Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 15, doc. 298
volume linkBern 1992
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1000/1572#26* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1000/1572 9 | |
Dossier title | Schweiz. Kapitalanlagen. Allgemeines (1943–1945) | |
File reference archive | C.41.150 |
dodis.ch/47902
Wir beehren uns, auf unsere Eingabe vom 12. Juli v.J.3 zurückzukommen. Unter Hinweis auf die weittragende Bedeutung, die den schweizerischen Guthaben im Ausland für unsere gesamte Volkswirtschaft zukommt, hatten wir uns gestattet, Ihnen die Durchführung einer umfassenden Erhebung über diese Guthaben sowie über die ihnen gegenüberstehenden schweizerischen Verpflichtungen nahezulegen, um hiedurch die Grundlage für die Verhandlungen zu gewinnen, die nach Kriegsende mit einer Reihe von Staaten über die Ordnung des gegenseitiges Zahlungsverkehrs werden geführt werden müssen. In Ihrer Antwort vom 20. Juli 19434 teilten Sie uns mit, Sie möchten sich Vorbehalten, nach eingehender Prüfung auf unsere Darlegungen und Vorschläge zurückzukommen, doch sind wir seither in der Sache ohne weitere Nachrichten geblieben.
Inzwischen haben sich in militärischer und politischer Hinsicht Entwicklungen vollzogen, durch welche die Notwendigkeit einer Neuregelung unserer wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen zu gewissen Staaten erheblich näher gerückt worden sind. In besonderem Masse gilt dies für das Verhältnis der Schweiz zu Frankreich. Als eines der ersten Probleme, das hier nach Wiederaufnahme voller diplomatischer Beziehungen, wenn nicht schon vorher, zu behandeln sein wird, stellt sich die Frage einer Aufhebung der durch den Bundesratsbeschluss vom 6. Juli 19405 verhängten Sperre der französischen Vermögenswerte in der Schweiz. Nachdem diese Sperre seinerzeit im Zusammenhang mit der Besetzung Frankreichs verfügt worden ist, steht wohl mit Bestimmtheit zu erwarten, dass man, nachdem Frankreich nun wieder befreit worden ist, von französischer Seite ihre Aufhebung verlangen wird. Bekanntlich lag jedoch der Zweck der Sperre nicht bloss darin, die französischen Guthaben in der Schweiz vor dem Zugriff der Besetzungsmacht zu schützen, sondern es wurde, und zwar mit Recht, in den gesperrten Vermögenswerten auch ein Pfand für eine angemessene Behandlung der schweizerischen Guthaben in Frankreich erblickt. Wir hatten schon wiederholt Gelegenheit, gerade auf diese letztere Funktion der Sperre und ihre grosse Bedeutung für die schweizerische Volkswirtschaft hinzuweisen. Wenn auch genaue Angaben über den Umfang der schweizerischen Kapitalinteressen in Frankreich fehlen, so steht doch fest, dass es sich um einen Betrag handelt, der in die Hunderte von Millionen von Schweizerfranken geht, wenn nicht sogar die Miliardengrenze erreicht. Es bedarf keiner längeren Ausführungen darüber, von welcher Wichtigkeit die Erhaltung dieser Werte für die Wirtschaft unseres Landes ist. Nachdem auf den schweizerischen Auslandsguthaben in anderen Ländern schon schwere Verluste eingetreten sind und weitere Opfer angesichts der Entwicklung der Dinge mit grosser Wahrscheinlichkeit werden gebracht werden müssen, erscheint es umso dringlicher, zum mindesten da, wo uns die nötigen Mittel in die Hand gegeben sind, den Bestand des schweizerischen Vermögens im Auslande soweit möglich zu wahren, damit sich unser Land für die Aufgaben der Nachkriegszeit gerüstet findet. Von jeher bildeten die Erträgnisse der schweizerischen Kapitalanlagen im Ausland ein wesentliches Element für den Ausgleich unserer Zahlungsbilanz und werden bei den gesteigerten Importbedürfnissen nach Kriegsende hierin an Bedeutung eher noch gewinnen. Aber auch zur Mitwirkung am Wiederaufbau der kriegsgeschädigten Länder und zur erfolgreichen Behauptung und Erweiterung unserer ausländischen Absatzmärkte wird die Schweiz ihrer ganzen Kapitalkraft bedürfen. Im weiteren tritt dazu das Interesse des Staates, der angesichts seiner stark gestiegenen finanziellen Bedürfnisse und seiner gewaltigen Verschuldung alles daran setzen muss, um die Substanz des schweizerischen Vermögens als Steuerobjekt und als notwendige Grundlage für die Lebenskraft unserer Wirtschaft soweit wie möglich zu erhalten.
