Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
A. AVEC LES ÉTATS LIMITROPHES
2. France
2.1. Affaires politiques et militaires
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 13, doc. 306
volume linkBern 1991
more… |▼▶Repository
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#779* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 346 | |
Dossier title | Paris, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 93 (1940–1940) |
dodis.ch/47063
Letzten Sonntag abend, den 9. ds., vernahm ich, dass der Nunzius als Doyen des diplomatischen Corps, beim Aussenministerium um die Erlaubnis nachgesucht hatte, Paris verlassen zu können und sich nach der Touraine zurückzuziehen. Diese Erlaubnis wurde erteilt und den Missionschefs am Montag vormittag gemäss beiliegender Kopie3 zur Kenntnis gebracht. Am Sonntag abend ebenfalls vernahm ich, dass der grösste Teil der Dienste des Aussenministeriums, verschiedene Ministerien und Verwaltungen Paris ebenfalls verlassen sollten. Ich beendigte deshalb sofort die längst vorbereiteten Massnahmen und delegierte suksessive im Laufe des Montag nachmittags einige meiner Mitarbeiter, etwas Hülfspersonal und meine Dienstboten, sowie das sehr beträchtliche Gepäck (Akten, Schreibmaschinen, etc.) nach Ballan (vergleiche meinen Detailbericht4 von gestern an die Abteilung für Auswärtiges). Am Nachmittag besuchte ich noch den amerikanischen Botschafter Bullitt und den Generalsekretär des Aussenministeriums, Roux5, der in meiner Gegenwart die Mitteilung über die italienische Kriegserklärung erhielt. Da mir Herr Roux mitteilte, er verlasse Paris um 6 Uhr nachmittags als letzter Vertreter des Aussenministeriums, alle Regierungsmitglieder und die sämtlichen Dienste der uns interessierenden Ministerien seien bereits abgereist, konnte ich nicht mehr länger zögern, mit meiner Frau die Hauptstadt ebenfalls zu verlassen.
Es ist nicht ohne Interesse, festzustellen, dass von Seiten der französischen Regierung an das diplomatische Corps keinerlei andere offizielle Mitteilung erlassen wurde als das beiliegende Schreiben vom 9. Juni6. Es erging weder eine Mitteilung, die Regierung reise ab, noch eine Aufforderung an uns, dies zu tun.
/W7
Im besten Falle werden wir in einigen Tagen dazu gelangen, die schweizerisch-französischen Probleme mit den wirklich zuständigen Behörden sachlich zu erörtern. Dann beginnen erst die ungeheuern materiellen Schwierigkeiten. Ich denke dabei vor allem aus an die Frage der Versorgung der Schweiz mit Rohmaterialien und Lebensmitteln. Frankreich hat jetzt schon die Häfen von Dünkirchen8, Calais und Rouen verloren. Le Havre ist kaum mehr benutzbar. Welche Auswirkung der Eintritt Italiens in den Krieg auf Marseille und die französisch-schweizerische Versorgung über diesen Hafen haben wird; ist zur Stunde noch nicht übersehbar. Im besten Falle wird Marseille noch teilweise benutzbar sein. Damit konzentriert sich die Versorgung Frankreichs sowohl wie der Schweiz auf Nantes (wie lange noch?), auf den kleinen Hafen von La Rochelle und auf Bordeaux. Diese drei Häfen müssen aber auch noch den ganzen militärischen Verkehr zwischen England und Frankreich bewältigen. Es ergibt sich aus dieser Situation meines Erachtens die brutale Konsequenz, dass die Schweiz mindestens während längerer Zeit nur noch in kleinem Masse über französische Häfen wird versorgt werden können. Es ergibt sich hieraus die weitere Konsequenz, dass wir mit den im Lande liegenden Vorräten werden auskommen müssen und dass deshalb wohl ohne jeden Verzug die Rationierung aller Lebensmittel und Rohstoffe jetzt schon auf ein Minimum zu reduzieren ist. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Schweiz, selbst wenn sie nicht militärisch angegriffen werden sollte, an der Verpflegungsfrage zu Grunde geht.
