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Die Schweiz und die NNSC. Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte der Neutral Nations Supervisory Commission in Korea 1951–1995, vol. 21, doc. 35
volume linkBern 2023
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E-01#1988/16#2727* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)-01/1988/16 662/09 | |
Dossier title | Schweiz. Delegation in der Neutralen Kommission für die Überwachung des Waffenstillstandes in Korea, Band 20 - ??, 1.1.1958 - 31.12.1970 (1958–1978) | |
File reference archive | B.73.0.1 • Additional component: Korea, Republik |
dodis.ch/66052Der Chef der schweizerischen NNSC-Delegation, Legationsrat Hartmann, an den Vorsteher des EPD, Bundespräsident Petitpierre1
Spezialbericht. Schweizer Delegation in NNSC vor eventuellen Vermittlungsaufgaben
Es ist dieser Tage im Zusammenhang mit der politischen Entwicklung in Korea erstmalig ein neues Element aufgetaucht, das für unser weiteres Wirken in Panmunjom von Bedeutung werden könnte. Es machen sich nämlich hüben und drüben Annäherungstendenzen in einer Form bemerkbar, die eventuell zu Vermittlungsgesuchen an den Unterzeichneten führen könnten.
Zunächst hat mich der USA-Geschäftsträger Green, der offenbar vom stellvertretenden Unterstabssekretär Steeves neue Weisungen erhalten hat, empfangen und sich mit mir über unsere Funktion im Zusammenhang mit der neuesten Entwicklung der politischen Lage eingehend unterhalten. Davon ausgehend, dass in Südkorea starke Strömungen festgestellt werden, die auf eine baldige Lösung des Wiedervereinigungsproblems drängen, – sei es durch Aufnahme gewisser Kontakte mit dem Norden, sei es durch das Postulat der Neutralisierung – trägt sich der Fernostexperte der Amerikaner mit dem Gedanken, die USA sollten von der bisherigen «Maginot-Konzeption» abweichen und eine gewisse Anpassung vollziehen. Zu einer solchen Politik der Subtilität könnten gemäss Green vielleicht auch die westlichen NNSC-Delegierten, insbesondere der schweizerische Vertreter etwas beitragen. Vorerst geht es meinem Gesprächspartner darum, einen vertraulichen Gedankenaustausch über Wege und Mittel zu pflegen, wie eine Auflockerung der kalten Front an der Scheidelinie herbeigeführt werden könnte. Er sprach beispielsweise von der Möglichkeit, die Tschechen und Polen einmal durch den Chef der Waffenstillstandskommission der UNO-Seite2 offiziell nach Seoul einladen zu lassen, um so eine seit langem vorhandene Ungleichheit zu beheben (Bekanntlich werden wir in Kaesong regelmässig empfangen; dem Unterzeichneten wurde sogar eine Einladung nach Pyongyang in Aussicht gestellt). Dies wäre seitens der Amerikaner, die für die Haltung des UNO-Kommandos tonangebend sind, eine erste kleine Geste in Richtung einer flexibleren Linie. Ich werde meinerseits, sofern Sie meiner Meinung beipflichten, Herrn Green mitteilen, dass sich ein dementsprechender Versuch schon deshalb lohnen werde, weil dadurch die NNSC als Gesamtinstitution eine formelle Aufwertung erhalten würde. Gleichzeitig könnte durch das angeregte Vorgehen die Chance verbessert werden, dass die südkoreanische Regierung die Neutrale Kommission offiziell anerkennt, was bis jetzt noch nicht der Fall war. Es ist mir im übrigen bekannt, dass den Polen und Tschechen eine derartige «Normalisierung» sehr willkommen wäre.