Aus all den genannten Gründen darf nach unserer Überzeugung nichts versäumt werden, was zur Erhaltung der schweizerischen Vermögenswerte im Auslande getan werden kann. Zu den Mitteln, welche geeignet sind, den Unterhändlern unseres Landes bei der Wahrung dieser Interessen gute Dienste zu leisten, zählt namentlich auch die Sperre ausländischer Guthaben in der Schweiz. Im Hinblick auf das Ausmass der Beträge, die dabei für unser Land auf dem Spiele stehen, liesse es sich u.E. kaum verantworten, dieses Mittel aus der Hand zu geben, solange nicht hinreichende Gewähr für eine annehmbare Liquidierung oder Sicherung der schweizerischen Guthaben in den betreffenden Staaten geboten wird.
In welcher Form die gesperrten ausländischen Vermögenswerte dem Schutze der schweizerischen Interessen nutzbar gemacht werden können, wird dabei Sache eingehender Prüfung im konkreten Falle sein und von der jeweiligen Gestaltung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu dem betreffenden Staate abhängen. Nicht zuletzt werden dabei der Umfang und die Beschaffenheit der in Frage stehenden schweizerischen Guthaben einerseits und der von der Sperre erfassten ausländischen Vermögensobjekte anderseits von massgebendem Einfluss sein. Es scheint uns daher der Zeitpunkt gekommen zu sein, hierüber im Verhältnis zwischen der Schweiz und Frankreich durch eine umfassende Erhebung Klarheit zu schaffen. Je zuverlässigere Angaben unsere Unterhändler über die gegenseitigen Guthaben besitzen werden, umsoeher dürfte es möglich sein, den Wünschen der Gegenpartei nach einer Lockerung der Sperre unter gleichzeitiger Wahrung der schweizerischen Interessen entgegenzukommen und dadurch den Weg zu einer Verständigung zu finden. In der Tat wird erst eine gründliche Enquête ein zuverlässiges Bild darüber vermitteln können, welchen Umfang die schweizerischen Kapitalanlagen und Forderungen in Frankreich erreichen und welche Kategorien der gesperrten Vermögenswerte am ehesten geeignet sind, um als Pfand für die Erfüllung der schweizerischen Ansprüche zu dienen. Daneben wird die Enquête auch darüber Aufschluss geben müssen, wie die Freigabe der gesperrten Guthaben allenfalls zu staffeln ist, um unerwünschte Auswirkungen massiver Rückzüge auf unsere Währung möglichst ausschalten zu können6. Wir gestatten uns daher, Ihnen die Anordnung der von uns früher schon wiederholt beantragten Enquête erneut nahezulegen, wobei wir selbstverständlich gerne unsere Mitwirkung für die Vorbereitung und Durchführung der erforderlichen Massnahmen zur Verfügung stellen.
Die Bedenken, die gegen eine solche Erhebung gelegentlich schon geäussert worden sind, vermögen wir nicht zu teilen. Nachdem wir uns dazu früher schon einlässlich geäussert haben, glauben wir, an dieser Stelle von weiteren Ausführungen absehen zu können und möchten lediglich bemerken, dass das Bankgeheimnis durch die Enquete in keiner Weise angetastet wird, da nicht die einzelnen Guthaben und Verpflichtungen, sondern nur die Gesamtsummen ermittelt werden sollen. Auch in anderer Hinsicht scheinen uns schweizerische Interessen durch die Enquête in keiner irgendwie erheblichen Weise beeinträchtigt zu werden. Wir möchten uns daher gestatten, Ihnen die Frage der Durchführung einer solchen Erhebung nochmals zur Prüfung zu empfehlen.
- 1
- La lettre est signée par le Président de la Direction générale, E. Weber, et le Directeur général du Troisième Département, A. Hirs. Cf. aussi E 2001 (E) 2/609.↩
- 2
- Lettre: E 2001 (E) 2/561.↩
- 3
- Non reproduit.↩
- 4
- Non reproduit.↩
- 5
- Cf. DDS, vol. 13, doc. 336, dodis.ch/47093.↩
- 6
- Annotation de R. Kohli dans la marge: open market-Politik! Cf. No 360, note 11.↩