Language: German
28.3.1934 (Wednesday)
CONSEIL FÉDÉRAL Procès-verbal de la séance du 28.3.1934
Minutes of the Federal Council (PVCF)
Le traité d’établissement italo-suisse n’est pas respecté par le Parti fasciste et les syndicats italiens; il faut engager des négociations sur les permis d’établissement et de travail et sur le rôle des syndicats et du Parti fasciste dans l’attribution des postes de travail.

Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
15. Italie
15.2. Questions de travail

Également: Rapport de la délégation suisse sur les négociations concernant les conditions de travail et le tourisme en Italie. Annexe de 22.6.1934
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Printed in

Jean-Claude Favez et al. (ed.)

Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 11, doc. 24

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Bern 1989

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dodis.ch/45945
CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 28 mars 19341

580. Verhandlungen mit der italienischen Regierung über die Behandlung der Schweizer in Italien

Das politische Departement berichtet folgendes:

«Zunehmende Klagen über die Schwierigkeiten, welchen unsere Landsleute in Italien sowohl als selbständig Erwerbende wie als Arbeitnehmer begegnen, veranlassten uns, seit längerer Zeit mit dem Justiz- und Polizeidepartement, dem Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit und unserer Gesandtschaft in Rom die Frage zu prüfen, ob es nicht angezeigt sei, mit der italienischen Regierung Verhandlungen einzuleiten, um im Hinblick auf die grosse Zahl von Italienern in der Schweiz (nach der Volkszählung von 1930 waren es 127 000) Zugeständnisse für die Behandlung unserer Landsleute in Italien, deren Zahl in der letzten Zeit stark abgenommen hat (1932 waren es noch ca. 17000 gegen ca. 19000 imJahre 1926), zu erwirken. Die angestellten Erhebungen ergaben folgendes:

Im allgemeinen gewinnt man aus den Berichten unserer Gesandtschaft in Rom und der ihr unterstellten Konsulate den Eindruck, dass die meisten Konsulate die Behandlung der Schweizer in Italien als nicht ungünstig ansehen. Insbesondere scheint es, dass von Seiten der offiziellen Stellen unseren Landsleuten alles Entgegenkommen gezeigt wird und dass unsere Vertretungen bei den Interventionsfällen regelmässig Genugtuung erhalten.

Bei dieser Feststellung darf man sich aber nicht beruhigen. Die italienischen Behörden haben es eben nicht nötig, selbst rigorose Massnahmen zu treffen, welche zu diplomatischen Klagen Anlass geben könnten. Sie können die vom Nationalismus geforderte Verdrängung der Ausländer den Organen der fascistischen Partei und vor allem den Syndikaten überlassen. Abgesehen von den optimistischen Berichten aus dem Süden (Neapel und Catania), stimmen alle Konsulate darin überein, dass von dieser Seite ein starker Druck ausgeübt wird, der die Garantien unseres Niederlassungsvertrages2 teilweise illusorisch macht. Besonders schlimm scheint es im Konsularbezirk von Triestzu stehen. Venedigerwähnt den zwar glücklich beigelegten, aber doch bezeichnenden Fall der Filiale Escher-Wyss, wo das Syndikat versuchte, sieben Schweizer, die im Besitze der erforderlichen Arbeitsbewilligung waren, zu verdrängen.3Mailanderklärt geradezu, dass eine wirkliche Karriere in Industrie, Handel, Bankwesen, Versicherung für einen Schweizer nicht mehr möglich sei und dass die Schweizer, die noch leitende Stellen innehaben, sukzessive durch Italiener ersetzt werden. Auch Genuameldet, dass die nicht in den Syndikaten eingeschriebenen Schweizer, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, praktisch keine Möglichkeit haben, eine Stelle zu finden und dass diese ausländerfeindliche Tendenz sich noch verstärke. Selbst die Syndikatsmitglieder seien als Ausländer praktisch benachteiligt. Der Kanzler des Konsulates hat uns bei einem Besuche vor einigen Monaten diese Situation bestätigt und geschildert, wie von Seiten der Partei die Arbeitgeber durch persönliche Besuche von Vertrauensmännern unter den stärksten Druck gesetzt werden. Das Gleiche ergibt sich aus dem Bericht von Florenz, wonach sogar in Gesamtarbeitsverträgen die italienische Staatsangehörigkeit zur Bedingung gemacht wird. Livornobestätigt ebenfalls, dass bei der Stellenvermittlung die Fascisten und Italiener bevorzugt werden. Der Bericht von Turinbesagt, dass häufig Schweizer ihre Stelle verlassen mussten wegen der Krise oder weil sie versäumt hatten, die Arbeitsbewilligung einzuholen.

