Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.9. France
I.9.5. Question de Savoie
Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 1, doc. 382
volume linkBern 1990
Plus… |▼▶Emplacement
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#J1.67#1000/1363#220* | |
Ancienne cote | CH-BAR J 1.67(-)1000/1363 12 | |
Titre du dossier | Furrer, Jonas (1847–1861) | |
Référence archives | 8 |
dodis.ch/41381
Mein lieber Freund!
Ich kann nicht umhin, Dir einiges zu schreiben, namentlich über Ereignisse von gestern. Leider bin ich seit ca. 14 Tagen wegen Catarrh, dann Augenleiden und Rheumatismus bey Hause und es war mir peinlich, gerade in dieser Zeit den Sitzungen nicht beiwohnen zu können und ich besorge sehr, dass es noch einige Zeit so dauern werde, weil wir wieder völlig Winter haben.
Letzten Freitag2 beschloss der Bundesrath die Einberufung der Bundesversammlung, wozu ich gegenwärtig schwerlich gestimmt hätte. Nun hätte man aber glauben sollen, dass man der Bundesversammlung die Situation wenigstens in integro zustelle. Diese ist Folgende:
1. Über die Annexion von ganz Savoyen sind beyde Regierungen bekanntlich einverstanden; allein es ist Vorbehalten, dass Frankreich sich mit den Grossmächten und der Schweiz über die neutralisirten Theile verständigen soll, was bekanntlich noch zu gewärtigen ist.
2. Die Schweiz reclamirte bei allen Grossmächten und die Resultate stehen natürlich noch aus.
3. Der Kaiser und Thouvenel versicherten die Hrn. Kern und Dufour wiederholt aufs allerbestimmteste, dass Nordsavoyen inzwischen nicht militärisch besetzt werde. Thouvenel fügte aber bey, dass, wenn die Schweiz militärische Maassregeln treffe, Frankreich es sich auch Vorbehalte.
Bei dieser Sachlage schrieb Dufour unter anderm: «Dans ces circonstances il faut procéder avec beaucoup de prudence et de modération; chaque provocation nous pourrait être fatale.»3
In Genf hat man aber den Kopf verloren und will von einem Tag auf den ändern in Saint-Julien rothe Hosen erwarten, obwohl es wiederholt von Paris aus dementirt wurde. Die Vereine heizen ein und treiben darauf los, dass man sofort Nord-Savoyen besetze. Gestern waren sämmtliche Ausschüsse der Helvetia hier nebst viel andrer Mannschaft und verlangten dasselbe. Abends kamen (natürlich verabredeter Maassen) Depeschen aus Genf, die wieder das nämliche sagten, nämlich dass ganz gewiss in einigen Tagen, am 28ten (früher behaupteten sie am 26ten) Annecy und Saint-Julien besetzt werden. Nun verlangte Hr. Stämpfli eine sofortige Sitzung mit der Androhung, dass er sich sonst jeder Verantwortlichkeit entschlage. Hr. Frey liess sich dadurch bewegen, auf 8 Uhr Abends eine Sitzung anzusagen, die bis halb elf dauerte. Offenbar war der Bundesrath dadurch unter einen moralischen Zwang gebracht, weil er nicht zur Nachtzeit unter Anwesenheit eines Theils der Helvetia in Bern, unter Gruppen von Neugierigen auf der Strasse, sitzen konnte, ohne etwas in gewünschter Richtung zu beschliessen. Das wollte man natürlich, und man wollte ferner, dass der Bundesrath die Bundesversammlung durch Aufstellung von Truppen binde, denn die letztre hat nun die Frage nicht mehr frey, ob jetzt schon Truppen aufgestellt werden sollen; sind sie einmal da, so können sie unter obwaltenden Umständen nicht leicht entlassen werden. Nun was geschah? – Beantragt wurden 18 Bataillone nebst Zubehörde an die Grenze zu schicken, um im geeigneten Moment Savoien besetzen zu können. Das fand Widerstand und am Ende wurde beschlossen, 6 Bat. nebst Zubehörde zu Wiederholungskursen (!) sofort einberufen zu lassen. Auch das geschah nicht einstimmig; weiteres darüber mündlich. Ich überlasse Dir ganz die Critik dieser Maassregel.
In der Hoffnung, Dich bald hier zu sehen, grüsst Dich freundschaftlich
Dein F.
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