Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.9. France
I.9.2. Relations commerciales
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 428
volume linkBern 1990
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#J1.67#1000/1363#310* | |
Old classification | CH-BAR J 1.67(-)1000/1363 13 | |
Dossier title | Kern, Joh. Conrad (1849–1877) | |
File reference archive | 8 |
dodis.ch/41427
Mein lieber Freund,
Ich hatte mir längst vorgenommen, dir auch einmal direkte einige Mittheilungen zukommen zu lassen über Fragen, die mich in lezter Zeit besonders in Anspruch genommen haben, und von denen ich voraussezen kann, dass auch du und deine Freunde besonderes Interesse für dieselben haben werden, ich meine die Frage wegen Unterhandlungen für Erzielung eines Handelsvertrages mit Frankreich. Ich habe schon seit mehr als drei Monaten auf das nachdruksamste in den Bundesrath gedrungen, mir Instruktionen zu ertheilen, die mich ermächtigen, in diesem Sinn Propositionen der französischen Regierung zu machen; nachdem ich privatim das terrain sondirt und so weit möglich zu günstiger Aufnahme vorbereitet hatte. Wenn du einmal die Correspondenzen unter deine Hand bekämtest, so wirst du sehen, wieviel es brauchte, um nur eine solche Ermächtigung beim Bundesrathe auszuwirken!! Nachdem ich dann endlich leztere erhalten2, und in einer offiziellen Besprechung mit Thouvenel mich überzeugt hatte, dass lezterer nichts von Unterhandlungen wissen wollte, wenn man nicht gleichzeitig über die Savoyerfrage mit Frankreich in Unterhandlung trete, so fand ich nöthig, mich direkte an den Kaiser zu wenden. Ich sezte ihm mit der grössten Freimüthigkeit auseinander, dass man auf diesem Wege zu nichts kommen würde. Die Schweiz habe die Savoyerfrage bei den Mächten anhängig gemacht; sie könne dieselbe nun nicht mit Unterhandlungen über Zoll- und Polizeifragen in Connexität bringen lassen. Jeder Versuch der Art würde nur neue Aufregung produziren, ohne zu irgend einem praktischen Resultate zu führen, u. s. w., u. s. w. Der Kaiser, den ich überhaupt weit günstiger für uns gestimmt finde als seine Minister, sah dies ein und erklärte sich auch in diesem Sinn. Erst nachdem ich dessen sicher war, gab ich dann am 24. Merz die schriftlichen Propositionen ein zu Unterhandlungen sowohl über einen Handelsvertrag als über Abschaffung der Pässe.3 Gestern Abend erhielt ich eine Antwort, in welcher sich das Ministerium zu beidem in liberalem Sinne geneigt erklärt, über die Passfrage indessen noch Rüksprache mit Persigny vorbehält, von dem ich aber längst weiss, dass er in beiden Fragen der Schweiz günstig gestimmt ist. Er war es selbst, der mir angerathen hatte, gegenüber der Opposition von Thouvenel direkte eine Audienz beim Kaiser zu verlangen.
Diese Antwort des Ministeriums geht heute an den Bundesrath ab. Alle frühem Zeitungsberichte waren voreilig. Immerhin müssen noch pourparlers über Ort, Zeit und Modus der Unterhandlungen vorausgehen, und so verzieht es sich noch etwas, ehe die Negotiationen selbst stattfinden können. Wenn dieselben – was sehr wahrscheinlich ist – hier stattfinden, so werde ich darauf dringen, dass ein paar tüchtige Fachkundige vom Bundesrath beigegeben werden. Wir sind nun freilich noch nicht am Ziele. Aber der erste Schritt ist geschehen. Ich sehe aus den Blättern, dass Fazy ganz rabiat gegen jeden Vertrag mit Frankreich protestirt. Es ist eben eine Parthei in der Schweiz, der politische Leidenschaft weit mehr gilt als Wahrung der wirklichen Landesinteressen. Diese wird auch bei den Unterhandlungen oder den Instruktionen dazu ihren Einfluss geltend machen. Man sagt nun, man wolle in Bern von ganz und gar keinen Gegenconzessionen etwas hören. Ich weiss sehr wohl, dass unsre Zölle schon nieder sind, aber dass Frankreich einen Vertrag abschliesse ohne alle undjede Gegenconzession, halte ich nicht für wahrscheinlich!! Nunc, tempus docebit. Ich bin froh, die bisherige Opposition wenigstens insoweit besiegt zu sehen, dass es zu Unterhandlungen kommt, denn schon dies suchte man in jeder Weise zu hindern.
Ich gebe dir diese Mittheilungen, namentlich betreffend Audienz beim Kaiser, als vertraulich. Ich habe auch dem Bundesrath den Rapport über meine Audienz beim Kaiser aus Rüksicht auf Thouvenel, der es sehr ungern sieht, wenn man an den Kaiser sich wendet, nur als confidential erstattet, und derselbe hat – was eine Seltenheit ist – denselben bisher auch als solchen für sich zu behalten gewusst.4
Hast du seiner Zeit dies oder jenes, was für Handelsinteressen von besonderer Bedeutung ist, mir zu melden oder zur besonderen Berüksichtigung zu empfehlen, so werde ich mein Möglichstes thun, ihnen Geltung zu verschaffen. Am liebsten aber wäre mir, wenn du selbst für einige Wochen zu den diesfälligen Unterhandlungen nach Paris kommen könntest, was ich freilich kaum zu hoffen wage.
Die allgemeine politische Situation wird auch hier als höchst gespannt angesehen und die Friedensaussichten des Winters trüben sich mit dem herannahenden Frühjahr sehr. «La paix ou la guerre n’est plus dans les mains de tel ou tel souverain, pas même du plus puissant entre eux, elle est dans l’imprévu», sagte nämlich ein Collega und er hat ganz recht. Auf wie schwachen Füssen die englisch-französische Allianz stehe, glaubt man namentlich auch aus dem bekannten, von oben insinuirten Ausfall der Patrie gegen den Hof von England schliessen zu können betreffend Theilnahme und Rangstellung der Prinzen von Orléans am Leichenbegängnis der Duchesse de Kent. Zu weit getriebene dynastische Empfindlichkeit!
Es freute mich sehr, zu erfahren, dass es dir mit deiner Gesundheit wieder gut gehe. Du hattest sehr recht, einen Theil der allzu grossen Bürde abzuladen. In der Eisenbahnschwindelei sind die Eiterbeutel aufgebrochen, die sich längst gesammelt und die du oft bezeichnet hattest. Sie sollten auch Blinden die Augen öffnen. Mir geht es immer ganz gut. Wir sind nun längst eingewöhnt, kommen aber doch freudig jedes Jahr in die Heimath, hoffentlich auch dies Jahr. Lebe wohl und hast du einmal Zeit, so lass auch direkte etwas von dir vernehmen. Grüsse mir meine dir wohl bekannten Freunde und bleibe meiner aufrichtigen und unveränderlichen Freundschaft versichert. Freundliche Empfehlungen an die Deinigen.
Der Deinige Kern
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