dodis.ch/46535

Le Ministre de Suisse à Paris, W. Stucki, au Chef du Département politique, G. Motta1

Gestern nachmittag hatte ich Gelegenheit, zuerst mit Herrn Minister Rochat und dann, besonders eingehend, mit Herrn Arnal, Direktor der Sektion für den Völkerbund am Quai d’Orsay, mit welchem ich seit Jahren persönlich sehr befreundet bin, über unsere Neutralitätsfrage zu sprechen. Beide haben mir neuerdings bestätigt, dass die französische Regierung unseren Standpunkt vollständig begreift und uns in Genf keinerlei Schwierigkeiten machen wird. Ich habe sondiert, ob am Quai d’Orsay etwas über die voraussichtliche Haltung Sovietrusslands bekannt sei, was offensichtlich nicht der Fall ist. Beide Herren halten es immerhin für wahrscheinlich, dass sich der Soviet Vertreter ruhig verhalten wird. Arnal, der voraussichtlich Herrn Bonnet nach Genf begleiten wird, erklärte spontan, sein möglichstes tun zu wollen, damit uns von dieser Seite keine Opposition erwächst.

Herr Arnal hat dann ziemlich intensiv die Meinung vertreten, es sollten vor oder am 9. Mai im Zusammenhang mit unserer Neutralitätsfrage eine Reihe von Fragen besprochen und gelöst werden, die sich aus der Tatsache ergeben, dass die S.D.N. ihren Sitz auf Schweizerboden hat. Er hat bestätigt, was mir schon Massigli sagte, dass nicht die französische Regierung, sondern Herr Avenol auf diesen Punkt grösstes Gewicht lege. Ich habe Herrn Arnal einlässlich dargetan, dass in dieser Beziehung meines Erachtens weder eine «négociation» noch gar ein «marchandage» in Frage kommen könne. Die Rückgewinnung unserer vollen Neutralität sei für uns eine derartige Lebensfrage, dass sie ganz unmöglich zum Gegenstand irgendwelchen «Kaufpreises» gemacht werden dürfe. Würde dies geschehen und in der Schweiz bekannt, so wäre der Eindruck niederschmetternd und würde von den Gegnern des Völkerbundes mit Vergnügen ausgeschlachtet. Es könne unmöglich eine andere Prozedur in Frage kommen als die, dass sich der Völkerbundsrat mit dem schweizerischen Begehren einverstanden erkläre und diese Hauptangelegenheit damit erledige. Wenn dann nachher das Völkerbundssekretariat glaube, gestützt auf die neue Situation bestimmte Fragen aufwerfen zu sollen, so würde sich die Schweiz gewiss zu einer freundschaftlichen Diskussion bereit erklären.

Ich glaube, Herrn Arnal schlussendlich von der Richtigkeit unseres Standpunktes vollständig überzeugt zu haben. Es ist dies wohl deshalb nicht unwichtig, als heute Herr Avenol hier eintrifft, um die in der nächsten Ratssitzung zu behandelnden Fragen mit dem Quai d’Orsay zu besprechen und Arnal an diesen Besprechungen teilnehmen wird.

Herr Georges Bonnet, der natürlich gegenwärtig ausserordentlich überlastet ist, hat mich bis jetzt noch nicht empfangen können, mir aber versprochen, mich wenn irgendwie möglich noch vor seiner Abreise nach London zu sich kommen zu lassen2.