Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 2, Dok. 301
volume linkBern 1985
Mehr… |▼▶Aufbewahrungsort
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2#1000/44#1641* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2(-)1000/44 269 | |
Dossiertitel | Frage der Besetzung von Chablais und Faucigny und Übergabe dieser Provinzen an die Schweiz während des deutsch-französischen Krieges von 1870-1871 (1870–1873) | |
Aktenzeichen Archiv | B.137.1 |
dodis.ch/41834
Ihrem Aufträge gemäss2 haben sich das politische & das Militärdepartement auf einen Instruktionsentwurf für den nach Tours in Spezialmission abzusendenden Delegirten verständigt, wie es in Beilage vorliegt. Als Delegirten schlägt das polit. Departement den Herrn Stabsmajor Dr. Roth, Sekretär des politischen Departements, vor.
Entwurf einer Instruction für den Delegirten nach Tours
1. Der Delegirte wird dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten in Tours mittheilen, dass der schweizerische Bundesrath für den Fall, als sich die deutsche Armee weiter nach dem Süden Frankreichs wenden würde, für angemessen erachte, von dem der Schweiz zustehenden Besezungsrechte der neutralisirten Provinzen von Savoyen Gebrauch zu machen.
2. Er wird erklären, dass die Schweiz sich bei dieser Besezung strenge an die Vorschriften der Verträge halten werde. Demgemäss werde man sich schweizerischer Seits in die Civilverwaltung des Landes nicht einmischen. Der Bundesrath werde dem Besazungscorps einen eidgenössischen Kommissär beigeben, welcher den Verkehr zwischen dem schweizerischen Militärkommando und der Civilverwaltung des Landes zu vermitteln habe.
3. Das schweizerische Militärkommando wird die Weisung erhalten, die deutschen Truppen3 am Betreten des neutralisirten Gebietes zu hindern.
4. Die Anzeige der Occupation des neutralisirten Gebietes geschieht durch den Bundesrath an die französische Regierung und gleichzeitig an den Präfecten von Hoch-Savoyen.
5. Drei Tage nachdem der Präfect von Hoch-Savoyen diese Anzeige erhalten hat, haben die französischen Streitkräfte das neutralisirte Gebiet zu verlassen.
6. Mit dem Momente des Einrükens der schweizerischen Truppen auf savoiisches Gebiet tritt der gesammte neutralisirte Theil in militärischer Beziehung gegenüber den Kriegführenden in dasselbe Verhältniss, in welchem sich das Gebiet der Eidgenossenschaft befindet.
7. Auf dem neutralisirten Gebiete gelten von dem Augenblike des Einmarsches an alle Vorschriften, welche die Eidgenossenschaft unterm 16. Juli 18704 für die Aufrechthaltung der Neutralität des Schweiz. Gebietes erlassen hat. Diese Vorschriften werden durch den dem schweizerischen Oberkommandanten beigegebenen eidgenössischen Kommissär vollzogen.
8. Alle militärischen Anordnungen erfolgen während der Occupation ausschliesslich durch den Kommandanten der eidgenössischen Truppen. Die Municipalgarden, welche die französischen Behörden in den einzelnen Gemeinden aufzustellen für gut finden werden, sollen nur zum Polizeidienst und nur in den Grenzen ihrer Gemeinde verwendet werden. Dieselben werden sich unter allen Umständen den militärischen Anordnungen der Schweiz. Besazung unterordnen.
9. Insoweit nicht durch specielle Übereinkunft andere Anordnungen getroffen werden, gelten in dem neutralisirten Gebiete in Bezug auf die Unterkunft, die Verpflegung u. Fuhrleistungen der schweizerischen Truppen die Bestimmungen, welche in dieser Beziehung für die Schweiz. Eidgenossenschaft selbst aufgestellt sind. Die Entschädigungen an die Gemeinden und Privaten für Lieferungen und Leistungen aller Art finden nach den gleichen Vorschriften statt und sind von der eidgenössischen Kriegsverwaltung baar zu bezahlen.
Sobald als immer thunlich, wird die Verpflegung der Truppen durch Austheilung aus Magazinen bewerkstelligt. Nur in ausnahmsweisen Fällen soll die Verpflegung durch den Bürger gegen gesezliche Entschädigung stattfinden.
