Classement thématique série 1848–1945:
I. LES RELATIONS INTERGOUVERNEMENTALES ET LA VIE DES ÉTATS
I.1 ALLEMAGNE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 2, doc. 78
volume linkBern 1985
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2#1000/44#579b* | |
Old classification | CH-BAR E 2(-)1000/44 105 | |
Dossier title | Dr. Heer Joachim, Glarus (1867–1868) | |
File reference archive | C.220.13 |
dodis.ch/41611
Anstatt Ihrem [...]2 ein kurzes Telegramm ein einfaches Ja oder Nein zu melden, halte ich es für schikklicher, wenn ich Ihnen brieflich, zu Händen des h. Bundesrathes, diejenigen Gesichtspunkte darlege, welche mich bei meinen Entschliessungen in der bewussten Angelegenheit leiten. Ich möchte namentlich das hohe u. unverdiente Zutrauen, welches der h. Bundesrath mir zuzuwenden die Geneigtheit gehabt hat, nicht durch eine trokkene, ohne Begründung dastehende Ablehnung vergelten.
Wie ich am lezten Donnerstag Abends Ihnen mündlich zu eröffnen die Ehre hatte, ist das oberste u. wichtigste Bedenken, welches sich mir dargeboten hat, die Besorgniss, dass ich der mir zugedachten Stellung in mehr als Einer Beziehung nicht gewachsen sei, namentlich nicht in der kritischen Zeit, in welcher die Thätigkeit ihren Anfang zu nehmen hätte. Ich will u. kann mich über diese Seite der Frage nicht verbreiten: es entzieht sich dieselbe, ihrer Natur nach, jeder Diskussion u. gehört in das Gebiet derjenigen Dinge, die Jeder nur mit sich selbst in genauer u. gewissenhafter Selbstprüfung abzumachen hat. Das schmeichelhafte Zutrauen des h. Bundesrathes, worin ich allerdings das Zeugniss erblikke, dass Derselbe jene Besorgniss nicht theilt, kann mich in meiner eigenen Ansicht deshalb nicht wankend machen, weil ich mich selber am besten kennen muss, u. gewisse Seiten meines Wesens, die mir für eine diplomatische Thätigkeit in schwieriger, drangvoller Zeit am meisten Bange machen würden, den Mitgliedern des h. Bundesrathes kaum bekannt sein können.
Es wäre allerdings dieses Motiv allein schon vollständig ausreichend, um die Ablehnung zu begründen: eben deshalb habe ich in der mündlichen Unterredung auch nur dieses benannt. Heute indessen erlaube ich mir, auch noch einen ändern Punkt zu berühren. Sie belieben sich zu erinnern, dass meine erste Frage, nach Anhörung ihrer Eröffnungen, die war: ob der Antrag dahin gemeint sei, dass ich den diplomatischen Posten in Berlin als eine dauernde Anstellung zu übernehmen hätte, oder ob es sich nur um eine zeitlich abgegränzte, mehr den Character einer Spezialmission an sich tragende Verwendung handeln würde. Diese Frage müsste auch jetzt, wenn ich alle anderen Bedenken zum Schweigen zu bringen vermöchte, in den Vordergrund meiner Erwägungen treten. Eine dauernde Anstellung, auch wenn dabei der – übrigens selbstverständliche – Vorbehalt beliebigen Rükktrittes gemacht würde, zieht mit voller Nothwendigkeit das sofortige Aufgeben aller meiner hiesigen Beamtungen nach sich, u. ich habe also jedenfalls in [...]3 zu prüfen, ob ich mich dieser Konsequenz unterwerfen will oder nicht. Diese Vorträge nun habe ich bereits mündlich in Bern entschieden verneint u. ich muss es nachträglich schriftlich nochmals thun. So interessant u. wichtig in besonders gearteten, ausserordentlichen Zeitläufen eine diplomatische Thätigkeit in Berlin sein möchte: in gewöhnlichen, normalen Zeiten, die hoffentlich doch auch wieder kommen werden, erachte ich die Stellung u. die Wirksamkeit des Gesandten eines kleinen Staates für nichts weniger als beneidenswerth u. habe ganz ernstlich die Ansicht, dass ich der Welt in meiner bescheidenen Stellung im hiesigen Kanton mehr nütze, denn als Minister der schw. Eidgenossenschaft in Berlin – gar nicht zu reden von dem Masse eigener Befriedigung, die mir aus der einen oder aus der ändern dieser Stellungen erwachsen würde.
