Classement thématique série 1848–1945:
I. LES RELATIONS INTERGOUVERNEMENTALES ET LA VIE DES ÉTATS
I.1 ALLEMAGNE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 2, doc. 93
volume linkBern 1985
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#84* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 46 | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 1 (1867–1873) |
dodis.ch/41626
Heute Morgen ist mir Ihre, resp. des h. Bundesrathes Zuschrift vom 15. May2 richtig zugegangen & ich werde trachten dem darin ertheilten Aufträge, so weit möglich, ohne Zögern Folge zu leisten.
Gestern erhielt ich die Nachricht, dass der König wünsche, mich Nachmittags 4 Uhr zu empfangen & mein Creditiv entgegenzunehmen. Da Graf Bismarck für 2–3 Tage abwesend ist, so wurde ich durch den Unterstaatssecretär v. Thiele & den ersten Ceremonienmeister, Kammerherrn v. Röder (den Bruder des Gesandten in Bern) eingeführt. Ich übergab das Schreiben des h. BR. mit wenigen Worten, worin ich betonte, dass die Schweiz den aufrichtigen Wunsch hege, mit Preussen in freundschaftlichen Beziehungen zu stehen & dass der BR. geglaubt habe, diesem Wunsche keinen entsprechenderen Ausdrukk verleihen zu können, als durch die Entsendung eines besondern diplomatischen Agenten nach Berlin. Der König antwortete darauf ebenfalls mit wenigen, sehr freundlichen Worten & sagte u. A., es freue ihn ausserordentlich, dass die Schweiz ihm einen Gesandten schikke; er wolle es nicht verhehlen, dass er schon lange gewünscht habe, die Schweiz möchte in dieser Hinsicht Reciprocität üben. Dann begann eine Conversation über allerlei sehr unschuldige Dinge, & nach etwa 10 Minuten war ich entlassen. Der Empfang war ein durchaus freundlicher u. der alte Herr war über die Massen liebenswürdig & gesprächig. Er sieht für seine 70 Jahre noch merkwürdig frisch & rüstig aus & soll sich auch aus langen Touren zu Pferde gar nichts machen. Nachdem nun die Vorstellung allerhöchsten Ortes vorüber ist, kann ich meine Visiten-Rundfahrt bei den Ministern u. beim diplomatischen Corps antreten u. ich gedenke damit wirklich morgen zu beginnen.
Die erforderlichen formellen Belehrungen, soweit ich solche, nach den Mittheilungen des Generals v. Röder noch bedurfte, hat mir heute dessen Bruder, der schon genannte Ceremonienmeister, ertheilt u. zwar mit einer Freundlichkeit u. Dienstbereitwilligkeit, die mich wirklich zu hohem Danke verpflichtet. Auch er betonte, dass man die Aufstellung eines schw. Gesandtschaftspostens für Berlin hier sehr gut aufgenommen habe, besonders auch Angesichts der vielfachen preussenfeindlichen Ausfälle der schweizerischen, insbesondere der französischschweizerischen Presse. Preussen wolle durchaus nichts als gute Nachbarschaft mit der Schweiz halten u. glaube, durch seine bisherige Haltung keinen Anlass zu einer feindseligen Stimmung des Schweiz. Volkes gegeben zu haben. Es wäre mir lieb, wenn Sie gelegentlich dem Gesandten v. Röder andeuten wollten, dass ich mit meinem Empfang in Berlin überhaupt sehr zufrieden sei & insbesondere die Gefälligkeit seines Bruders nicht genug zu rühmen wisse.
Heute Vormittag erhielt ich den Besuch des Hrn. Conrad Hirzel, provisos Schweiz. Consuls in Leipzig. Er beschwerte sich bitter darüber, dass er vom BR. nicht entlassen werde u. keinen Bescheid erhalte, wohin er das Consulats-Archiv hinthun solle. Er könne absolut nicht länger in Leipzig bleiben, als höchstens bis 31. Mai, indem er in London eine Anstellung angenommen habe, die er zu Anfang Juny antreten müsse. Ich versprach ihm, hierüber sofort an Sie zu schreiben & bitte Sie, dem jungen Mann wenigstens dahin zu entsprechen, dass Sie ihm wegen des Archivs Weisung ertheilen. Er sagte, da er mit dem engl. Consul wohl befreundet sei, so könnte er die Schriften – natürlich versiegelt – bei diesem deponiren, was vielleicht das Einfachste wäre. Eventuell, meinte er, würde wohl auch sein Oheim, der Buchhändler Salomon Hirzel, die Sachen bei sich aufnehmen. Da der letztere jedenfalls nicht etwa auf das Consulat aspirirt, so könnte auch zu diesem Auskunftsmittel unbedenklich geschritten werden; aber irgend eine Weisung muss natürlich ungesäumt ertheilt werden.
Die Frage wegen der Consulate in Deutschland überhaupt habe ich noch nicht Zeit gefunden, ernsthaft an die Hand zu nehmen; es soll aber nächstens, sobald ich einmal über die Fluth des Visiten-Gebens u.-Empfangens hinaus bin, geschehen. Was Leipzig speziell angeht, so scheint die Personenfrage grosse Schwierigkeiten zu bereiten; Sal. Hirzel & Buchhändler Weber, wahrscheinlich die geachtesten Schweizer in Leipzig, sind als /...]3 & nicht zur Übernahme geneigt; ein Kaufmann Werder (?) v. Zürich, den Hr. Hirzel früher einmal empfahl, befindet sich, wie ich höre, in einer so untergeordneten socialen Lage, das ernstlich kaum von ihm die Rede sein kann; er würde sich auch ohne Besoldung nicht gebrauchen lassen. Hormann, der von Hrn. Philippin Empfohlene, befinde sich das halbe Jahr oder mehr ausserhalb Leipzig auf Geschäftstouren. Ohne die Hauptfrage präjudiciren zu wollen, glaube ich, dürfte es bei solcher Sachlage ganz passend sein, Hrn. Hirzel zu entlassen & einstweilen eine Sedisvacanz eintreten zu lassen; gerade eine solche wird dann am ehesten zeigen, ob die Wiederbesetzung der Stelle als lebhaftes Bedürfniss empfunden wird. Hr. Hirzel glaubte, wenn der diplomatische Posten in Berlin fortdauere, so werde das Consulat in Leipzig eine ziemlich überflüssige Sache werden & ich meines Ortes bin vorläufig geneigt, diese Ansicht für richtig zu halten. Jedenfalls wird eine kurze Vacanz zwischen Jubilate- & Herbstmesse (erste ist so gut als zu Ende) keinerlei erhebliche Nachtheile im Gefolge haben.
Schliesslich noch die Nachricht, dass ich die Sendung der Bundeskanzlei mit bestem Dank empfangen habe; wozu die zwei Gesandtschaftssiegel dienen sollen, ist mir nicht ganz klar oder soll das Eine als nasser Stempel dienen? In diesem Falle hätte ich gern gleich auch ein Farbekissen nebst Apparat erhalten. Einen Chiffrir-Apparat vermisse ich auch, obgleich jetzt schwerlich die Zeit zu chiffrirten Depeschen ist.
Nach meiner Rechnung müssen Sie heute (Sonntags) meine Depesche No 1 von letztem Freitag4 empfangen haben.