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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 12, doc. 401
volume linkBern 1994
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2001D#1000/1551#98* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2001(D)1000/1551 4 | |
Titre du dossier | Neutrale Haltung der Schweizerpresse, Allgemeines (1937–1946) | |
Référence archives | A.15.42.10 |
dodis.ch/46661 Notice du Suppléant du Chef de la Division des Affaires étrangères du Département politique, A. Feldscher1
Es ist schon häufig bemerkt worden, dass die Nachkriegszeit, d. h. die Zeit, die mit dem Inkrafttreten der Friedensverträge von Versailles, St-Germain, Trianon und Neuilly anhebt, nur mit wenig Recht als Friedenszustand unter den Völkern bezeichnet werden könne. Es schien zwar während der wirtschaftlich günstigen Jahre von 1925 bis 1929, dass die innen- und aussenpolitischen Spannungen sich langsam beseitigen lassen könnten, aber mit dem Jahre 1930 setzte ein scharfer Rückschlag ein, und seither haben sich die Schwierigkeiten und Gegensätze nicht nur auf dem Felde der Wirtschaft, sondern auf demjenigen der internationalen Politik in einem Masse gehäuft und zugespitzt, dass bei den mannigfachen latenten und offenen Konflikten, von denen die Völker der Erde heimgesucht sind, von einem Zustand des Friedens nicht mehr gesprochen werden kann. Auf wirtschaftlichem und finanziellem Gebiet haben die ausserordentlichen Verhältnisse schon seit längerer Zeit auch zu ausserordentlichen Massnahmen des Bundesrates und der Bundesversammlung geführt. Allerdings ist die Verfassungsmässigkeit dieser Massnahmen stark bezweifelt worden, doch ihre Notwendigkeit wurde kaum bestritten.
In den letzten Monaten und Wochen hat sich nunmehr auf internationalem Gebiet in psychologischer Hinsicht ein Zustand herausgebildet, der nur mit demjenigen eines Krieges verglichen werden kann, wie denn auch der Kriegszustand zwischen verschiedenen Staaten vermutlich schon eingetreten wäre, wenn die Erinnerung an die schrecklichen Jahre des Weltkrieges in der heutigen Generation sich nicht lebendig erhalten hätte. Es hat sich deshalb unter solchen Umständen auch die Frage gestellt, wie der Bundesrat die Politik der Neutralität hochhalten und handhaben solle und im besondern wie weit das Schlagwort der geistigen Landesverteidigung mit dem geheiligten Grundsatz unseres Landes der strikten Neutralität vereinbar erscheine.
Die ungehörige, ja z.T. gemeine Schreibweise eines Teils der schweizerischen Presse gegenüber ausländischen Staatshäuptern, Regierungen, Völkern, sowie den politischen Einrichtungen fremder Staaten gibt immer und immer wieder zu Klagen und Beschwerden Anlass. Um gegen Zeitungen und Druckschriften, welche die guten Beziehungen der Schweiz zum Ausland gefährden, einschreiten zu können, ist vom Bundesrat eine konsultative Pressekommission eingesetzt worden, die am 4. Juli 1934 ihre Tätigkeit aufgenommen hat. Sie hat sich in periodischen Sitzungen mit solchen Fällen befasst, gegenüber einzelnen Blättern Verwarnungen ausgesprochen und zu Händen der Redaktoren und Verleger Richtlinien für die Bekämpfung derartiger Auswüchse unseres Pressewesens angegeben. In einzelnen schweren Fällen hat auf Antrag der Bundesanwaltschaft auch der Bundesrat Verwarnungen erteilt, unter Androhung der Einziehung der Zeitung im Wiederholungsfall (z. B. gegenüber der Berner Tagwacht). Endlich haben verschiedene Zusammenkünfte der Auslandsredaktoren und Schweizerzeitungen, im Beisein von Vertretern des Politischen Departements, stattgefunden, wobei nicht nur die Wünschbarkeit einheitlicher schweizerischer Politik, sondern auch die Notwendigkeit der Übereinstimmung der Kundgebungen der schweizerischen öffentlichen Meinung mit der vom Bundesrat befolgten Politik erörtert und versucht wurde, bei den Zeitungen aller Parteien für diese Bestrebungen Verständnis zu wecken.
