Classement thématique série 1848–1945:
III. RELATIONS ÉCONOMIQUES INTERNATIONALES
III.5. TRANSIT
Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 15, doc. 169
volume linkBern 1992
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E7110-01#1973/134#51* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 7110-01(-)1973/134 8 | |
Titre du dossier | Wirtschaftsverhandlungen mit Grossbritannien und USA in London von Februar bis August 1944: Anträge und Beschlüsse BR, Korrespondenz, Verhandlungsberichte, Exporte des Roten Kreuzes (1944–1944) | |
Référence archives | 21122 |
dodis.ch/47773
Die Verhandlungen sind jetzt in das entscheidende Stadium getreten und es ist von hier aus nicht zu beurteilen, ob es zu einem Vertrag kommt oder ob wir einmal mehr nach geduldigen Bemühungen und ehrlichem Bestreben den alliierten Begehren entgegenzukommen, mit leeren Händen zurückkommen2. Es gibt zweifellos Gründe, die es auch für die Alliierten wünschbar erscheinen lassen, mit der Schweiz zu einem Abkommen zu gelangen. Zu diesen Gründen gehört aber sicher in letzter Linie der in der Schweiz offenbar viel zitierte Zeitungsartikel von Walter Lippmann; man glaubt offenbar in manchen Kreisen in der Schweiz noch zu sehr daran, dass gefühlsmässige Erwägungen bei den Alliierten zu gunsten der Schweiz einen Einfluss haben, der dann in Navicertquoten ausgemünzt werden kann. Meine bisherigen Erfahrungen gehen dahin, dass für unsere Partner nur das nackte Interesse eine wesentliche Rolle spielt, wobei ich allerdings glaube, dass auch ein gewisses Interesse daran besteht, mit der Schweiz im jetzigen Moment keinen vertragslosen Zustand herbeizuführen. Man wird jedoch gut daran tun, dieses Interesse nicht zu überschätzen. Auch das Verständnis für die besondere Lage der Schweiz ist sehr bald erschöpft, wenn es sich um die Diskussion von konkreten Fragen handelt; dies umsomehr als diese konkreten Fragen von untergeordneten Beamten behandelt werden, bei denen die allgemeinen Erwägungen hinter dem Ziel, einen besondern Erfolg herauszuholen, zurücktreten. Auf diese untergeordneten Beamten ist man jedoch stark angewiesen; hier vielleicht noch stärker als anderswo; obwohl wir jederzeit die Möglichkeit haben mit Foot und Riefler in Verbindung zu treten, so werden doch auch deren Entscheidungen weitgehend von ihren Mitarbeitern beeinflusst.
Darüber hinaus scheint mir, dass ganz bewusst und in steigendem Masse ein Druck auf uns ausgeübt wird, um uns möglichst deutlich vor Augen zu führen, was für uns auf dem Spiele steht. Nur so kann ich es mir erklären, dass, seitdem wir die Verhandlungen aufgenommen haben, nicht ein einziges der von der Delegation vorgebrachten kleinen und kleinsten und zum Teil sehr wohlbegründeten Einzelbegehren, angefangen von den Lokomotiven bis hinunter zum Navicert für die 50 Tonnen Wolle im Zusammenhang mit dem «Compensation Deal», positiv erledigt worden ist. Es ist unverkennbar, dass alles wofür wir das kleinste Interesse zeigen, von den Partnern «en suspens» gehalten wird mit der stereotypen Bemerkung, dass die Sache sich in Prüfung befinde.
