Classement thématique série 1848–1945:
2. RELATIONS BILATÈRALES
2.5. ÉGYPTE
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 14, Dok. 269
volume linkBern 1997
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2300#1000/716#346* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2300(-)1000/716 171 | |
Dossiertitel | Kairo, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 3 (1938–1942) |
dodis.ch/47455
Le Chargé d’Affaires de Suisse au Caire, A. Brunner, au Département politique1
Im Laufe des Monats wurde ich von Ihrer Abteilung für fremde Interessen2 um eine Bestätigung ersucht, ob die in Ägypten ansässigen Italiener, wie eine Reuter-Nachricht es meldete, eine Anti-Fascistische Partei unter dem Namen «Movimento Italia Libéra» gegründet hätten.
Ich habe telegraphisch kurz auf diese Anfrage geantwortet, erachte jedoch, dass die Berichterstattung über diese Bewegung rein politischer Natur sei und somit nicht in die Aufgaben der Vertretung fremder Interessen falle. Ich benütze jedoch gerne die Gelegenheit, in Form eines politischen Berichtes Sie über diese Bewegung und deren Folgen mit dem Ersuchen näher zu orientieren, eine Abschrift dieses Berichtes Herrn Minister de pury, Chef der Abteilung für fremde Interessen, zu seiner persönlichen Kenntnisnahme zu übersenden.
Schon vor dem Kriege bestand in Alexandrien eine anti-fascistische Zelle, die jedoch an Bedeutung und Tätigkeit unbeachtet blieb. Als der Krieg zwischen England und Italien ausbrach und die Militär-Proklamationen der ägyptischen Regierung nicht ohne weiteres alle Italiener erfassten, trat die Bewegung organisatorisch an die Öffentlichkeit. Durch die britischen Behörden ermuntert, erstreckte sich ihre Tätigkeit auf eine Mitarbeit in dem neu gegründeten «Giornale d’Oriente» unter dem Namen «Corriere d’Italia» und später «Bollettino di notizie dallTtalia e dall’Estero» genannt. Diese Zeitschrift wurde zu Beginn dieses Krieges in vielen Exemplaren unter die italienischen Kriegsgefangenen, die Internierten und die Mitglieder der italienischen Kolonie verbreitet. Der Erfolg war absolut negativ, und ich erinnere mich noch an die Aussagen gewisser englischer Lager-Kommandanten, die diese politische Bearbeitung oder Beeinflussung der Kriegsgefangenen streng verurteilten. Der Misserfolg dieser Propaganda, besonders der Rückzug finanzieller Unterstützungen verhinderten die weitere Veröffentlichung dieser Zeitung. Das später ausgegebene und obenerwähnte «Bollettino» erlitt das gleiche Schicksal.
Auch auf anderem Gebiete machte sich die Tätigkeit dieser Bewegung fühlbar, nämlich in Versprechungen der Freilassung von Internierten gegen die Beitrittserklärung zur Bewegung. Dies wurde in verschiedener Weise gehandhabt: entweder versuchten die Mitglieder dieser Bewegung die in Urlaub befindlichen Internierten zum Beitritt zu bewegen oder sie wendeten sich direkt an diejenigen italienischen Familien, bei welchen sie wussten, dass die Freilassung des Vaters oder des Bruders für dieselben von vitalem Interesse gewesen wäre. Dieses Vorgehen, das oft unter Androhung anderer Massnahmen vor sich ging, gab der Gesandtschaft zu wiederholten Malen Anlass einzugreifen. Ein gleicher Druck wurde auch gegenüber den reichen italienischen Juden ausgeübt, welche bis dahin der Bewegung noch nicht beigetreten waren, immer unter der Drohung, dass ihre Güter unter Sequester gestellt würden.
Zwei Komitees traten besonders in den Vordergrund; es waren dies die von Kairo und Alexandrien. Neben Italienern jüdischer Herkunft nahmen an dieser Bewegung auch Ausländer sowie arme hier ansässige Italiener teil, welche durch diesen Beitritt für sich selbst materielle Vorteile erhofften. Am 20. Februar 1942 wurde unter dem Titel «Gruppo d’Azione Antifascista e Italiani Liberi» eine grosse Versammlung im Konzertsaal der französischen Schule in Alexandrien einberufen. Vertretungen der britischen Militär- als auch Zivil-Behörden waren daselbst anwesend. Der Zweck dieser Versammlung war, der Öffentlichkeit die Ziele dieser Bewegung bekanntzugeben. Am nachfolgenden Abendessen wurde auf den «Sieg der Allierten» getrunken!
Der rasche Vormarsch der Achsen-Truppen in Libyen sah die Flucht der führenden Persönlichkeiten dieser Bewegung. Die spätere Kriegsentwicklung veranlasste einen Teil dieser Personen wieder zurückzukommen. Die Reihen waren gelichtet, die Mitglieder zahlten nicht ihre Beiträge und das Komitee sah sich veranlasst, auf dem Zirkular-Wege alle Mitglieder zu ermahnen, bis zum 24. September dieses Jahres ihre Mitgliedschaft zu bestätigen. Am 30. Oktober wurde den von den militärischen Proklamationen ausgenommenen Italienern, es sind diese fast alle jüdischer Herkunft, bekanntgegeben, dass sie umgehend sich dieser Bewegung anschliessen müssten, ansonsten sie Gefahr laufen würden, ihrer bisherigen Vorteile verlustig zu gehen. Am 22. Oktober erliess immer dasselbe Komitee einen neuen Aufruf und verlangte Geld, um einen Ambulanzdienst in Verbindung mit dem britischen Roten-Kreuz gründen zu können.
Nach all diesen sterilen Versuchen und Misserfolgen entzogen die britischen Behörden dieser Bewegung ihre Unterstützung. Der britische Sieg bei El-Alamein sowie die in Aussicht stehende grosszügige Militär-Aktion in Nord-Afrika scheinen dem Komitee neuen Mut zu geben. Inwieweit nach dem Gezeigten und der Unpopularität dieser Bewegung, - denn ich muss sagen ich habe selbst im alliierten Lager sowohl bei den Engländern als auch bei den Griechen nirgends ermunternte Worte über diese Bewegung gehört, wohl aber sehr oft das Gegenteil, - ein wirklich fühlbarer Erfolg diesem «Movimento» beschieden sein wird, ist fraglich. Das beiliegende Telegramm3, welches am 7. November in der hiesigen Presse erschien, wurde ganz allgemein als sehr geschmacklos verurteilt.
Ich habe selbstverständlich in meinen Akten die Namen sämtlicher Komitee-Mitglieder und angeblichen Führer dieser Bewegung, glaube jedoch, dass die Weitergabe derselben für Sie kaum von Interesse sein wird. Die italienische Kolonie kennt diese Leute zur Genüge und ich nehme an, dass auch die italienischen Behörden deren Namen kennen, ohne dass es unsere Aufgabe wäre, diese Personen besonders an den Pranger zu stellen.
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