnen Gewerkschaftssektionen, vor allem im Metallgewerbe, ging man sogar soweit, die von den Italienern bezahlten Beiträge nur in deren Interesse zu verwenden. Es wurden Filmabende organisiert und Referenten herangezogen, welche unser Land, unsere Lebensgewohnheiten und unsere Institutionen den italienischen Fremdarbeitern näherbringen sollten. Das Interesse war aber nicht gross. Besonders in der Metallindustrie wehrten sich die Italiener, auch Sonderbeiträge zu bezahlen. Zahlreiche Streichungen von der Gewerkschafts-Mitgliederliste mussten deshalb vorgenommen werden. Die Enttäuschung, besonders im Metallarbeiterverband, war gross. Nachdem seinerzeit bekannt geworden war, dass italienische Fremdarbeiter in die Schweiz kommen würden, wurde von gewisser Seite die Parole herumgeboten, die schweizerischen Behörden gestatten ausländischen Lohndrückern die Einreise. Die Zentralleitung des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiter-Verbandes ersuchte darauf alle Sektionen und Mitglieder ihres Verbandes, sich von dieser Kampagne nicht beeindrucken zu lassen, sondern im Gegenteil die italienischen Fremdarbeiter als gleichberechtigt und gleichwertige Kameraden aufzunehmen. Vor der Einreise der Italiener wurden an verschiedenen Orten die schweizerischen Arbeiter von den Gewerkschaften zu Versammlungen einberufen, um sie zu bitten, die italienischen Fremdarbeiter nicht mit feindseligen Gefühlen zu empfangen. Nach Auffassung der grösseren Gewerkschaften war und ist die Beschäftigung einer bestimmten Zahl ausländischer Arbeitskräfte für die schweizerische Volkswirtschaft notwendig und auch im Interesse der schweizerischen Arbeiterschaft selbst. Die Sorge der Gewerkschaften beschränkte sich darauf, dafür zu sorgen, dass die Arbeitsbedingungen, wie sie heute üblich sind, nicht durch die Anstellung fremder Arbeitskräfte gefährdet wurden. Trotzdem viele italienische Fremdarbeiter wieder aus der Gewerkschaft ausgeschlossen wurden, hat sich das Verhältnis zwischen Schweizerarbeitern und italienischen Fremdarbeitern bis jetzt noch nicht wesentlich verschlechtert. Der schweizerische Bau- und Holzarbeiterverband hatte im vergangenen Jahr zwischen 7000 und 8000 italienische Fremdarbeiter als Mitglieder.
Es ist selbst für diejenigen Gewerkschaftsfunktionäre, welche in ständigem Kontakt sind mit den italienischen Fremdarbeitern, schwer zu sagen, wie stark parteipolitische Strömungen unter den Fremdarbeitern vorhanden sind, die als Ausdruck einer Überzeugung betrachtet werden müssten. An wenigen Orten wurde festgestellt, dass italienische Fascisten agitierten. Die Gewerkschaften intervenierten sofort beim Arbeitgeber und bei den Behörden. Die betreffenden Ausländer wurden sofort entlassen und aus der Schweiz ausgeschafft. Auf verschiedene Art und Weise versuchten katholische Organisationen und die katholische Kirche in der Schweiz einen Einfluss auf die italienischen Fremdarbeiter auszuüben. Dies geschah beispielsweise in Winterthur in Verbindung mit einem katholischen Geistlichen, welcher mit den italienischen Fremdarbeitern in die Schweiz gekommen war. In Schaffhausen bemühten sich katholische Schwestern aus Italien, deren Aufgabe die Betreuung der italienischen Fremdarbeiter war oder ist, im gleichen Sinne. Beispielsweise wurde versucht, die Italiener bei ihren Kantonnementen zu sammeln, um dann geschlossen mit ihnen in die Kirche zu marschieren. Der erwartete Erfolg trat aber nicht ein. An verschiedenen Orten versuchten auch Leute der PdA mit den italienischen Fremdarbeitern in Kontakt zu kommen. Sie versuchten es entweder über eine Tessinersektion der PdA oder über Gewerkschaftssektionen, in welchen die PdA einen massgebenden Einfluss hat. Zum Teil geschah dies in Verbindung mit italienischen Kommunisten. In Basel und Zürich