Ein ganz spezielles Kapitel, über welches ich dem Chef des Volkswirtschaftsdepartements schon öfters eindringlich geschrieben habe9, ist das Kohlenproblem. Nicht nur werden wir keinerlei Kohle mehr aus Frankreich bekommen, das ist sicher!, sondern ich sehe auch nicht wie englische und amerikanische Kohle über Frankreich in die Schweiz transportiert werden könnte. Die jetzige sehr ernste Situation wird sich aber noch weiter verschlechtern. Ähnlich steht es mit dem Benzin.
Ich brauche nicht zu betonen, dass ich auch ohne Instruktionen das äusserste tun werde, um uns, wenn möglich über Marseille, jedenfalls aber über Bordeaux, gewisse Zufuhren noch sichern zu können. Ich habe das E.V.D. schon vor Tagen darauf aufmerksam gemacht, dass sofort ein schweizerischer Hafenkommissär in Bordeaux zu ernennen sei10 und habe auch meinen der Gesandtschaft zugeteilten Transportspezialisten, den ich von den S.B.B. übernommen hatte, gestern nach Bordeaux geschickt, wo er sich zunächst zur Verfügung des Konsulates stellt. Die Arbeit in Bordeaux wird zur Hauptsache nur an Ort und Stelle geleistet werden können. Ich kann von hier aus lediglich allgemeine Richtlinien provozieren, der Distanzen wegen aber nicht selber intervenieren (Distanz Paris-Bordeaux: über 300 km, Telephonverbindungen äusserst prekär). Dazu kommt noch, dass nach einer bis jetzt unbestätigten Nachricht das Ministerium für öffentliche Arbeiten nicht im Departement Indre-et-Loire, sondern in der Nähe von Bordeaux untergebracht sein soll.
Wie ich Ihnen telephonisch berichten konnte, hat sich die französische Regierung damit einverstanden erklärt, dass von der Schweiz gemietete, ausschliesslich mit für die Schweiz bestimmten Waren beladene und das schweizerische Hoheitszeichen führende neutrale Schiffe nach italienischen Häfen durchgelassen werden, falls die italienische Regierung dem Bundesrat die feierliche Erklärung abgibt, diese Schiffe und Waren nicht mit Beschlag zu belegen. Zudem muss jedes einzelne Schiff rechtzeitig der Blockadekontrolle der Alliierten mitgeteilt werden. Es würde mich lebhaft interessieren zu vernehmen, wie sich die von Ihnen gleichzeitig mit London und Rom eingeleiteten Besprechungen über diese Frage ab wickeln.
Die Flüchtlinge aus Holland, Belgien, Luxemburg, Nordfrankreich und nun auch aus Paris und seiner Umgebung sind jetzt im Zentrum und namentlich in der Südwestecke Frankreichs konzentriert. Es handelt sich wohl für diese Gegend um zusätzliche Unterkunft und Verpflegung für eine Menschenmenge, die auf sieben bis zehn Millionen geschätzt wird. Ich zweifle daran, dass die französische Verwaltung fähig ist, diese Probleme auch nur annähernd zu lösen. Sollten die deutschen Armeen weiter nach Süden Vordringen und damit die Konzentration im Südwesten noch entsprechend vergrössern, dann wird, zusammen mit einem neuen Rückzug von Regierung und Verwaltung Richtung spanische Grenze, eine Katastrophe unvermeidbar sein. Die jetzige Rückzugsetappe war wenigstens einigermassen vorbereitet und trotzdem sind die Unterkunfts- und Verpflegungsprobleme kaum gelöst. Selbst als diplomatische Vertretung haben wir uns bis jetzt die Kohle für die Zubereitung unserer Mahlzeiten nur kiloweise beschaffen können. Unsere Mahlzeiten müssen wir bis jetzt, wenigstens teilweise, aus unseren Konservenvorräten bestreiten, die selbstverständlich für 12 Personen, deren Verpflegung meiner Frau obliegt, nicht weit reichen. Sollte eine neue Rückzugsbewegung nötig sein, so ist gar keine Rede davon, dass ich das Personal, Material und Gepäck, das ich jetzt noch hier habe, mitnehmen könnte. Es werden dann im besten Falle ausser mir noch drei bis vier Personen die Weiterreise unternehmen können. Um Material und Gepäck bei einer solchen Eventualität nicht einfach preiszugeben, bleibt dann nichts anderes übrig als dass man mir von der Schweiz aus einen grossen Lastwagen schickt, da solche hier niemals und zu keinem Preis mehr aufzutreiben sind. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Herr Bundespräsident, wenn Sie diese Eventualität jetzt schon prüfen lassen und vorbereiten wollten.