Diese kurze Zusammenstellung zeigt, dass trotz der wohlwollenden Haltung der Behörden durch die Einwirkungen der Organe der fascistischen Partei und vor allem der Syndikate die Garantien unseres Niederlassungsvertrages teilweise illusorisch gemacht werden. Wir sind deshalb mit den beiden ändern an der Frage interessierten Departementen der auch durch unsern Gesandten in Rom völlig geteilten Auffassung, dass es an der Zeit sei, auf dem Verhandlungswege eine Besserung der Lage unserer Landsleute anzustreben.

Zu den einzelnen Fragen, die für die Verhandlungen vor allem in Betracht kommen, haben wir folgendes zu bemerken.

1. Aufenthaltsbewilligung. Trotzdem in dieser Beziehung Schwierigkeiten nicht gemeldet werden, halten wir es für wünschbar, uns, wenn schon verhandelt werden soll, für die Zukunft zu sichern und von der italienischen Regierung eine Erklärung der Aufenthaltsbewilligung und ihre Verlängerung zu erhalten.

2. Arbeitsbewilligung. Nach einer Note des italienischen Aussenministeriums vom 25. November 19334 an unsere Gesandtschaft in Rom scheinen die italienischen Massnahmen zum Schutze des Arbeitsmarktes auf Schweizer, die seit einem vor dem 15. Juni 1928 liegenden Zeitpunkt in Italien niedergelassen sind, nicht anwendbar. Bedeutet dies, dass sie einer Arbeitsbewilligung überhaupt nicht bedürfen? Das wird noch abzuklären sein. Jedenfalls können wir angesichts der Tatsache, dass die grosse Mehrzahl der Italiener in der Schweiz die Niederlassungsbewilligung besitzen und damit auf dem Arbeitsmarkt den Schweizern völlig gleichgestellt sind, beanspruchen, dass die langjährig in Italien ansässigen Schweizer von der Notwendigkeit einer Arbeitsbewilligung befreit werden, oder wenn dies aus formellen Gründen nicht möglich ist, sie ohne weiteres erhalten und dass sie auch den erst seit kürzerer Zeit dort anwesenden Schweizer regelmässig erteilt wird, ohne dass deswegen schweizerischerseits über die bereits bestehende überaus günstige Behandlung des Grossteils der Italiener hinaus noch Zugeständnisse zu machen sind.

Darüber hinaus sollten aber unseres Erachtens auch hinsichtlich der neuzureisenden Schweizer trotz den günstig lautenden Berichten der Konsulate gewisse Zusicherungen, zum mindesten eine ausdrückliche Erklärung, dass die Gesuche wohlwollend behandelt werden, beanssprucht werden.

In dieser Hinsicht wird zu versuchen sein, ob, gestützt auf die grosse Zahl der alljährlich neu zugelassenen Italiener, eine jährliche Mindestzahl von Bewilligungen, die ohne Rücksicht auf den Arbeitsmarkt erteilt werden müssten, für neu nach Italien kommende Schweizer erlangt werden kann. Wir verkennen die Gefahren und Nachteile dieses Systems keineswegs. Gerade gegenüber Italien ist unsere Lage aber eine so günstige, dass es sich lohnt, zu versuchen, ob nicht auf diesem Wege einer Anzahl von Schweizern, die in ihrem Berufe in der Schweiz keine Beschäftigung finden können, der Weg im Ausland geebnet werden könnte.

