Classement thématique série 1848–1945:
IV. POLITIQUE ET ACTIVITÉS ÉCONOMIQUES
1. Situation générale, principes et neutralité économique
1.3. Neutralité économique
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 13, doc. 199
volume linkBern 1991
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#J1.131#1000/1395#56* | |
Old classification | CH-BAR J 1.131(-)1000/1395 8 | |
Dossier title | Schriftwechsel mit dem Volkswirtschafts- und dem Politischen Departement (1939–1940) | |
File reference archive | N.5 |
dodis.ch/46956
Der Umstand, dass der Krieg nicht nur auf militärischem, sondern vor allem auch auf wirtschaftlichem Gebiet ausgetragen wird, bringt es mit sich, dass unsern Wirtschaftsbeziehungen zu den Nachbarstaaten und Grossbritannien seit Kriegsausbruch ganz besondere politische Bedeutung zukommt. Als bereits in den ersten Septembertagen Wirtschaftsverhandlungen mit Deutschland und kurz darauf mit Frankreich aufgenommen wurden, hatte unser Departement daher das Bedürfnis, sich über die einzelnen Phasen der Verhandlungen fortlaufend unterrichtet zu halten. Andererseits war es wünschenswert, dass das Politische Departement seine Auffassung zu bestimmten Problemen, die es näher berühren, innerhalb der Verhandlungsdelegation unmittelbar zu Gehör bringen konnte. Herr Direktor Dr. Hotz hatte als Chef der Verhandlungsdelegationen hiefür volles Verständnis, und auf Antrag des Volkswirtschaftsdepartements wurde der Sektionschef des Rechtsbureaus der Abteilung für Auswärtiges, Herr Kohli, als Mitglied der Verhandlungsdelegationen bezeichnet.
Mit der Verlegung der schweizerisch-französischen Verhandlungen nach Paris fragte es sich, ob es notwendig sei, dass Herr Kohli auch an diesen Verhandlungen teilnehme. Wir glauben, diese Frage deshalb verneinen zu können, weil Sie nun ebenfalls die Möglichkeit haben werden, fortwährend über den Gang der Verhandlungen sich zu unterrichten und, wenn Sie es als erforderlich erachten, unsere Meinung über einzelne politische Probleme, die sich etwa stellen werden, einzuholen.
Es ist Ihnen vielleicht damit gedient, wenn wir hier in kurzen Zügen auf einige dieser Probleme hinweisen.
Die deutsche Regierung hat sofort nach Kriegsausbruch wissen lassen, dass es ihr Wunsch sei, den normalen Wirtschaftsverkehr mit den neutralen Staaten aufrecht zu erhalten. Deutschland habe nichts dagegen einzuwenden, wenn die neutralen Staaten ihren normalen Warenaustausch auch gegenüber den Staaten fortsetzen, die mit Deutschland in Konflikt sind. Sie werde keine tatsächlichen Einschränkungen oder formellen Kontrollen für den Warenverkehr der neutralen Staaten mit den Staaten verlangen, die mit Deutschland Krieg führen. Dagegen würde sie es als eine «unneutrale Haltung» betrachten, «wenn die neutralen Staaten sich von ändern Staaten tatsächliche Einschränkungen oder formelle Kontrollen aufdrängen liessen, die gegen die Fortsetzung des normalen Warenaustausches und Warentransits der neutralen Staaten mit Deutschland gerichtet sind». Wir übermitteln Ihnen in der Beilage zwei Mitteilungen der amtlichen «Deutschen Diplomatisch-Politischen Korrespondenz»2, damit Sie ihnen die nähere Begründung des deutschen Standpunktes entnehmen können. Herr Gesandter Hemmen hat zu Beginn der schweizerischdeutschen Verhandlungen Gedankengänge entwickelt, die sich mit den Darlegungen in der Mitteilung der «Deutschen Diplomatisch-Politischen Korrespondenz» vom 12. September, wenigstens dem Inhalte nach, deckten.