10. Alle Lieferungen, welche von der Schweiz aus in das neutralisirte Gebiet für Ausrüstung, Bekleidung und Ernährung des Occupationscorps gemacht werden, sind von allen Zöllen und Abgaben des Staates sowohl als der Gemeinden befreit. Dasselbe gilt auch von den Sendungen, welche an einzelne Militärs für ihre persönlichen Bedürfnisse gemacht werden.
11. Für die schweizerischen Truppen wird ein besonderer Feldpostdienst eingerichtet werden. Die schweizerische Feldpost wird indessen keine Briefe der savoiischen Bevölkerung befördern.
12. Bezüglich der Jurisdictionsverhältnisse wird festgesezt, dass alle zur Schweiz. Armee gehörenden Personen auch während ihres Aufenthaltes in Savoien unter dem schweizerischen Recht verbleiben und von schweizer. Gerichten zu beurtheilen sind.
13. Der schweizerische Delegirte wird auf einen raschen Abschluss dringen. Mit Rüksicht auf die Schwierigkeiten der Kommunikationen werden ihm noch folgende eventuelle Instructionen ertheilt:
a. für den Fall, als die Regierung in Tours auf eine Regelung der bezeichneten Verhältnisse überhaupt nicht eintreten wollte oder eine kunctatorisch-evasive Haltung entgegensetzen würde, wird der Delegierte bestimmt betonen, dass der Bundesrath diese Verständigung über den Modus der Execution durchaus nicht als eine Bedingung zur Ausübung des Besazungsrechtes betrachte; sondern dass er sich die freie Befugnis Vorbehalte, die Besazung auch ohne eine solche Verständigung vorzunehmen.
b. Er wird im Falle der Erfolglosigkeit einer lezten Anstrengung der Regierung in einer Note seine Abreise ankündigen und derselben eröffnen, dass der Bundesrath sich auch ohne Verständigung bei der Besezung an die in obigen Instructionen enthaltenen Punkte halten werde.
c. Der Delegirte wird sich auf keine Erörterungen über eine spätere Lösung der Savoierfrage und ebensowenig auf die Frage des Kostenersazes dieser Besezung einlassen, wohl aber vorkommenden Falls erklären, dass der Schweiz. Bundesrath gemäss der in seiner Note vom 12. August d. J.5 abgegebenen Erklärung zu einer Neuregulirung dieses Verhältnisses im Wege einer freundschaftlichen Auseinandersezung stets geneigt sei, wogegen er eine Vermengung dieser Frage mit der gegenwärtigen Besezungsfrage nicht für zuträglich erachte.
d. Sollte die Regierung in Tours verlangen, dass die Schweiz sich verpflichte, die Besezung von Nordsavoien beim Aufhören des Krieges wieder aufzuheben, so wird der Delegirte ermächtigt, eine solche Erklärung in das Instrument aufzunehmen; dagegen ist das Recht der Schweiz, während der Dauer des Krieges von ihrem Besezungsrechte nach Belieben Gebrauch zu machen, zu wahren.
14. Der Delegirte wird über den Gang der Verhandlungen den Bundesrath möglichst auf dem Laufenden halten, soweit möglich dessen fernere Instructionen einholen und bei kleinern Modificationen der ihm ertheilten Instructionen, welche ihm Vorbehalten bleiben, stets sorgfältig darüber wachen, dass die der Schweiz zustehenden Rechte in keiner Weise geschwächt werden6.
- 1
- E 2/1641.↩
- 2
- Cf. no 300, annexe.↩
- 3
- Dans le texte définitif de l’instruction, le Conseil fédéral remplacera «die deutschen Truppen» par «alle nicht schweizerischen Truppen» (cf. note 5).↩
- 4
- FF 1870/III, pp. 7-8.↩
- 5
- Cf. no 273.↩
- 6
- Approuvé, après quelques légères modifications, par le Conseil fédéral dans sa séance du 12 novembre 1870. Cf. E 1004 1/83,4789.↩
Tags
Neutralität Savoyens (1870–1871)