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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 12, doc. 382
volume linkBern 1994
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2300#1000/716#524* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2300(-)1000/716 259 | |
Titre du dossier | Madrid, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 8 (1935–1938) |
dodis.ch/46642
In den wenigen Tagen meiner Anwesenheit in Barcelona fand ich in dem ersten Kontakt mit der Stadt und den Behörden die Tatsache bestätigt, die ich Ihnen verschiedentlich aus Madrid berichtete: die grosse Verworrenheit, den Zwist und die Gegensätze unter den politischen Parteien.
Die Confederacion Nacional de Trabajo (C.N.T.), die gewaltige Arbeitergemeinschaft mit ihrer politischen Stosstruppe der Federacion Anarchista Iberica (F.A.I.) entfaltet hier eine Allmacht, wie sie in Madrid nicht vorhanden ist. Ihr gegenüber steht die Arbeitergruppe der Union General de Trabajo (U.G.T.) mit der politischen Führung durch die Sozialisten. Zwischen ihnen steht die Generalidad, die Regierung Negrin und Präsident Azana. Die Partei- und Einzelinteressen sind überwiegend und bestimmend. Die straffe Führung fehlt. Negrin hält sich nur durch Konzessionen nach links und rechts. Hinter den Kulissen führen die Parteien einen erbitterten Kampf um Macht und Stellung. Die grosse Masse bildet die C.N.T. Ihre Mitgliedschaft sichert Lohn ohne Arbeit. Hunderte von Arbeitern werden seit zwei Jahren bezahlt, ohne dass sie die Arbeit in den ihnen zugeteilten aber stillstehenden Werkstätten und Fabriken zu leisten haben. Die C.N.T. verwirklichte auch den Gedanken der Kollektivisierung, die heute in Katalonien eine so verheerende Auswirkung genommen hat. Die C.N.T. schult auch die politischen Kommissäre, ihre Disziplin und ihren Terror.
Die einst so mächtige Generalidad mit Companys ist vollständig kalt gestellt. In einem verzweifelten Kampf mit der aus Valencia zugezogenen Regierung ist sie unterlegen. Der letzte Versuch war das Bestreben, Negrin auszuschalten und Besteiro und die gemässigten Sozialisten in die Regierung zu bringen. Der Versuch misslang. Eine kurze Krise und die lautlose Auswechslung von zwei Staatsministern war das Ergebnis. Richtig ist, dass die Generalidad die verzweifeltsten Anstrengungen machte, die Regierung zu bewegen, ihren Sitz nach Albacete oder Murcia oder anderswohin zu verlegen. Die Regierung kapitulierte nicht. Um ihr Prestige wäre es geschehen gewesen. Richtig scheint auch gewesen zu sein, dass Companys bereits einen gewagten Schritt zu Unterhandlungen mit Franco machte. Alle seine Bestrebungen wurden vereitelt. Selbstverständlich schart sich um ihn eine nicht unbeträchtliche Zahl getreuer katalonischer Prätorianer, die, verbittert und grollend, den so notwendigen reibungslosen Gang der Staatsmaschine zu hemmen suchen.
Auch Präsident Azana führt in der Abgeschiedenheit von Caldetas ein gezwungenes Privatleben. Es steht ausser Zweifel, dass er nur unter dem Druck der Regierung Negrin soeben wieder die Einberufung der Klassen 1923 und 1924 (Männer im Alter von 35 und 36 Jahren) Unterzeichnete. Auch zur Unterzeichnung der vielen Todesurteile habe man ihm die Feder in die Hand drücken müssen.
In der Organisation der S.I.M. (Servicio de Investigacion Militär) hat die rote Regierung das Instrument des Terrors nach russischem Muster. In ihr sind die furchtbarsten Grausamkeiten mittelalterlicher Inquisition wieder erwacht. Von einem der S.I.M. entronnenen Landsmann erfahre ich unter der Beteuerung absolutester Wahrheit, als Augenzeuge, dass zur Erpressung von Geständnissen die qualvollsten Marterwerkzeuge angewendet werden: die «carbonera», Holzkasten, in denen Gefangene wochenlang in kauernder Stellung eingesperrt werden, enge Schränke, von aussen mit Nägeln gespickt, in denen die Häftlinge stehend hineingepresst werden, ohne sich setzen zu können, methodische Misshandlung mit Stöcken und Fusstritten in die Bauchgegend, eine raffinierte Douche mit durch Ammoniak geeistem Wasser, ganz abgesehen von jedem Mangel an Hygiene und notwendigster Nahrung. Die S.I.M. steht über Polizei und Tribunal. Die Delegierten des Internationalen Roten Kreuzes bestätigen diese Tatsachen. Ihre Gefängnis-Inspektionen reichen nicht bis zu den Folterzellen, auf Befragen wagt begreiflich kein Häftling eine Anklage.