Wenn auch gewisse Erfolge dieser Bemühungen, namentlich bei bürgerlichen Parteien nicht zu bestreiten sind, so muss doch leider festgestellt werden, dass im ganzen genommen alle diese Anstrengungen nicht die gewünschten Ergebnisse gezeitigt haben. Dies erhellt am besten aus der Haltung unserer Presse in den letzten Tagen, anlässlich der gegenwärtigen Ereignisse in der Weltpolitik, die auch schon zu Schritten der Deutschen Gesandtschaft geführt hat, deren besondere Bedeutung unter den obwaltenden Umständen nicht zu verkennen ist. Auch die italienische Regierung zeigt sich weiterhin empfindlich gegenüber missliebigen Presseäusserungen unseres Landes. Die beschimpfenden Äusserungen sind aber nicht nur gegen die Staatschefs von Deutschland und Italien, sondern nunmehr auch gegen diejenigen von England und Frankreich gerichtet.
Als Beispiele, die aus den in den letzten Tagen erschienenen Publikationen herausgegriffen werden, seien genannt:
1. Die unsinnige Veröffentlichung einer anonymen Zuschrift durch das Berner Tagblatt vom 20. September, die als Kulturdokument für die bösartigen Absichten deutscher Kreise nicht nur gegenüber der Schweiz, sondern auch gegenüber der ganzen Welt bezeichnet wird.
2. Im «Travail» vom 21. September schreibt Pierre Nicole: «C’est ainsi, au nom de la liberté des peuples de disposer d’eux-mêmes, que MM. Chamberlain, Daladier, Halifax, Bonnet et Cie préparent les peuples démocratiques à devenir les esclaves d’un clown tragique à forte gueule, qui se prend pour le messie des dieux germains.»
3. Die Berner Tagwacht veröffentlicht am 22. September einen Artikel, betitelt «Perfides Albion», enthaltend die Stellen: «Der Schimpf (d. i. «Perfides Albion») ist uralt und vielfach verdient.» Und ferner «Das britische Reich hatte immer dann Soldaten genug, wenn es galt, denen den Todesstoss zu versetzen, die sich vorher in Kämpfen unter sich verblutet hatten.»
4. Im «Droit du Peuple» vom 20. September werden die italienischen, in Spanien kämpfenden Soldaten als minderwertig verächtlich gemacht.
5. In der Berner Tagwacht vom 22. September wird ein Artikel wiedergegeben, der in sehr hämischer Weise die politische Isolierung Mussolinis behauptet.
6. Aber auch andere Staaten bekommen Unfreundlichkeiten zu spüren; so hat kürzlich die Türkische Gesandtschaft sich über einen ungehörigen Artikel des Walliser Organs der dortigen Freisinnigen «Le Confédéré» in Martigny beschwert, und ferner hat die Weltwoche vor einiger Zeit über den Gemahl der holländischen Kronprinzessin in wenig taktvoller Weise sich belustigt.
7. Auf die Zeitungsartikel, die der Presseattache der Deutschen Gesandtschaft beanstandet hat, sei ferner der Vollständigkeit halber ebenfalls hingewiesen.
8. Schliesslich kann nicht unerwähnt bleiben, dass die Angriffe gegen den Bundesrat und das Politische Departement unentwegt fortdauern, was sicherlich nicht dazu dient, gegenüber dem Ausland den Eindruck eines geschlossenen, mit der Politik seiner Führung übereinstimmenden Schweizervolkes wiederzugeben. Dies zeigt sich namentlich in Verbindung mit der Volksbewegung auf Verbot der nationalsozialistischen Organisationen.
Die schweren Gefahren, welche diese Disziplinlosigkeit und Zerfahrenheit eines Teils der Schweizerpresse mit sich bringt, liegen auf der Hand. Es darf aber leider kaum mehr gehofft werden, dass bloss durch das Vertrauen auf den gesunden Sinn unseres Volkes eine Besserung der bedrohten Zustände herbeigeführt wird. Was auf dem Gebiet der militärischen und wirtschaftlichen Sicherung unseres Landes als notwendig anerkannt worden ist, das muss erst recht auch auf aussenpolitischem Gebiet gelten. Dem Bundesrat ist durch die Verfassung die Wahrung der äussern Sicherheit, die Behauptung der Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz (Art. 102 BV) nicht nur in einem Krieg, sondern zu allen Zeiten übertragen worden, und es wird ihm deshalb die Kompetenz nicht abgesprochen werden können, unter den heutigen, für den Bestand unseres Staatswesens sehr gefährlichen Zeiten die Massnahmen zu treffen, welche die neutrale Haltung unseres Landes auch auf dem Gebiet der Presse gewährleisten.