Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
22. Russland
22.1. Wiederaufnahme von Handelsbeziehungen
Darin: Russischer Textvorschlag vom 23.3.1927. Annex vom 23.3.1927
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 279
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001C#1000/1542#6* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(C)1000/1542 1 | |
Dossier title | Berliner Abkommen 1927 (1927–1927) | |
File reference archive | B.15.0 • Additional component: Russland |
dodis.ch/45296
Der schweizerische Gesandte in Berlin, H.Rüfenacht, an den Vorsteher des Politischen Departementes, G. Motta1
Heute hat die zweite Besprechung stattgefunden.
Der Russische Botschafter erklärte:
1. Die Einleitung unseres Entwurfes wird abgelehnt. Eine ausdrückliche Erklärung, dass die Teilnahme Russlands an der Internationalen Konferenz die Beilegung des Konfliktes als wünschbar erscheinen lasse, möge angezeigt gewesen sein zur Begründung der französischen Intervention und sei deshalb bei der Formel vom Januar 19262 als Einleitung am Platze gewesen. Heute, wo die Parteien direkt verhandeln und dadurch beweisen, dass sie den Konflikt zu beseitigen wünschen, sei die Erwähnung eines Motivs überflüssig.
2. Auf die Betonung der Aufrichtigkeit wird verzichtet, dagegen der Grad des Bedauerns durch eine andere Fassung festgelegt.
3. Die Wiederholung des schweizerischen Protestes wird abgelehnt.
4. Am grundsätzlichen Begehren eines materiellen Beistandes an die Tochter Worowski wird festgehalten.
Der Botschafter legte mir den beiliegenden russischen Gegenentwurf vor3, aus dem ausser dem Gesagten hervorgeht, dass das «erneut» nicht mehr beanstandet und überdies auf die ausdrückliche Erwähnung der Privilegien der Delegierten verzichtet wird.
Ich antwortete:
Zu 1. dass ich Ihre Instruktion einholen werde, aber glaube, Wortlaut Vorbehalten, dass eine Verständigung nicht an dieser Frage scheitern werde.
Zu 2. dass mir die Superlative überflüssig und etwas reichlich erscheinen, dass ich aber auch diesbezüglich Ihre Instruktion einholen werde.
Zu 3. dass ich vorläufig am Protest festhalten müsse.
Zu 4. dass ich Weisung habe, auch nur die Erwähnung einer Entschädigung abzulehnen.
An diese Erklärungen knüpfte sich eine lange Diskussion. Der Botschafter äusserte sein Befremden darüber, dass heute einerseits verweigert werde, was im Januar 1926 schon offeriert war, nämlich der Grundsatz der Beihilfe aus Versöhnlichkeit, und dass andererseits neu verlangt werde, wovon damals nicht die Rede war, die Erneuerung des Protestes. Was speziell die Beihilfe betrifft, so machte der Botschafter u. a. geltend, dass die Russische Regierung seinerzeit nach der Ermordung des türkischen Politikers Djevad (?) in Tiflis von sich aus eine Entschädigung angeboten habe, trotzdem ihr nicht einmal der Vorwurf eines Verschuldens gemacht worden sei. Ich erwiderte, darin liege eben der Unterschied. Hätte die Russische Regierung seinerzeit nicht versucht, den Bundesrat als verantwortlich hinzustellen, so würde die Entschädigungsfrage leicht sein. Jetzt aber könnte eine finanzielle Leistung als Anerkennung einer solchen Verantwortlichkeit ausgelegt werden. Der Botschafter meinte, das werde durch die Betonung der Versöhnlichkeit vermieden, und überdies sei die Sache schon im Januar 1926 so gelegen. Er möchte wissen, was sich seit dieser Zeit zugetragen habe, das ein Abgehen des Bundesrates von dessen damaligen Zugeständnissen rechtfertigen würde. Ich wies in erster Linie auf die Verheiratung der Tochter Worowski hin, ferner auf die öffentliche Meinung und erklärte schliesslich, das Suchen nach einer Formel im Januar 1926 habe eben bewiesen, dass es unmöglich sei, zwei grundsätzliche Differenzen mit Worten zu verkleistern. Nach allem wolle eben die Russische Regierung auch bei der mildesten Formel den Grundsatz der Entschädigung festlegen, der vom Bundesrat ebenso grundsätzlich abgelehnt werden müsse. Ich fragte schliesslich den Botschafter mit der ausdrücklichen Erklärung, diesbezüglich keinen Auftrag zu haben, was er, da wir vor einer Mauer stehen, von einer eventuellen schiedsgerichtlichen Beurteilung der Frage der Entschädigung oder von der eventuellen Wiederanrufung einer dritten Macht halten würde, wobei ich allerdings gleich auf die Schwierigkeiten hinwies, etwa Deutschland zu begrüssen, nachdem Frankreich versagt habe. Ich bemerkte, dass, wenn ein Dritter etwa dem Bundesrat nahelegen würde, die Unterstützungsfrage zu erwägen, dies ein Einlenken ermöglichen könnte und umgekehrt, dass, wenn der Dritte der Russischen Regierung den Verzicht vorschlagen würde, dies derselben ihn erleichtern könnte. Der Botschafter lehnte diesen Gedanken, den ich übrigens nur zur Sondierung seiner Hartnäckigkeit geäussert hatte, glatt ab. Da wir am direkten Unterhandeln seien, sollten wir zuerst versuchen, uns zu verständigen; er werde neue Instruktionen einholen. Daraus konnte ich schliessen, dass er doch noch zu weitern Konzessionen bereit sei. Ich blieb deshalb in der Entschädigungsfrage fest und erklärte, es gar nicht nötig zu haben, meinerseits nochmals in Bern anzufragen, da meine Instruktion bindend sei; wohl aber werde ich hinsichtlich der ändern Punkte Weisungen einholen, insbesondere über das allfällige Fallenlassen des Protestes.
