Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 15, doc. 182
volume linkBern 1992
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E4800.1#1967/111#329* | |
Old classification | CH-BAR E 4800.1(-)1967/111 73 | |
Dossier title | Verkehr mit verschiedenen Ländern (1930–1956) | |
File reference archive | 1.04.26 |
dodis.ch/47786 Le Chef de la Division de Police du Département de Justice et Police, H. Rothmund, au Ministre de Suisse à Vichy, W. Stucki1 Mein Lieber,
Du findest beiliegend einen Brief der Polizeiabteilung2 über die aus Vichy nach der Schweiz geflüchteten ungarischen Diplomaten, den Herr Baechtold in meinem Auftrag redigiert hat. Ich schreibe Dir noch persönlich, weil ich mir vor diesen Fällen nicht recht zu helfen weiss.
Auf der einen Seite kenne ich Deine Einstellung, die offenbar geteilt wird vom Herrn Departementschef. Wenigstens hat dieser schon mehrfach angefragt, ob Herr Baranyai sich noch in der Schweiz befinde. Zuletzt, vor einigen Tagen, hat Herr Bundesrat um Bericht ersucht, «sobald der ungarische Legationsrat Baranyai und der ungarische Handelsattache Inczedi zurückgestellt seien».
Auf der ändern Seite haben die beim Polizeidepartement in Genf über Herrn Baranyai eingezogenen Erkundigungen eine gute Auskunft ergeben. Auch scheint dieser Mann während seines langjährigen Aufenthaltes in der Völkerbunddelegation in den besten Kreisen der Genfer Intellektuellen einen ausgezeichneten Ruf hinterlassen zu haben.
Wir haben schon 25 000 fremde Juden als Flüchtlinge aufgenommen, von denen die wenigsten irgendwelche Beziehungen zur Schweiz haben und auf jeden Fall so ziemlich alle unser Land und seine Institutionen kaum verstehen und die eine schwere Belastung bedeuten für uns. Nach unsern neuesten Weisungen3 an die Grenze müssen auch fernerhin alle Juden zugelassen werden, weil sie als an Leib und Leben gefährdet betrachtet werden müssen. (Ich lege ein Exemplar dieser Instruktionen zu Deiner Kenntnisnahme bei.)
Die Judenverfolgungen in Ungarn haben eine aussergewöhnlich scharfe Reaktion ausgelöst in der schweizerischen öffentlichen Meinung. Diese wurde noch verschärft durch die Mitteilungen aus Limoges4. Wenn wir ungarische Diplomaten, die aus der deutschen Überwachung in Vichy zu uns fliehen, weil sie angeblich Distanz nehmen wollen von der heutigen ungarischen Regierung, zurückschicken, so wird das nur sehr schwer verstanden werden. Auf jeden Fall bei einem Mann wie Baranyai, der in so guter Erinnerung steht bei besten Genferleuten.
Ich möchte Dich deshalb bitten, anhand des Briefes von Baranyai festzustellen, ob er wirklich eine Doppelrolle gespielt hat und unehrenhaft vorgegangen ist. Wenn das der Fall ist, dann werden wir ihm dies sagen und werden ihn aber auch an die Grenze führen lassen. Wir können es dann auch seinen früheren Freunden mitteilen.
Sollte er aber nichts Unehrenhaftes begangen haben und sich, wie seine ungarischen Kollegen in der Schweiz zu glauben scheinen, nur herausgeschwindelt haben, um seinen Gesandten vor Verlegenheit zu bewahren, so würde ich trotz der Gefahr des bösen Beispiels von der Rückweisung absehen.
Wir könnten ja selbstverständlich sagen, die Diplomaten, die ausreissen, bringen sich dadurch erst in Gefahr und können deshalb nicht aufgenommen werden, gerade wie die Franzosen, die den befohlenen Arbeitsdienst nicht leisten und deshalb zu uns kommen wollen, und die wir im grossen ganzen auch zurückweisen.
Ist die Situation eines Diplomaten aber nicht doch etwas anders? Müssen wir nicht den Ungaren achten, der heute seiner Regierung den Bettel hinschmeisst und geht?
Wir müssen natürlich irgendwo eine Grenze ziehen. Baechtold versucht es mit den Beziehungen zur Schweiz. Ich halte das nicht für unbillig, wenn es auch nicht durchaus logisch ist. Wir müssten nur noch besondere Gefahr für Leib und Leben dazu nehmen. Allzu ängstlich bin ich nicht der Konsequenzen wegen. Wenn wir sagen können, dass besonders enge Beziehungen zu unserem Lande verlangt werden, können wir einen guten Teil auch der Diplomaten abhalten. Zudem wird das Reisen wahrscheinlich immer schwerer und riskanter, sodass auch in den Verhältnissen selbst eine starke Bremse liegt.
Ich habe bei Deinem letzten Besuche den Eindruck erhalten, dass Dir sehr viel an der Rückweisung Baranyais liegt. Es tut mir leid, wenn ich Dir mit meiner Zurückhaltung in diesem Falle Deine ja sonst so grossen Sorgen noch vergrössere. Ich würde es sicher nicht tun, wenn ich nicht im Angesicht der ganzen Flüchtlingsfrage und der Verhältnisse bei uns ein ernsthaftes Widerstreben gegen die Zurückweisung hätte. Ich bitte Dich deshalb sehr, meine Überlegungen zu würdigen und die Mühe zu nehmen, mir noch einmal zu schreiben.
- 1
- Lettre (Copie): E 4800 (A) 1967/111/329.↩
- 2
- Non reproduite. La Division de Police rappelle d’abord dans quelles circonstances les trois diplomates hongrois et leurs familles se sont réfugiés en Suisse. En ce qui nous concerne, nous sommes plutôt de l’avis que l’arrestation de ces diplomates par les autorités d’occupation et leur remise probable aux autorités hongroises les mettraient dans une situation suffisamment dangereuse pour justifier leur admission en Suisse comme réfugiés. En nous demandant de refouler M. Baranyai, vous aviez fait valoir aussi que si l’on ne réagissait pas, nous aurions bientôt en Suisse, comme réfugiés, la plus grande partie du corps diplomatique accrédité à Vichy. Depuis, et comme pour vous donner raison, nous avons vu arriver M. et Mme Geszetesi. Nous demandons néanmoins si le fait de procéder au refoulement dans un cas empêcherait vraiment les autres de tenter leur chance. Cf. aussi E 2001 (D) 3/268-269.↩
- 3
- Cf. No 175.↩
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Internees and prisoners of war (1939–1946)