3. Stellenvermittlung und Zugehörigkeit zu den Syndikaten. Die Ausführungen der Gesandtschaft und der Konsulate ergeben klar die Notwendigkeit, darauf zu dringen, dass unsere Mitbürger mindestens nach fünfjährigem Aufenthalt Mitglieder der Syndikate werden können und als solche bei der Stellenvermittlung den Italienern völlig gleichgestellt werden. Der Anspruch auf Gleichbehandlung mit den Parteimitgliedern kommt als völlig aussichtslos kaum in Frage. Da in dieser Hinsicht eine Benachteiligung von vornherein in Kauf genommen werden muss, kann mit um so grösserer Berechtigung auf dem Begehren auf Gleichstellung mit den übrigen Italienern beharrt werden.

4. Besonders wichtig wird es sein, von der italienischen Regierung Zusicherungen darüber zu erlangen, dass sie die fascistischen Parteiorgane und die Berufsverbände über die grosse Zahl von Italienern in der Schweiz und ihre liberale Behandlung informiert und bei diesen Stellen von ihrem Einfluss Gebrauch macht, damit sie, mit Rücksicht auf die italienische Kolonie in der Schweiz, ihrerseits, statt Schwierigkeiten zu machen, für die Gleichstellung unserer Landsleute mit den Italienern eintreten.

5. Die Verhandlungen dürften Gelegenheit bieten, auch die Frage der Anerkennung der von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich und der Ingenieurschule in Lausanne ausgestellten Diplome durch die italienischen Behörden und die Zulassung der schweizerischen Ingenieure und Architekten in Italien, welche die erforderlichen Fähigkeitsausweise besitzen, zur Eintragung ins albo der Ingenieure und Architekten, die zur selbständigen Ausübung dieser Berufe nötig ist, zu regeln. Über beide Fragen ist mit der italienischen Regierung seit Jahren verhandelt worden, ohne dass bis jetzt unsere Forderungen erfüllt worden sind. Die Delegation wird sich dabei auf die bereits der Gesandtschaft in Rom im Einvernehmen mit den zuständigen Stellen erteilten Weisungen stützen können.

6. Ferner wird mit Italien die gegenseitige Zulassung zu den Prüfungen für Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Tierärzte zu regeln sein. Mit Beschluss vom 4. Dezember 19335 hat der Bundesrat die Verordnung vom 29. November 19126 für die eidgenössischen Medizinalprüfungen durch einen neuen Artikel 21bis ergänzt, wonach zu diesen Prüfungen Ausländer nur auf Grund von Gegenrechtsvereinbarungen zugelassen werden können, durch die der Heimatstaat auch den Schweizerbürgern die Ausübung der genannten Berufe auf seinem Gebiete gestattet.

Allerdings werden in Italien nach den Auskünften, die unserer Gesandtschaft in Rom vom italienischen Aussenministerium erteilt wurden, die Schweizer, die ihre Studien an einer italienischen Hochschule absolviert haben, zu den Prüfungen in den erwähnten Fächern zugelassen und sie können, sofern sie das Diplom einer italienischen Hochschule besitzen, das italienische Staatsexamen bestanden haben, die bürgerlichen Rechte besitzen und in moralischer und politischer Beziehung einwandfrei sind, sich in das Berufsregister (albo) eintragen lassen und dadurch das Recht zur freien Berufsausbildung erlangen. Indessen wird in Artikel 2, Absatz 2, des zitierten Bundesratsbeschlusses das Bestehen einer besondern Gegenrechtsvereinbarung ausdrücklich zur Bedingung gemacht, und eine solche hat auch den Vorteil, den bestehenden Zustand, der sonst von Italien einseitig geändert werden könnte, für die Zukunft sicherzustellen. Wir haben das Gesundheitsamt gebeten, uns zu Händen der schweizerischen Delegation noch nähere Vorschläge für den Text der zu treffenden Abmachung zukommen zu lassen, damit bei den Besprechungen in Rom auch diese Angelegenheit, sofern sich Gelegenheit dazu bietet, erörtert werden kann.