Alle diese verworrenen und unerquicklichen Verhältnisse auf innerpolitischem Gebiet vermöchten wohl, zu gewisser Stunde auch die grössten Erfolge auf dem Schlachtfeld lahmzulegen.
Die militärischen Erfolge am Ebro lassen aber zur Stunde Zwist und Hader, Not und Hunger, wenn auch nur scheinbar, im Hintergrund. Wie in Madrid ist auch hier der Wille zu einem Widerstand und Verzweiflungskampf bis zum Ende deutlich sichtbar. Man ist auch hier an leitender Stelle ganz unzweideutig vom Endsieg überzeugt.
Immerhin weiss das Volk nicht, dass der Operationsplan des Ebro-Angriffes von französischen Generalstabsoffizieren ausgearbeitet wurde, dass das halbe Dutzend von Schiffsbrücken über den Ebro mit französichem Material und durch französische Pontoniere ausgeführt wurden, und dass die tschechische Regierung ihr neuestes Artilleriematerial aus den Skodawerken mit tschechischer Bedienung gestellt hat. Nacht für Nacht rollen die Benzintanks und hunderte von Camions mit Kriegsmaterial über Le Perthus nach Figueras, und moskowitische Hilfe hat der Luftwaffe eine Stärke gegeben, die sich allmählig zur Überlegenheit auswächst.
Diese gewaltige militärische Aufrüstung mit fremder Hilfe steht aber in engstem Zusammenhang mit der ökonomischen Lage. Aus gut unterrichteter Quelle erfahre ich, dass die Regierung zur Stunde mit den grössten Schwierigkeiten zur Devisenbeschaffung kämpft. Die letzten Wagen mit Goldbarren, Schmucksachen aus den Safes der Banken und Werttitel seien bereits jenseits der Grenze. Bis jetzt seien die Lieferungen aus Frankreich und der Tschechoslowakei restlos bar bezahlt worden; fehlen die Zahlungsmittel, bleibe nur eine Hoffnung: Kredite durch Russland; versage diese Quelle, könnte dadurch ein Zusammenbruch erfolgen, dem die durch Hunger unbd Erschöpfung erlahmte Volksstimmung längst den Weg bereitet habe.
Bei meiner Fahrt von Valencia durch die Levante nach Gandia war ich erstaunt über die prächtig stehenden Orangenhaine, über die reifen Reisfelder und die grünen saftigen Mais- und Gemüsepflanzungen. In Gandia sah ich verhärmte Gesichter. Während des ganzen Monats August erhielten sie zweimal Brot. Die Ernte wird durch Terror eingebracht. Der ganze Ertrag geht an die Fronten. Alle Produkte sind taxiert. Die Preise lohnen die Arbeit nicht. Der Bauer streikt. So hungert Valencia. So verhungert Madrid.
Man sagt mir, Elend und Not seien hier riesengross. Man sieht es nur nicht. In Madrid wandeln sie als lebende Gespenster in den Strassen. Hier kommt Auto hinter Auto. In Madrid fährt kaum mehr ein Privatwagen. Die Zeitungen erscheinen mit zehn Seiten. In Madrid liest man sie unregelmässig auf einem einzigen Blatt. Der Hafen von Barcelona ist trostlos zerstört, wir mussten mit der Barkasse der «Jvanhoe» an einem nur mehr zur Hälfte aus dem Wasser herausragenden Landungssteg ausbooten. Aber in Madrid ist im Zentrum kein Haus ohne Granattreffer, ohne hängende Balkone oder ausgebrannte Mauern. Hier kennt man noch keine Cartilla für die notwendigsten Lebensbedürfnisse, aber auch hier sollen die Läden und Markthallen leer sein. Mit stumpfer Ergebenheit aber innerer bitterer Empörung sehen die Katalanen die Zerstörung ihrer Fabriken, ihrer Industrien, ihrer blühenden Städte, Dörfer und Häfen, und keine singenden Milizkolonnen, keine Lautsprecherreden von Politkommissären und Parteiführern und keine zuversichtlich gefärbten Heeresberichte vermögen über das wahre Volksempfinden hinweg zu täuschen, über den Wunsch nach Beendigung dieses grauenvollen Krieges: sea que sea.
- 1
- E 2300 Madrid, Archiv-Nr. 8. Die Lage in Barcelona.↩
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Guerre civile espagnole (1936–1939) République espagnole (1937–1938)