Nach dem erwähnten ersten Schritt würde man amerikanischerseits weitere Massnahmen der Auflockerung erwägen, die der nationalistischen Grundwelle im Süden entgegenkämen und auf diese Weise die drohende Entfremdung zwischen dem südkoreanischen Volk und den USA aufzuhalten vermöchte. Dem USA-Diplomat schwebt beispielsweise die Herstellung von kulturellen Kontakten zwischen Süd- und Nordkorea vor. So wird, wie es den Anschein erweckt, die offizielle Anfrage an mich zu erwarten sein, ob durch meine Vermittlung in Panmunjom eine Fühlungnahme zwischen Kulturvertretern der beiden Länder in die Wege geleitet werden könnte. Die Angelegenheit wird voraussichtlich im Laufe des Dezembers mit dem inzwischen zurückgekehrten Botschafter McConaughy erörtert werden.
Ähnliche Gedankengänge sind – naturgemäss auf Grund einer ganz anderen «idée de manœuvre» – auch von kommunistischer Seite an mich herangetragen worden. In «tête à tête»-Dinners, bei denen sich der tschechische Delegierte, General Chyle, und der Chef der Nordseite in der Waffenstillstandskommission, General Joon,3 sehr aufgeschlossen zeigten, wurde von den Gesprächspartnern das kommunistische Projekt einer partiellen Föderation zwischen Nord- und Südkorea eindringlich propagiert. Als Initialmassnahme schlägt vor allen der nordkoreanische General vor, dass Vertreter kultureller und wirtschaftlicher Organisationen irgendwo zusammenkommen sollten, um geheime Gespräche über das entworfene Konzept zu führen. Er möchte zunächst auf irgend einem Wege sondieren, wie weit man südkoreanischerseits hiezu bereit wäre. Ohne schon direkt mit einem eigentlichen Vorschlag bedrängt worden zu sein, vermochte ich aus seinen Erklärungen herauszuspüren, dass er eine Vermittlung meinerseits sehr begrüssen würde.
Es erhebt sich nun die schwierige Frage, ob und wie eine solche Weichenstellung vom schweizerischen Vertreter übernommen werden könnte. Grundsätzlich könnte man – aus der allgemeinen Tendenz zu einer aktiveren Neutralitätspolitik heraus – zum Schlusse kommen, dass wir uns in einer derartigen Situation nicht gänzlich distanzieren sondern, wenn gewisse Voraussetzungen gegeben sind und die nötige Vorsicht beobachtet wird, unsere «guten Dienste» zur Verfügung halten sollten. Es liesse sich deshalb vielleicht verantworten, dass bei einem der nächsten Zusammentreffen mit einem Vertreter der amerikanischen Botschaft die Gedanken des nordkoreanischen Generals mit aller Vorsicht und ohne Vermittlungsangebot zur Kenntnis gebracht werden. Für den Fall einer späteren Konkretisierung der Vermittlungsanträge von Nord und Süd bin ich indessen der Auffassung, dass grösste Reserve am Platze sein wird. Man sollte den Vertretern der beiden Parteien nahe legen, andere Kanäle zu finden, um die direkte Verbindung aufzunehmen. Erhebliche Bedenken bestehen nämlich m. E. hauptsächlich darin, dass die Vermittlung eine für das freie Korea ungünstige Entwicklung einleiten könnte. Die neue kommunistische Taktik zielt zweifellos gradlinig darauf ab, durch sukzessive Einflussnahme auf möglichst vielen Sektoren und unter Ausnützung des neutralistischen, xenophoben Trends in Südkorea den Expansionsfeldzug wirkungsvoll voranzutragen und die Truppen der freien Welt in eine heikle Lage hineinzumanoeuvrieren. Da das Unterfangen angesichts der südkoreanischen Anfälligkeit keineswegs aussichtslos erscheint, sollte nicht ausgerechnet der schweizerische Vertreter durch seine Beihilfe zu einer unter Umständen verhängnisvollen Entwicklung beitragen, zumal die hiesige Aufgabe primär nicht derartigen politischen Fragen gilt. Anderseits könnte man aber auch das Argument