fanden beispielsweise Versammlungen italienischer Fremdarbeiter statt, an welchen der Italiener Gino Moscatelli, geb. 18994, sprach. In Basel wurde die Veranstaltung von der Tessinersektion der PdA, in Zürich von der Colonia libera italianaorganisiert. Nach dem Bericht des «Vorwärts» vom 18. November 1947 legte der Redner seinen Landsleuten ans Herz, sich mit ihren schweizerischen Kollegen solidarisch zu zeigen. In Winterthur und Schaffhausen, wo die PdA-Leute in den Gewerkschaften überhaupt keinen Einfluss haben, unterdrückten die Gewerkschaften jeden Versuch von PdA-Leuten, mit italienischen Fremdarbeitern in Kontakt zu kommen. Andererseits ist nicht daran zu zweifeln, dass die ca. 80 italienischen Fremdarbeiter, welche in der Gipser-Gewerkschaft von Zürich organisiert waren, in entsprechend parteipolitischem Sinne beeinflusst waren, da diese Gewerkschaft von PdA-Leuten vollständig beherrscht ist. Grosses Erstaunen löste in der Arbeiterschaft die Empfehlung eines Vertreters eines italienischen Konsulates in der Schweiz aus, die italienischen Fremdarbeiter möchten sich, soweit dies gehe, dem Textilund Fabrikarbeiter-Verband anschliessen. Dieser Verband, mit Sitz in Basel, wird zur Hauptsache von PdA-Leuten beherrscht.
Charakteristisch ist vielleicht der Fall Pratteln5. In der Metallwarenfabrik Schindler, Pratteln, brach dieses Frühjahr ein Streik italienischer Fremdarbeiter aus. Die schweizerischen Arbeiter traten in einen mehrstündigen Sympathiestreik. Aus Erzählungen verschiedener Gewerkschaftsfunktionäre lässt sich folgender Tatbestand rekonstruieren: In der Leitung der Metallarbeiter-Gewerkschaft hat es einige Leute der PdA. Diese haben nun offensichtlich die italienischen Fremdarbeiter aufgewiegelt, in den Streik zu treten. Die italienischen Arbeiter haben dabei Forderungen gestellt, welche sie gegenüber den Schweizerarbeitern privilegiert hätten. Sie sind offenbar zum voraus versichert worden, dass die Schweizerarbeiter einen Sympathiestreik auslösen würden, was dann unter der Führung der PdA-Leute auch geschah. Die Forderungen der Italiener seien nicht gerechtfertigt gewesen. Der Schweizerische Metallarbeiterverband sah im Verhalten der PdA-Leute eine Gefährdung und Verletzung des Friedensabkommens im Metallgewerbe und verfügte sofort den Ausschluss dieser Leute aus der Gewerkschaft.
Die an den italienischen Fremdarbeitern aus irgendeinem Grunde interessierten Kreise in der Schweiz haben bis heute einige Erfahrungen gesammelt. Diese Erfahrungen sind gute und schlechte. Wie ich feststellen konnte, sind aber die Erfahrungen nicht derart schlecht, dass sich in der nächsten Zeit, vor allem die extremistischen Kreise, von den italienischen Fremdarbeitern distanzieren werden. Meine Gewährsleute sind im Gegenteil davon überzeugt, dass die extremistischen Elemente ihre Anstrengungen verdoppeln werden. Es ist bekannt, dass die Gewerkschaften in Italien seit einiger Zeit ausserordentlich stark unter dem kommunistischen Einfluss stehen. Es ist durchaus möglich, dass die Zahl der aktiven Kommunisten unter den italienischen Fremdarbeitern inskünftig grösser sein wird. Die Gefahr besteht, dass die grosse politisch ungeschulte Masse stärker unter kommunistischem Einfluss sein wird als bis anhin. Es scheint dann wahrscheinlich, dass extremistische Kreise in der Schweiz dadurch eine Unterstützung erhalten. Das Problem der italienischen Fremdarbeiter wird wahrscheinlich heikler und verdient bestimmt alle Aufmerksamkeit. Ich bedaure ausserordentlich, dass es mir aus zeitlichen Gründen nicht möglich ist, noch andernorts, vor allem in der Westschweiz, wo der kommunistische Einfluss in den Gewerkschaften gross ist, diese Frage zu untersuchen. Ich bin gerne bereit, dies noch zu tun, soweit es als wünschenswert erachtet wird.