7. Seit einiger Zeit verhandelt die Gesandtschaft in Rom mit der italienischen Regierung über die Gewährung von Erleichterungen für den italienischen Touristen verkehr nach der Sch weiz durch die Wiedereinführung der Touristenkarte für italienische Ferienreisende und eine wohlwollende und rasche Erledigung der Gesuche um Ausstellung von Kollektivpässen für Reisen nach der Schweiz. Die Delegation dürfte Gelegenheit haben, auch diese Fragen zur Sprache zu bringen und sich für eine günstige Regelung einzusetzen.

8. Endlich ist der italienischen Regierung schon im Jahre 1932 die Anregung unterbreitet worden, einen Fürsorgevertrag nach dem Muster des schweizerischfranzösischen Fürsorgeabkommens vom 9. September 19317 abzuschliessen. Eine endgültige Stellungnahme der italienischen Regierung zu diesem Vorschlag ist noch nicht erfolgt. Die Delegation wird bestrebt sein, deswegen mit den zuständigen italienischen Organen Fühlung zu nehmen und die Sache nach Möglichkeit zu fördern.

Im Einvernehmen mit dem Justiz- und Polizeidepartement und mit dem Volkswirtschaftsdepartement haben wir infolgedessen unsere Gesandtschaft in Rom beauftragt, sich bei der italienischen Regierung über die Geneigtheit, in Verhandlungen einzutreten, zu erkundigen. Das italienische Aussenministerium hat der Gesandtschaft mitgeteilt, dass die italienische Regierung zu solchen Verhandlungen im Laufe des April einverstanden sei. Für den Beginn derselben ist der 9. April in Aussicht genommen worden.

Die italienische Regierung hat den Wunsch geäussert, dass einstweilen der Presse keinerlei Mitteilung über die beabsichtigten Besprechungen gemacht werden, in der Meinung, dass sich die beiden Delegationen nach Abschluss der Verhandlungen über die der Presse zu machenden Mitteilungen einigen werden.

Antragsgemäss wird daher beschlossen:

1. Dem Antrage des politischen Departements, im April mit der italienischen Regierung in Rom Verhandlungen über die Behandlung der Schweizer in Italien zu führen, wird zugestimmt.

2. Zu diesen Verhandlungen werden delegiert die Herren

Minister Wagnière, schweizerischer Gesandter in Rom,

Dr. H. Rothmund, Chef der Polizeiabteilung,

Fürsprecher Renggli, Direktor des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit,

Dr. F. Kappeler, Sektionschef im politischen Departement.

3. Die vorstehenden Erwägungen gelten als Instruktion für die Delegation.

4. Die Delegation wird ermächtigt, die zu treffenden Abmachungen unter Ratifikationsvorbehalt zu unterzeichnen und die Bundeskanzlei wird beauftragt die erforderliche Vollmacht auszustellen.8

1
E 1004 1/345.
2
Conclu le 22 juillet 1868 (RO, 1866–1869, vol. IX, pp. 624ss.).
3
Cf. lettre du Consulat de Suisse à Venise à la Légation de Suisse à Rome, du 30 juin 1933 (E 2001 (C) 4/59).
4
Datée en réalité du 21 novembre 1933 (E 2001 (C) 4/59).
5
Cf. RO, 1933, vol. 49, pp. 992-993.
6
Cf. RO, 1912, vol. 28, pp. 699ss.
7
Cf. DDS vol. 10, no 290, dodis.ch/45832 et n. 11.
8
Sur les résultats de ces négociations, cf. l’annexe au présent document.