Die grosse Schwierigkeit und Schwäche unserer Verhandlungen liegt darin, dass wir nichts oder doch nur sehr wenig direkt ausmünzen können. Das scheint im Hinblick auf die grossen bereits auf uns genommenen Opfer paradox. Es ist sicher, dass beispielsweise unsere Haltung in der Transitfrage hier Befriedigung ausgelöst hat. Es liegt aber leider in der Natur der Sache, dass wir unsere Haltung auf diesem Gebiet nicht ausmünzen konnten. Unsere Leistung ist bereits erbracht; wir können nicht sagen: wenn wir das und das erhalten, werden wir jene Transitleistungen an die Achse einstellen. Wir können offenbar nicht einmal damit drohen, dass wir den Transitverkehr wieder wesentlich larger beurteilen werden, wenn ein Abkommen nicht zustande kommt, nachdem wir erklärten, dass unsere Haltung auf diesem Gebiet ein Ausfluss unserer Neutralitätspolitik sei. Wir können lediglich hoffen, dass die Alliierten unsere neutrale Haltung anerkennen und uns als Gegenleistung die vorgebrachten Begehren erfüllen. Ich bin jedoch auf Grund der bis jetzt gemachten Erfahrungen skeptisch, ob die Alliierten bei der Aufstellung der Bilanz unsere bereits gemachten Entgegenkommen gebührend würdigen. Ihre neuesten Vorstösse beispielsweise betreffend die Fixierung eines globalen Plafonds beim Transit - eine Frage, die wir hier glaubten endgültig erledigt zu haben -, lassen eher die Vermutung zu, dass sie beabsichtigen, auch auf diesem Gebiet die Unbefriedigten zu spielen. Das gleiche Schicksal teilt z. B. die starke Haltung der Schweiz in Bezug auf die Kreditfrage; ich fürchte, dass sich unsere Partner sagen, dass wir im Falle eines Bruches kaum dazu übergehen würden, wiederum grössere Kredite in das deutsche Clearing zu pumpen, nachdem es schliesslich schweizerisches Geld ist, das dafür aufgewendet wird. Ja selbst in Bezug auf Ausfuhrkontingente sagen sich unsere Partner vielleicht, dass beim Nicht-Zustandekommen eines Vertrages zwar manches ungünstiger sein könnte, als es heute vorgesehen ist, dass aber die beschränkt vorhandenen Clearingmittel sowie das schweizerische Interesse an einer gleichmässigen Aufteilung dieser Mittel eine wirklich starke Steigerung der Ausfuhr unter den inkriminierten Positionen kaum zulassen.
Es kommt daher bis zu einem gewissen Grade darauf hinaus, in wieweit unsere Partner «fair play» spielen und unsere bereits gemachten Leistungen anerkennen und uns dafür etwas geben. Meine diesbezügliche Zuversicht ist nicht gewachsen, seitdem ich das M.E.W. aus eigener Erfahrung kennen gelernt habe. Auf alle Fälle setze ich keine grossen Hoffnungen auf unseren unmittelbaren Partner Herrn Seebohm. Ein besonderes Wohlwollen für die Schweiz konnte ich bis jetzt kaum feststellen; vielmehr scheint mir, dass es ihm darum zu tun ist, aus diesen Verhandlungen einen persönlichen Erfolg zu machen. Ich glaube, dass die wesentliche Verschärfung der Haltung in der letzten Zeit in allen Einzelfragen auf seine Initiative zurückzuführen ist: es soll der Schweiz damit deutlich die vielfache Abhängigkeit von dieser Seite vor Augen geführt werden. Unerfreulich macht sich in letzter Zeit noch eine eigentliche unenglische Arroganz geltend. Leider ist aber Herr Seebohm für unsere Verhandlungen von grosser Bedeutung. Sein amerikanisches Pendant: Herr Lovitt (wie Herr Seebohm nicht Beamter sondern nur temporär im Staatsdienst) wäre wahrscheinlich weniger rigoros, hat aber infolge geringerer Vertrautheit mit der Materie offenbar einen geringeren Einfluss. Der eigentliche Verhandlungschef, ein gewisser Herr Villiers, der in den ersten Sitzungen aufgetreten ist, ist von der Bildfläche völlig verschwunden. Es handelt sich um einen aus dem Ruhestand zurückgeholten früheren Beamten des Foreign Office, der sich durch besonders merkwürdige Manieren auszeichnete. Seine ziemlich inkoherente Beteiligung an den Verhandlungen erwies sich meistens weder als klärend noch als hilfreich. Es bleibt somit die erste Garnitur: die Herren Foot und Riefler, für welche die Verhandlungen mit der Schweiz offenbar nur den kleinsten Teil ihrer laufenden Arbeit ausmachen. Ich habe Riefler bis jetzt überhaupt noch nicht an einer Sitzung gesehen. Die Sitzungen mit Foot sind meistens sehr kurz, wobei es offensichtlich ist, dass sich Foot nur kurz vorher von Seebohm über den Verhandlungsgegenstand unterrichten lässt. Damit erhält natürlich Seebohm eine sehr starke Stellung. Auch Foot ist zweifellos von keiner Sentimentalität angekränkelt - er müsste nicht praktischer Leiter des Ministeriums für wirtschaftliche Kriegführung sein -, aber es scheint mir doch, dass er ehrlich bestrebt ist, eine für beide Teile befriedigende Lösung zu finden.