vertreten, dass die Herstellung von kulturellen und wirtschaftlichen Verbindungen allein – in Deutschland beispielsweise wurde der Interzonenhandel ohne negative Wirkungen für den Westen eingeführt – den Kommunisten nicht unbedingt auf ersten Anhieb einen Erfolg einbringen würde, da schliesslich auch Südkorea eine wenigstens theoretische Chance erhielte, freiheitliches Ideengut im Norden zu verbreiten. Auch könnte man schliesslich ins Feld führen, dass, solange verhandelt wird, die militärische Front mit ziemlicher Sicherheit ruht, und somit eine Vermittlung der Erhaltung des Friedens dienen würde. Ein soeben mit dem polnischen General geführtes sehr offenes Gespräch bestärkt mich jedoch insofern in meiner Reserve, als er die geschickt angelegte und zielstrebige nordkoreanische Propagandaoffensive für sehr gefährlich und die Widerstandskraft des Südens für gering hält. So sehr es mich freuen würde, auf Grund meiner fast herzlich zu nennenden persönlichen Beziehungen zu dem polnischen und dem tschechischen Kollegen4 in einer schweren Situation vermittelnd zu wirken, gelange ich aber zur Schlussfolgerung, dass ich hievon Abstand nehmen muss. Auch Herr Botschafter Troendle, mit dem ich die Problematik zu besprechen Gelegenheit hatte, teilt meine Bedenken. Was meinen schwedischen Kollegen5 in Panmunjom anbelangt, ist er bis jetzt weder von der kommunistischen Seite noch von mir ins Vertrauen gezogen worden. Ich wäre Ihnen in jedem Falle sehr dankbar, wenn Sie mir in dieser unter Umständen bedeutungsvollen Frage bald Ihre Ansicht mitteilen wollten. Im übrigen hoffe ich, dass der Funkverkehr, der in letzter Zeit wegen Sonnenflecken-Auswirkungen gänzlich darniederlag, bald wieder normal funktioniert, damit im Falle von überraschenden Wendungen eine sofortige Kontaktnahme mit Ihnen möglich ist.6 Selbstredend werde ich Sie über die weitere Entwicklung auch brieflich orientiert halten.7
- 1
- CH-BAR#E2001E-01#1988/16#2727* (B.73.0.1). Dieses an den Vorsteher des EPD, Bundespräsident Max Petitpierre, gerichtete Schreiben wurde vom Chef der schweizerischen NNSC-Delegation, Legationsrat Rudolf Hartmann, verfasst und unterzeichnet. Der Chef des Politischen Diensts West des EPD, Raymond Probst, wandte sich am 7. Dezember 1960 mit einer handschriftlichen Notiz an den Protokollchef, Legationsrat Richard Aman, für eine Stellungnahme: «Die Sache will mir nicht recht gefallen. Dürfte ich Sie bitten, mir – auf Grund Ihrer Koreaerfahrung – Ihre Meinung zu sagen. Mir scheint, dass wir uns auf eine so unbestimmte und so wenig ‹limitierte› Mission mit ihren unausweichlichen Risiken und dem Undank, den wir dafür schliesslich ernten könnten, nicht einlassen sollten (jedenfalls nicht zu sehr). Hat m. E. mit der Mission des Schweizerdelegierten in der NNSC nichts zu tun», CH-BAR#E2001E-01#1988/16#2727* (B.73.0.1). Für die Antwort von Protokollchef Aman vom 8. Dezember 1960 vgl. dodis.ch/66679. Für das Antwortschreiben von Bundespräsident Petitpierre an Legationsrat Hartmann vom 12. Dezember 1960 vgl. dodis.ch/66680.↩
- 2
- Generalmajor Richard Collins.↩
- 3
- Gemeint ist General Chu Ch’ang-chun.↩
- 4
- Generalmajor Tadeusz Kunicki und Generalmajor Oldřich Chýle.↩
- 5
- Generalleutnant Gustaf Adolf Westring.↩
- 6
- Zur Frage der Funkverbindung zwischen Panmunjom und der Schweiz vgl. QdD 21, Dok. 31, dodis.ch/66198.↩
- 7
- Vgl. dazu die Schreiben von Legationsrat Hartmann vom 19. Dezember 1960, dodis.ch/66681, und vom 9. Januar 1961, dodis.ch/66682.↩
Relations to other documents
http://dodis.ch/66680 | is the answer to | http://dodis.ch/66052 |
Tags
Neutral Nations Supervisory Commission (NNSC)