Language: German
1.11.1869 (Sunday)
Le Ministre de Suisse à Paris, J. C. Kern, au Président de la Confédération, E. Welti
Political report (RP)
Observations sur l’effervescence protectionniste contre les traités de commerce. Situation extérieure calme.

Classement thématique série 1848–1945:
I. LES RELATIONS INTERGOUVERNEMENTALES ET LA VIE DES ÉTATS
I.12 FRANCE
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Printed in

Roland Ruffieux (ed.)

Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 2, doc. 215

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Bern 1985

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Cover of DDS, 2

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dodis.ch/41748
Le Ministre de Suisse à Paris, J. C. Kern, au Président de la Confédération, E. Welti1

[...]2 Die protektionische Agitation gegen die Handelsverträge, von der ich Ihnen schon im lezten Rapporte meldete, «dass sie der Regierung ernste Verlegenheiten bereite», nimmt immer grössere Dimensionen an u. trit in der Normandie u. im Depart, du Nord noch weit kecker auf, als es im Eisass der Fall war. Ich verweise z. B. nur auf die Rede, welche der gewandte u. energische, ökonomisch ganz unabhängige Chef der Protektionisten, Pouyer-Quertier lezten Freitag unter allgemeinem Beifall vor einem Meeting von circa 2000 Personen in Rouen gehalten hat, u. die Sie im Journal des Débats von heute reproduzirt finden. Die von ihm geführte Sprache findet um so mehr Anklang, als sie der Opposition eine erwünschte Waffe mehr ist, das pouvoir personel anzugreifen. Es soll nun eine Versammlung von Gegnern der Handelsverträge, welche die verschiedenen Branchen der Industrie representiren, nach Paris ausgeschrieben werden. Pouyer-Quertier ist gestern bereits in Paris angelangt, um hier die Direktion der conzentrirten Opposition gegen die Handelsverträge zu übernehmen, u. einen wahren Sturm gegen dieselben zu organisiren. Dass Rouher u. Forçade de la Roquette politisch alle Popularität eingebüsst haben, erleichtert ihm solches Beginnen u. die unzufriedenen Elemente freuen sich solcher Verstärkung ihrer Opposition gegen die Regierung. Es ist sogar davon die Rede, ihn als Candidaten für eine der zu besezenden Stellen der Pariser Deputation zu portiren, damit er in der Kammer für seine Bestrebungen mit seiner unermüdlichen u. oft durchschlagenden Kraft auftreten könne. Es ist wohl möglich, dass diess gelingt. In der lezten Zeit regen sich freilich auch die Elemente, welche der Handelsfreiheit günstig sind, namentlich in Bordeaux u. überhaupt im südlichen Frankreich. Allein die einflussreichem Männer in der Kammer sind offenbar mit der Agitation gegen die Handelsverträge einverstanden, u. erklären es schon jezt bei Anlass der Meetings u. der Rundreise von Ozenne, der eine schwierige Stellung hat. Pouyer-Quertier wagte sogar, ihn in seiner Rede als einen «agent anglais» (!) zu qualifiziren. Die Handelsverträge sollen durch einen neuen von den Kammern zu genehmigenden allgemeinen Tarif ersezt werden (!). Was man von einem solchen Tarif erwartet, können Sie daraus schliessen, dass Pouyer-Quertier geradezu erklärt: «Qu’on supprime les prohibitions, c’est bien. Mais qu’on ne vienne pas nous dire aussi qu’il faut détruire les droits protecteurs. Du moment qu'il n’y a plus de prohibitions, la liberté commerciale existe!!Schöne Aussichten, wenn je Männer mit solchen Ansichten einst zur Leitung der französisch. Administration gelangen sollten!

Was die Politik nach A ussen betrifft, so trit solche bei der jezigen Situation nach Innen ganz in den Hintergrund. Die Vorgänge in Dalmatien ziehen allerdings auch hier die Aufmerksamkeit auf sich; aber man zweifelt doch nicht, dass die österreichische Regierung der Bewegung Meister werde.

Wenn die Spanier endlich dazu gekommen sind, sich einen König zu geben, der, 15 Jahre alt, jezt noch die Schulen besucht! so will hier niemand in einem solchen Akte eine Garantie für langen Frieden im Innern Spaniens erbliken. Die Reiseberichte, welche über den Empfang der Kaiserin in Konstantinopel u. in Egyptendie. Spalten der offiziösen Blätter füllen, vermögen nicht von ferne den Übeln Eindruk zu verwischen, den überhaupt diese Reise der Kaiserin unter jezigen Umständen im Publikum allgemein gemacht hat. Lezterer wird vielmehr neuerdings aufgefrischt durch die gestern verbreiteten Gerüchte, der Kaiser befinde sich abermals unwohl. Es wird sein Leiden zwar als ein einfaches rheumatisches erklärt, aber man ist gegen alle solche Hofberichte – u. zwar gestüzt auf Erfahrung – misstrauisch, u. nimmt für bekannt an, dass, wenn das Leiden sein früheres Blasenleiden, ein Rükfall desselben wäre, man es natürlich so lange als immer möglich verheimlichen würde. Alles diess zusammen erhält eine gewisse Unruhe, die nach allen Seiten ihre fatalen Rükwirkungen hat.

1
Rapport politique: E 2300 Paris 22.
2
Dans la première partie du rapport, Kern traite de la politique intérieure française.