Ich habe mich schon gefragt, ob uns ev. Interventionen an anderer Stelle (beispielsweise Foreign Office) über die Klippe bringen könnten. Man wird aber gut tun, solche Möglichkeiten nicht zu überschätzen, umsomehr als die Gesandtschaft unter den gegenwärtigen Verhältnissen kaum über jene Verbindungen verfügt, die in der Lage wären, gegenüber der Haltung der Fachleute entscheidende Änderungen herbeizuführen. Es wäre übrigens noch fraglich, ob andere Stellen überhaupt dazu gebracht werden könnten, einen für uns günstigen Einfluss beim M.E.W. auszuüben. Die Haltung unserer Partner muss heute eben mehr als je auf den Hintergrund der grossen militärischen Erfolge der letzten Zeit und der heute in allen Kreisen unerschütterlichen Sieggewissheit bezogen werden. In dieser Hinsicht ist sogar eine wesentliche Änderung und Verschärfung der Situation lediglich in der Zeitspanne seit der Aufnahme unserer Verhandlungen eingetreten.
Etwas überrascht war ich über die kürzlich von Herrn Minister Hägloff (bei der holländischen und belgischen Exilregierung akkreditiert und offenbar früherer Leiter der schwedischen Aussenhandelsabteilung) in Erfahrung gebrachten Details über das Abkommen mit Schweden. Man kann sich wirklich fragen, ob beispielsweise die schwedischen Eisenerzlieferungen für die deutsche Rüstung nicht mindestens ebenso wichtig sind als die schweizerischen Waffenund Munitions-Exporte. Auch die schwedischen Kugellagerlieferungen sind noch ganz erheblich, und trotzdem ist es Schweden gelungen, nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Textilien zu erhalten. Wir fragen uns daher immer wieder, ob es sich beim alliierten Vorstoss um ein ebenso nachdrücklich als geschickt durchgeführtes Erpressungsmanöver handelt. Ich halte dies nach wie vor als möglich und man muss dann nur einmal mehr konstatieren, dass sich die hiesige Haltung kaum von derjenigen unserer nördlichen Nachbarn in ihren guten Zeiten unterscheidet.
Wir werden nun unsere letzte Karte ausspielen und ruhig und sachlich versuchen, das Bestmögliche herauszuholen. Ganz besonders verantwortungsvoll und schwierig wird eventuell die Beurteilung der Frage, ob und bis zu welchem Grade wir uns mit einem Teilergebnis zufrieden geben sollen. Bei einem Rückzugsgefecht sollten offenbar ganz besonders die Textilien verteidigt werden. Sollte aber diese Phase der Verhandlungen mit einem völligen Fehlschlag enden, was ich doch noch nicht glauben will, so wird man sich überlegen müssen, ob wir dann nicht zurückkehren sollten.
Das Leben in London ist wieder etwas unruhiger und ungemütlicher geworden seit der Wiederaufnahme der Bombardierungen. Von einer Störung des täglichen Lebens ist zwar nichts zu spüren, aber die Leute sind doch etwas nervös geworden und nachts sind die Untergrundbahn-Stationen wieder dicht besetzt mit Obdachlosen und ändern Leuten, die hier Schutz suchen. Irgendetwas anderes als «nuisance raids» sind diese Angriffe vom militärischen Standpunkt aber kaum. Herrn Prof. Keller und mir geht es andauernd gut.
- 1
- Lettre (Copie): E 7110/1973/134/8.↩
- 2
- Sur ces négociations, cf. notamment, E 7110/1973/135/49 et 18; E 7110/1967/32/821/Grossbritannien/2; E 7110/1973/134/9 et 61; E 2001 (E) 2/625.↩
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