Der Botschafter versuchte, meine Auffassung dahin zu resümieren, dass auf dem Boden des russischen Gegenentwurfes eine Verständigung möglich sei, wenn gegen den schweizerischen Verzicht auf den Protest von russischer Seite die Entschädigungsfrage fallen gelassen werde. Ich sagte ihm, ich würde eine solche Lösung, Wortlaut der Formel im übrigen Vorbehalten, soweit an mir, wenigstens befürworten. Ich habe den Eindruck, dass der Botschafter sich dem Gedanken an den Verzicht auf die Entschädigungsfrage gegenüber nicht mehr ganz ablehnend verhält, und dass unsere Wiederholung des Protestes in unserem Entwurf deshalb vielleicht gute Dienste geleistet hat.
Für den Fall aber, dass ich doch gezwungen sein werde, von Ziffer 8 Absatz 2 der Instruktionen4 Gebrauch zu machen, ersuche ich Sie um gefällige Mitteilung der Formel. Ich erlaube mir folgenden Vorschlag:
«Gleichzeitig erklärt sich der Schweizerische Bundesrat, vom Geiste der Versöhnung geleitet, aber unter Ablehnung einer Rechtspflicht, bereit, bei Anlass späterer Verhandlungen über die zwischen den beiden Ländern zu erledigenden Fragen zu prüfen, ob im Falle der Bedürftigkeit der Tochter des Herrn Worowski dieser eine materielle Beihilfe zu gewähren ist».
Im fernem ersuche ich Sie auch um eine gefällige Instruktion hinsichtlich der allfällig am übrigen Inhalt des russischen Vorschlages zu verlangenden Abänderungen.
Dass ich im Falle des russischen Verzichtes auf die Entschädigungsfrage den Protest fallen lassen kann, betrachte ich dabei nach der Instruktion als gegeben.
Durch die ausführliche russische Einleitung mit der Erwähnung der Ermordung und des Freispruchs wird der darauf folgenden Erklärung des Bundesrates, besonders wenn sie nach der allfälligen Streichung der Entschädigungsfrage nur noch aus einem kurzen Satz besteht, nach meinem Empfinden eine starke Bedeutung beigelegt, die noch durch die Worte: «haben folgendes vereinbart» betont wird. Ich möchte vorschlagen, ähnlich wie in meinem Entwürfe zu sagen
«Da der zwischen den Regierungen etc.... bestehende Konflikt die Folge der Ermordung... ist, erklärt der Schweizerische Bundesrat erneut...»
Im zweiten Absatz konstatiere ich mit Genugtuung, dass nur das Bedauern über die Verbrechen, nicht aber auch über den Freispruch ausgesprochen werden soll. Im übrigen sollte vielleicht versucht werden, das «äusserst» durch «sehr» zu ersetzen. Statt der Schweizerischen Regierung wäre dann wohl überall der Schweizerische Bundesrat zu nennen.
Der Russische Botschafter hofft, seine neuen Instruktionen bis nächsten Montag zu erhalten. Für diesen Fall haben wir die nächste Zusammenkunft auf Dienstag, den 29. ds. in Aussicht genommen. Ich würde Ihnen deshalb für die Zustellung Ihrer Instruktionen ebenfalls bis Montag dankbar sein5.
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