Washington, 25. April 1945
Präsident Roosevelts Tod wurde im ganzen Lande als bedeutsames Ereignis empfunden und weckte in weiten Schichten der Bevölkerung wirkliche Trauer. Das Bewusstsein, dass das Land einen grossen Staatslenker verloren hat, schien auch in den Reihen seiner Gegner aufzuflackern. Übrigens haben auch die letzteren die hervorragenden Eigenschaften des Präsidenten kaum je ernstlich bezweifelt - sie haben nur bedauert, dass er nicht einer der ihren war. Respekt vor ihm war wohl auch der Grund für die durchaus würdige Haltung der Presse - eine seltene Erscheinung in diesem Lande.
Gar bald aber wandte sich das volle Interesse der Person des Vicepräsidenten Senator Truman zu, dem gemäss der Verfassung ohne besondere Wahl die Präsidentschaft zufiel. Es entspricht einem amerikanischen Charakterzug, alles Neue, Unbekannte, zunächst freudig zu begrüssen, und auch jedem neuen Magistraten eine «Chance» zu geben, sich zu bewähren. In diesem Stadium überbieten sich Presse und Radio in harmlosen, ja freundlichen Tönen, indem sie durch Anekdoten, Wiedergabe von Äusserungen etc. den Neuling dem Publikum interessant machen. Dazu eignet sich die Person des neuen Präsidenten vorzüglich, der aus den kleinsten Verhältnissen stammend es schliesslich zum angesehenen Senator brachte, trotz mangelnder Schulbildung und misslungenen geschäftlichen Versuchen. Eine solche Laufbahn ist ein Wunschtraum jedes Kindes - vielleicht in Konkurrenz mit den Schätzen von Ford oder Rockefeller.
Er gilt schon jetzt als der Präsident, der das Volk kennt, und der - und das ist hier ein besonderes Lob - auch so regieren wird, wie es der einfache Mann tun würde. (Hoffentlich stimmt das nicht ganz.) Für die Amtsführung ist aber weniger die Popularität beim Volke, als eine gute Einstellung des Parlamentes dem Präsidenten gegenüber von Bedeutung, und daran fehlt es nicht. Herr Truman ist besonders im Senate beliebt. Er hat sich durch seine Tätigkeit in Ausschüssen die Achtung seiner Kollegen erworben, gilt als intelligent und integer und ist seiner Partei ergeben. Seine Parteigänger wissen, dass er versuchen wird, die mittlere Linie einzuhalten und die Gegensätze möglichst zu versöhnen. (Diese Gewissheit fehlte inbezug auf HenryWallace, weswegen die Parteileiter seine Wahl zum Vicepräsidenten letzten Sommer verhinderten.)