Was ich also im lezten Falle übernehmen könnte, das ist eine Verwendung auf kurze, wenigstens in einem gewissen Sinne limitirte Zeit. Dabei weiss ich sehr wohl, dass man mir nicht dafür garantiren könnte, mich in drei oder auch in vier Monaten unbedingt zu entlassen; allein die Sicherheit müsste ich haben, dass ich nach Beseitigung derjendigen Conjuncturen, unter denen der Posten mir übertragen würde u. aller längstens nach dem Ablauf von 6 Monaten in meine Heimath u. meinen dortigen Pflichtenkreis zurükkehren könnte. Nun aber erlaube ich mir die Ansicht auszusprechen, dass die Übertragung der Stelle in einem solchen Sinne sich vom Standpunkt des öffentlichen Interesses aus schwerlich als angemessen erweisen dürfte. Ein rascher Wechsel des Personals kann weder der Regierung, bei welcher eine Gesandtschaft accreditirt ist, angenehm, noch auch für eine tüchtige Leitung der Geschäfte erspriesslich sein, indem alle Kenntniss des Terrains, der Menschen u. Dinge, sowie auch alle die persönlichen Anknüpfungspunkte, die der Vorgänger allfällig sich erworben hat, für den Nachfolger sofort grossentheils verloren sind u. erst wieder frisch gewonnen werden müssen. Schon von diesem Standpunkte aus halte ich es für sehr wichtig, dass der h. Bundesrath daran festhalte, die Stelle, die ja dazu bestimmt sein soll, eine dauernde zu sein, mit keinem Mann zu besezen, der nicht wenigstens die Absicht u. den Willen mitbringt, sie gewünschten Falles auch dauernd zu bekleiden. Ich stelle mir übrigens vor, dass diese Auffassungsweise auch beim h. Bundesrath prävalirt, dass aber vielleicht die Schwierigkeit, eine geeignete Persönlichkeit zu finden, das Bedenkliche eines Provisoriums weniger ins Gewicht fallen lassen könnte. Indessen bitte ich zu erwägen, dass die Personenfrage in That u. Wahrheit durch die Gestattung eines Provisoriums durchaus nicht erleichtert oder vereinfacht wird. Wenn sie beispielsweise m/c/inach Berlin senden wollten, in der bestimmten Voraussicht, dass ich im Spätjahr jedenfalls wieder von dem Posten zurükktrete, so schaffen Sie sich damit die Nothwendigkeit, nach Ablauf einiger Monate auf die Wahl neuerdings zurükkkommen zu müssen, u. da alle Diejenigen, die etwa im Herbst in Betracht fallen können, heute schon vorhanden u. den h. Bundesrathe gerade so gut jezt als künftig bekannt sind, so wird die Schwierigkeit genau gleich gross oder gleich gering sein, ob im gegenwärtigen Augenblikk ein Candidat an meiner Stelle aufgesucht oder im Herbst ein Nachfolger für mich gesucht werden muss. Bios ist mit vieler Wahrscheinlichkeit zu vermuthen, dass der rasche Rükktritt des ersten Titulars abschrekkend wirken u. Mancher eine Zurükksetzung darin erblikken würde, dass man nicht in der ersten Linie u. für die interessanteste Zeit an ihn gedacht hat.
Sie sehen also, hochgeachteter Herr Bundespräsident! dass hier ein Dilemma besteht, aus welchem nicht leicht herauszukommen sein würde. Das Äusserste, wozu ich mich u. auch dazu mit schwerem Herzen entschliessen könnte, wäre die Übernahme einer Mission von verhältnissmässig kurzer Dauer, in der bestimmten u. unabänderlichen Meinung, dass ich nach Verfluss von 3–4 Monaten, wieder nach Hause entlassen u. also nicht genöthigt würde, bei Übernahme der Stelle meine hiesigen Verhältnisse zu ändern. Eine Anstellung auf solche Bedingung kann aber hiewieder ohne Zweifel dem Bundesrathe nicht conveniren u. es stellt sich also, auf den einfachsten Ausdrukk gebracht, die Sachlage so dar: was die Wahlbehörde haben sollte, kann ich nicht gewähren; was ich gewähren könnte, kann jene nicht befriedigen. Es bleibt sonach meines Erachtens gar nichts Andres übrig, als sofort den Blikk auf eine andere Persönlichkeit zu lenken u. von mir gänzlich Umgang zu nehmen. Es kommt dabei auch noch – um nichts unberührt zu lassen – ein an sich geringfügiger, aber unter gegenwärtigen Umständen doch nicht ganz gleichgültiger Punkt in Betracht. Der Bundesrath wünscht – u. mit gutem Grunde – dass der neu zu ernennende Gesandte mit möglichster Beförderung sich an seinen Posten begebe. Nun ist aber auf den 5. May unsere Landsgemeinde4 ausgekündet u. bei der massenhaften Arbeit, welche dieselbe zu bewältigen hat, könnte ich die grosse körperliche u. geistige Fatigue der Führung der Gemeinde unmöglich meinem alternden Stellvertreter zumuthen. Ich müsste also jedenfalls über den 5. May hier bleiben u. könnte vor dem 7. May kaum abreisen, da Derjenige, der eine 4–5-stündige Landsgemeinde geleitet hat, am ersten Tage hernach in der Regel ein halber Invalid ist.
Ich hoffe, durch das Vorstehende Ihnen den Nachweis geleistet zu haben, dass es nicht ein Mangel an Hingebung an die Interessen des Vaterlands, sondern das Ergebniss einer nüchternen u. richtigen Abwägung aller in Betracht fallenden Verhältnisse gewesen ist, was mich bewogen hat u. bewegen musste, die mir zugedachte Mission unter bester Verdankung abzulehnen, u. ich vertraue, dass der h. Bundesrath, bei Würdigung der Sachlage, meinen Entschluss nicht blos begreifen, sondern auch billigen wird5.