Classement thématique série 1848–1945:
VI. RELATIONS MULTILATÉRALES
VI.5. Congrès européen
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 488
volume linkBern 1990
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2#1000/44#45* | |
Old classification | CH-BAR E 2(-)1000/44 2 | |
Dossier title | Einladung Frankreichs [Kaiser Napoleons] zu einem europäischen Kongress zur Befriedigung Europas [Revision der Wienerverträge von 1815] (1863–1864) | |
File reference archive | B.18 |
dodis.ch/41487
Ich habe Ihnen gleich nach Rückkehr aus dem Louvre die wichtigsten Stellen aus der kaiserlichen Eröffnungsrede telegraphisch mitgetheilt2, welche gewissermassen als das Programm der Politik des Kaisers für die nächste Zukunft angesehen werden können. Ich beeile mich, schriftlich noch Einiges nachzutragen.
Die Kammern waren im gewöhnlichen Lokal im Louvre versammelt und das Cérémonial das Gleiche wie bisher. Rouher war es, der als Ministre d’Etat die neuernannten Senatoren und die Mitglieder des Corps législatif nach der bekannten kurzen Formul in Eidespflicht nahm.
DerTheil der Rede, welcher mehr die Politik nach Innen berührt, wurde grösstentheils mit Ruhe und jedenfalls ohne lebhafte Beifallsbezeugung angehört. Dagegen brach ein wahrer Beifallssturm los unter den Mitgliedern der ganzen Versammlung nach den Worten: «Les traités de 1815 ont cessé d’exister», so dass der Kaiser einige Zeit einhalten musste, ehe er in der Rede fortfahren konnte. Man konnte es auf seinem Gesicht lesen, dass ihm dieser Beifallssturm sehr willkommen kam. Auch die Stelle, wo er erklärt, dass, was Russland als Rebellion ansehe, in den Augen Frankreichs «als die Stimme einer Nation erscheine, welche die Erbin sey eines Rechtes, das eingeschrieben stehe in der Geschichte und in den Verträgen», wurde von der Versammlung mit lautem Beifall begrüsst, doch nicht so allgemein als die oben erwähnte Stelle über Erlöschen der Verträge von 1815, wo sich der Beifallssturm zum zweiten Male erneuerte.
Das diplomatische Korps war fast ganz vollzählig. Sogar die annamitischen ausserordentlichen Gesandten wohnten bei in ihrem originellen orientalischen Kostüm und durch dasselbe weithin Parfümeriegerüche verbreitend; zur Beruhigung solcher, die ihre Nachbarschaft vorher zu vermeiden schienen. Mir kam vor, der Kaiser habe ein mehr als gewöhnlich ernstes Aussehen und Andre theilten diese Ansicht. Als er auffallend langsam durch die langen Reihen der beiden Räthe hinausschritt, war der Beifall viel lauter und allgemeiner als bei seinem Eintritt. Das Gleiche lässt sich sagen über den Empfang der Kaiserin, die zu ihrer Rechten den Prince impérial an der Hand führte.
Wird dieses Programm in seiner Durchführung Frieden oder Krieg bringen, war die Frage, die leise da und dort ein Mitglied des diplomatischen Korps dem ändern in die Ohren flüsterte und keiner traute sich, eine sichre Antwort zu geben, weil keiner weiss, was hinter der gestellten Alternative der lezte Entschluss des Kaisers sein wird.
Beim Aufruf der Mitglieder des gesezgebenden Körpers wurde eine ziemliche Zahl Abwesender vorgemerkt; unter den leztern insbesondere die Mitglieder der Opposition. Sie werden den Eid in der ersten Sitzung leisten, zu welcher auf morgen die Mitglieder der beiden Kammern von H. Rouher eingeladen worden sind.
Auf dem Gesicht des russischen Ambassadors, Baron von Budberg, war ein Ausdruk von Missstimmung leicht zu erkennen, der vermuthlich mit der für Polen ausgedrükten Sympathie und mit dem Passus «Russland zertritt in Warschau die Verträge mit Füssen» zusammenhängt. Der Inhalt der Rede hat wieder einmal alle jene Conjuncturalpolitiker, welche zum voraus in alle Blätter zu schreiben wagten, wie dieselbe puncto auswärtiger Politik lauten werde, zu Schande gemacht! Denn dass der Kaiser mit solcher Bestimmtheit ein förmliches Programm seiner auswärtigen nächsten Politik in die Rede niederlegen werde, das hatte niemand vorausgeahnt. Man schien vielmehr allgemein gewisse banale Phrasen zu erwarten, womit er den Nichterfolg der action diplomatique commune zu beschönigen und England nebst Ostreich aufbürden werde. An verschiedenartigen Interpretationen dieses Programms wird es nun freilich auch nicht fehlen!
[P.S.]Das Programm in dieser Rede, die heute in offiziellem Abdruk an sie abgeht3, hat auch für die Schweiz eine spezielle Beziehung. Savoyerfrage?
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