Endlich möchte ich noch auf einen weitern Aspekt der gegenwärtigen Lage hinweisen, der mir sehr ernst erscheint: Es ist meines Erachtens kaum vermeidbar, dass die Tatsache, dass die besitzenden Klassen mit ihren Autos sich, ihre Habe und ihre Wertsachen in eine, allerdings relative Sicherheit begeben konnten, während die Masse des Volkes diese Kolonnen Tag und Nacht hat an sich vorbeiziehen sehen, ohne selber flüchten zu können, bedeutende soziale Auswirkungen haben kann. Wenn dazu eine aus der ständigen Rückzugsbewegung entstehende Deroute des Heeres kommt, Unterkunfts- und Verpflegungsschwierigkeiten noch grösser werden als jetzt schon, dann scheinen mir schwere soziale Unruhen in Wahrscheinlichkeitsnähe gerückt. Hoffentlich sehe ich zu schwarz! Nach meinen bis jetzt gemachten persönlichen Beobachtungen hält sich die Stimmung der Armee sowohl wie der Zivilbevölkerung noch auf einer ordentlichen Höhe. Das kann aber beim Temperament der Franzosen und bei zunehmenden militärischen Rückschlägen und Verpflegungsschwierigkeiten ziemlich rasch ändern. Die Zukunft sieht jedenfalls für Frankreich und die Schweiz sehr trübe aus. Bei persönlicher Beobachtung der Flüchtlingskolonnen auf allen Strassen, Wegen und Feldern habe ich immer wieder daran denken müssen, was geschehen würde, wenn zum Beispiel die Stadt Basel überraschend angegriffen würde, ohne vorher evakuiert worden zu sein.
- 1
- Rapport politique: E 2300 Paris/92. Pilet-Golaz a mis ce rapport en circulation parmi ses collaborateurs le 16 juin. Cf. aussi J.I. 131/42/1.↩
- 2
- ;Indre-et-Loire, arrondissement et canton de Tours, dans la banlieue de cette ville. Dès l’automne 1939, la Légation de Suisse avait prévu de s’y replier en cas d’impossibilité de rester à Paris, cf. le rapport de H. de Torrenté du 4 octobre 1939, J.I. 131/40. ↩
- 3
- Non reproduit.↩
- 4
- Non reproduit.↩
- 5
- Ancien Ambassadeur de France au Vatican, François Charles-Roux a succédé dès le 20 mai 1940 à A lexis Léger au poste de Secrétaire général du Ministère français des Affaires étrangères.↩
- 6
- Non reproduit.↩
- 7
- Suit une longue évocation des péripéties de l’évacuation de la Légation ainsi que des problèmes que vont poser les contacts avec les autorités françaises dispersées et désorganisées.↩
- 9
- Cf. No s 247 et 260 ainsi que E 7001 (B) 1/454.↩
- 10
- Cf. E 7001 (B) 1/454 et E 2200 Paris 13/23.↩
Tags