Welche Bedeutung dieser Frage in den Gewerkschaften beigemessen wird, zeigt sich an folgendem Beispiel: Der schweizerische Bau- und Holzarbeiterverband berief einige Wochen, nachdem ich dort vorgesprochen hatte, eine Konferenz zuverlässiger Vertrauensleute ein, und gab ihnen Kenntnis davon, dass in Zürich ein Sekretariat geschaffen werde, welches sich auch mit der Frage der politischen Betätigung italienischer Fremdarbeiter befasse. Die Funktionäre der Arbeiterorganisationen sozialdemokratischer Richtung wurden aufgefordert, zweckdienliche Angaben zu melden.
Ich gestatte mir in diesem Zusammenhang auf folgende Tatsache hinzuweisen: Die illegale kommunistische Partei der Schweiz arbeitete während des Krieges einen Plan aus, die sozialdemokratische Partei von innen heraus zu sprengen. Dieser Plan wurde bekannt und die Stützpunkte der Kommunisten innerhalb der sozialdemokratischen Partei wurden liquidiert. Die Kommunisten verlegten dann ihr Tätigkeitsgebiet in die Gewerkschaften. Seit 1945 geht nun der Kampf in den Gewerkschaftssektionen zwischen Sozialdemokraten und Leuten der PdA. Dieser Kampf ist allerdings nicht offen, sondern geht mehr versteckt vor sich. In Bern, Winterthur und Schaffhausen haben die Leute der PdA kaum einen Einfluss. Anders liegen die Verhältnisse dagegen in Zürich, Basel, Genf. Im gesamten genommen ist der Einfluss der PdA in den Gewerkschaften noch ein kleiner. Doch ist nicht zu verkennen, dass irgendwelche internationalen Ereignisse auch in dieser Beziehung ihre Wirkungen haben. Ich glaube, feststellen zu dürfen, dass der Kampf gegen den Einbruch fremder Ideologien in den Gewerkschaften konsequenter durchgeführt wird als in vielen politischen Organisationen; und zwar ist dieser Kampf nicht ein rein defensiver. Ich verweise auf die seit einigen Wochen neue Tendenz in der «Nation». Diese ist auf einen Beschluss des Verwaltungsrates zurückzuführen, der mehrheitlich aus Vertretern der Gewerkschaften besteht. Ich gestatte mir noch eine persönliche Bemerkung: Ich halte die Gewerkschaften als das erste Bollwerk im Kampfe gegen extremistische Strömungen. Ein engerer Kontakt mit den entsprechenden Leuten in den Gewerkschaften wäre durchaus für die Behörden zweckmässig und sicher im Interesse des Landes.
- 1
- Bericht (Kopie): E 4800.1(-)1967/111/21.↩
- 2
- Dieser Bericht, dessen Original nicht aufgefunden werden konnte, ist nicht unterzeichnet. Er wurde am 24. Mai 1948 mit folgendem Begleitschreiben von F. Dick an H. Rothmund gesandt: Beiliegend sende ich Ihnen den Bericht des Ihnen bekannten Verfassers …↩
- 3
- Zur Rekrutierung italienischer Arbeiter in der Schweiz vgl. DDS, Bd. 16, Dok. 120, dodis.ch/302. Am 22. Juni 1948 kam es in Rom zum Abschluss einer Vereinbarung zwischen der Schweiz und Italien über die Einwanderung italienischer Arbeitskräfte in die Schweiz, vgl. AS, 1948, S. 838–844. Zu den vorangegangenen Verhandlungen vgl. E 2001(E)-/1/90, E 4800.1 (-)1967/111/21, E 7001(B)-/1/543, E 7170(A)-/1/24 und E 7175(B)1978/57/23.↩
- 4
- Es handelt sich hier um Cino (Vincenzo) Moscatelli, geb. 1908, vgl. E 4320(B)1978/121/26.↩
- 5
- Vgl. E 4320(B)1974/47/74 und E 2001(E)-/1/90.↩
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