Auf die Art und Weise, wie Frankreich und Grossbritannien den Wirtschaftskrieg zu führen gedenken, und die ausserordentlich heikle Lage, in die ihr Vorgehen auch die Schweiz unter Umständen bringen kann, brauchen wir hier nicht weiter einzugehen. Die Grundlinien dieser Politik zeichnen sich nur mit zu grosser Deutlichkeit ab. Es wird auf die Dauer kaum sein Bewenden dabei haben, dass die Schweiz Rohstoffe, die sie über Frankreich einführt, nicht in unverändertem Zustand nach Deutschland wiederausführt. Nur zu bald wird bewusst darauf hingezielt werden, uns in der Versorgung so knapp zu halten, dass eine straffe Rationierung notwendig wird, weil darin die beste Gewähr für die Nichtwiederausfuhr erblickt wird. Auch für die Sicherung eines Vorkaufsrechtes für Fabrikate aus Rohstoffen, die bei der Einfuhr die französische oder britische Kontrolle passieren müssen, bestehen Ansätze. Auf die bedenkliche Tendenz, uns den Transitverkehr über Italien nach Möglichkeit abzuschneiden, hat ausser dem Bericht von Herrn Matter vom 9. Oktober3 mit Recht Ihr Schreiben vom 3. November an Herrn Direktor Hotz4 noch besonders aufmerksam gemacht.
Angesichts der mannigfachen Fährlichkeiten [sic], die der Wirtschaftskrieg der Grossmächte für unser Land in sich birgt, ist es notwendig, sich darüber Rechenschaft zu geben, was die Wahrung unserer Neutralität erfordert. Mit dem Armeestab, der schon in einem vorläufigen Gutachten vom 15. September aus der Feder von Herrn Professor Schindler5 zu diesen Fragen Stellung genommen hat, stehen wir auf dem entschiedenen Standpunkt, dass die Neutralität eine rein militärische Angelegenheit ist. Wir fügen jenes vertrauliche Gutachten des Armeestabes, dessen Ausführungen wir uns zur Hauptsache anschliessen können, zu Ihrem persönlichen Gebrauch hier bei.
Die Artikel 7 und 9 des Haager Abkommens über die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges machen es uns immerhin zur Pflicht, auch in wirtschaftlicher Hinsicht das Gleichgewicht zwischen den beiden kriegführenden Parteien zu wahren. Doch gilt auch hier der Satz: ultra posse nemo tenetur. Als Binnenstaat wird uns nicht Verantwortung für Massnahmen des Seekrieges zugeschoben werden können, die sich unserem Machtbereich völlig entziehen. Wir werden uns auch damit abfinden müssen, dass Frankreich und Grossbritannien gewisse Garantien dafür verlangen, dass die Waren, die ihrer Kontrolle unterliegen, nicht zur Durchbrechung der über Deutschland verhängten Blockade dienen. Dagegen wird man uns keine positive Mitarbeit an Blockademassnahmen zumuten dürfen; wir sind, wie Sie Herrn Minister Pernot entgegengehalten haben, darauf angewiesen, möglichst normale Witschaftsbeziehungen mit allen Nachbarn aufrechtzuerhalten. Dass der Bundesrat auf Schweizergebiet keine ausländische Kontrolle dulden, sondern Herr im eigenen Hause bleiben will, ist von Herrn Bundesrat Obrecht wiederholt mit aller Deutlichkeit ausgesprochen worden.
Die Schweiz ist bis jetzt in die Kontroverse über die Pflichten der Neutralen im Wirtschaftskrieg zum Glück direkt nicht hineingezogen worden. Die scharfe Sprache, die Deutschland mehrmals gegenüber den Oslo staaten und jüngst namentlich gegenüber den Niederlanden angeschlagen hat, das geringe Verständnis, das andererseits diese Staaten für ihre Lebensnotwendigkeiten in Paris und London gefunden haben sollen, lassen die bevorstehenden Verhandlungen auch vom aussenpolitischen Gesichtspunkt aus als besonders heikel erscheinen. Wir sind Ihnen daher zu besonderm Dank verpflichtet, wenn Sie diesen Problemen Ihre Aufmerksamkeit widmen und uns auf dem laufenden halten wollten.