Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.9. France
I.9.1. Relations diplomatiques
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1, doc. 311
volume linkBern 1990
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#697* | |
Dossier title | Paris, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 11 (1858–1858) |
dodis.ch/41310
Da ich erfahren hatte, dass Turgot seit 3 Tagen wieder in Paris angelangt ist, so machte ich ihm heute Nachmittag einen Gegenbesuch, und ich beeile mich, Ihnen das Wesentlichste unserer Unterredung mitzutheilen:
Hr. Turgot erklärte mir gleich beim Beginn unserer Unterhaltung, er freue sich, mit Gesinnungen nach der Schweiz zu kommen2, welche ihm eine gute Aufnahme bereiten sollten, und er wolle sich konfidentiell hierüber ganz offen mir gegenüber aussprechen. Der Kaiser habe sich, als er (Turgot) vor einigen Wochen von ihm empfangen wurde, dahin geäussert: Es sei schon seit längerer Zeit eine gewisse aigreur in den Verhältnissen zwischen dem Bundesrath und Fénelon eingetreten. Er wolle den Grund hiervon jezt nicht näher untersuchen, in seiner, des Kaisers Absicht liege es, mit der Schweiz auf freundschaftlichem Fusse zu stehen; er sei weit entfernt, der Unabhängigkeit und den Institutionen der Schweiz irgend zu nahe treten zu v/ollen; er wisse das Asylrecht in seiner wahren Bedeutung sehr wohl zu achten, nur könne man niemals dulden, dass Leute, die sich als assassins qualifiziren, sich unter den Schutz des Asyls stellen, was auch nicht in der Absicht der Schweiz liegen werde. Er glaube, in ihm, Herrn Turgot, das rechte Organ gefunden zu haben, um seinen wohlwollenden Gesinnungen gegen die Schweiz Ausdruk zu geben. Ich freue mich, fügte Turgot bei, aufrichtig, das Organ solcher Gesinnungsweise zu werden.
Nachdem ich dem Herrn Turgot erwiedert hatte, wie ich überzeugt sei, dass solche Gesinnung ihm auch bei den Bundesbehörden freundschaftliches Entgegenkommen bereiten werden, die Werth darauf sezen, mit Frankreich in gutem Wohlvernehmen zu leben, erlaubte ich mir dann ferner beizufügen: Es liege in der Natur solcher Stellung, dass ihm hie und da Beschwerden dieser oder jener Art vorgebracht werden. Nur zu oft habe man dieselben von vornherein als begründet angesehen und zum Gegenstand von Reclamationen gemacht, die besser ganz unterblieben wären. Es werde ihm seine Stellung gewiss wesentlich erleichtern, wenn er solche Klagen mit grosser Vorsicht auf nehme und sich vor Allem über den wahren Sachverhalt genauen Aufschluss geben lasse. Turgot erwiederte: Das sei ganz seine Absicht; er habe nicht im Sinn, immer gleich Rapporte nach Paris zu senden, sondern werde suchen, mündlich sich zu edifiziren und zu vermeiden, was das gute Einvernehmen stören könnte, hoffend, dass ein solches Benehmen bei den Schweizerbehörden mehr Eingang finde als viele diplomatische Künste, die nicht in seinem Wesen liegen.
Ich benuzte dann den Anlass, ihn auch darauf hinzuleiten, wie er nun eben in Bern ganz andere Verhältnisse antreffen werde als solche, in denen er in lezter Zeit gelebt habe. Unsre republikanischen Einrichtungen bringen auch im diplomatischen Verkehr eine Einfachheit mit sich, wie man solche an Höfen nicht kenne. Seit der neuen Bundesverfassung sei auch in Bezug auf Empfang von Gesandten jeden Ranges eine grosse Einfachheit an die Stelle des früher üblichen Ceremonials getreten, was nicht einer Misskennung der hohen Stellung, sondern unsern republikanischen Sitten zuzuschreiben sei, und daher gegen die Representanten aller Mächte gleichmässig in Anwendung komme. Ich sah, dass ihm dies – so weit es auf den Empfang von Ambassadoren Bezug hat – anfänglich etwas unerwartet und neu vorkam, er sagte aber dann doch sogleich: «– nun, wenn es gegen Alle bereits festgestellter usus ist, so muss man sich darnach richten.»
Den Grafen Walewski hat Turgot seit seiner Ankunft in Paris noch nicht gesprochen. Als ich ihn fragte, wann er die Reise nach Bern antrete, antwortete er mir: sobald er beim Kaiser die Abschiedsaudienz erhalten haben werde; er hoffe, auf Ende dieses Monats abreisen zu können.
Hr. Turgot erinnerte mich dann daran, dass wir uns früher schon gesehen, nämlich in Strassburg, indem er es gewesen war, der mir bei Anlass der Inauguration der Strassburger Eisenbahn (wo ich mit Dufour Abgeordneter des Bundesrathes war) im Auftrag des damaligen Presidenten der Republik den Orden der Ehrenlegion überreichen wollte, den ich dann bekanntlich abzulehnen im Falle war.
Die Persönlichkeit Turgots und sein ganzes Benehmen machte auf mich einen günstigen Eindruk. Ich will mich indessen nicht weiter darüber aussprechen, theils weil Sie sehr bald Gelegenheit erhalten, solche selbst näher kennen zu lernen, theils weil ich wohl weiss, dass es im Intresse eines neu antretenden Ambassadors liegt, sich durch sein Benehmen möglichst günstiges Terrain vorzubereiten. Was mir am besten gefiel, ist, dass er am Schluss selbst sagte: er hoffe, man werde in der Schweiz schon im ersten Jahre zur allgemeinen Überzeugung gelangen, dass man es bei ihm mit einem loyalen Mann zu thun habe. Er betonte besonders, dass er möglichst suchen werde, durch persönliche mündliche Besprechungen Reibungen zuvorzukommen.
Hr. v. Turgot entliess mich nach dieser sehr freundlichen Unterhaltung mit der Bemerkung, dass er mich vor seiner Abreise nochmals besuchen werde.
So weit der Rapport über die Unterredung mit Turgot.
- 1
- Rapport: E 2300 Paris 11.↩
- 2
- A ccrédité par Napoléon III en qualité d’ambassadeur près la Confédération suisse le 15 septembre 1858, Turgot remettra ses lettres de créance au Conseil fédéral le 6 décembre 1858. FF 1858, II, p. 642.↩
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