Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 12, Dok. 100
volume linkBern 1994
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2300#1000/716#524* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2300(-)1000/716 259 | |
Dossiertitel | Madrid, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 8 (1935–1938) |
dodis.ch/46360
Beigeschlossen beehre ich mich, Ihnen die französische Übersetzung eines im «Socialista» von Madrid am 8. ds. erschienenen Zeitungsartikels zuzusenden2, der auch Ihre Aufmerksamkeit erwecken dürfte.
Die Angriffe gegen die völkerrechtlich anerkannte Exterritorialität der diplomatischen Missionen und ihrer Agenten, die schweren Anschuldigungen über angebliche Verletzungen des Asylrechts und die nicht misszuverstehenden Drohungen sind ebenso schwerwiegend wie beunruhigend.
Diesem Zeitungsartikel kommt um so mehr Bedeutung zu, weil «El Socialista» heute die eigentliche offiziöse Zeitung der Regierung ist. Hinter dem «Socialista» steht Indalecio Prieto, und die Vermutung wurde laut, der Artikel stamme aus seiner Feder. Es ist nicht ausgeschlossen, Zweifellos aber kann ein solcher mit dem Übertitel «Un problema del dia» versehener Artikel nicht ohne Wissen oder Billigung der Regierung erschienen sein, da die Presse-Zensur mit ganz ausserordentlicher Schärfe gehandhabt wird. Der Zensor musste also wissen, dass ein solcher Artikel «ungeschoren» erscheinen durfte; vielleicht erhielt er sogar den Auftrag zur Publikation.
Andere Zeitungen, z.B. «El Sol», «Castilla Libre» u. a. haben das Stichwort aufgenommen, und wir sind heute einem Trommelfeuer ausgesetzt, das ebenso auf die Nerven geht wie das aus den Kanonen Francos.
Die juristische Auseinandersetzung und Belehrung über Zumutungen, die, wie die Aufforderung, sich für oder gegen die Regierung zu erklären, wirklich grotesk sind, dürfte nicht schwer fallen. Gefährlich ist es, dass eine solche Hetzkampagne gegen die Diplomaten gerade in einem Augenblick einsetzt, wo die Bevölkerung Madrids durch die ständigen Beschiessungen, durch den Hunger und durch die zur Stunde sich abwickelnde grosse blutige Offensive sich in einem Zustand beängstigender Nervosität befindet. Die Kampagne richtet sich in erster Linie gegen die Asylierten, gegen die militärpflichtigen Franco-Fascisten, von denen einzelne Missionen noch weit über Tausend beherbergen. Es braucht nur den unüberlegten Einfall eines Pöbelführers, und der Pöbel holt sich diese Leute johlend und pfeifend gewaltsam aus den Asylen, die kein Völkerrecht und keine Flagge mehr zu schützen vermöchte. Ein solches Vorgehen liegt heute bestimmt im Bereich der Möglichkeit. Die Regierung in Valencia würde es bedauern, innerlich aber begrüssen, und sie würde antworten, eine solche Bartholomäus-Nacht hätte vermieden werden können, wenn wir die Asylierten nach Valencia gebracht hätten.
Dabei weiss sie ganz genau, dass wir das Recht auf unserer Seite haben. Madrid ist heute noch die Hauptstadt von Spanien, nur ein Kongress-Beschluss und eine Änderung der Verfassung kann dies ändern. Die Regierung befindet sich nur zufällig in Valencia, wie sie früher jeweilen im Sommer in San Sebastian war. Unsere Anwesenheit in Madrid bietet für die Bevölkerung und für unsere Kolonien eine wirkliche Garantie. Wir können unsre Mission, wenn auch unter erschwerten und wenig beneidenswerten Verhältnissen, besonders in humanitärer Beziehung, besser erfüllen als in Valencia. Im Weltkrieg sind nur ganz wenige Missionen dem belgischen König gefolgt, nach Jassy gingen nur die Vertreter der Alliierten, und in Paris (ich habe es miterlebt) hielten wir unsre Kanzlei mit diplomatischem Personal voll aufrecht, auch wenn der Missionschef in Bordeaux war.
Die Gründe, warum Valencia die Missionschefs dort haben möchte, liegen auf der Hand. Einstweilen sind wir nicht gewillt, den Schikanen - dem stets stärker werdenden Druck zu weichen. Ich weiss mich darüber mit Ihnen im Einverständnis3.
Zur Zeit befinden sich in Valencia von den akkredierten Missionschefs nur der mexikanische Botschafter nebst einigen Geschäftsträgern (u.a. Russland, Frankreich, England, Schweden). Es dürfte Sie in diesem Zusammenhang interessieren, dass England bereits eine ganz deutliche Trennung der Vertretungen in Spanien vorgenommen hat. Der englische Geschäftsträger in Valencia unterhält gar keine amtliche Verbindung mit St. Jean-de-Luz und empfängt seine Instruktionen direkt aus London. Sir Henry Chilton aber soll mit Salamanca verkehren, als ob er jetzt schon Englands Botschafter bei Franco wäre.
In Madrid aber sitzt der Doyen, der brasilianische Botschafter, mit dem «General-Sekretär des diplomatischen Korps», die Gesandten von Jugoslavien, Polen, Türkei, Panama, Santo Domingo und der Schweiz, die Geschäftsträger von Rumänien (mit Ministerrang), Chile, Norwegen, Peru, Columbien, Tschechoslowakei, Finland, etc. und zahlreiche andere bevollmächtigte Konsuln und Geschäftsführer.
Unter der Leitung des Doyens haben sich gestern alle diese diplomatischen Agenten zu einer Sitzung zusammengefunden, wobei die Stellungnahme zu der Pressecampagne des «Socialista» besprochen wurde. Das Ergebnis war der einstimmige Beschluss, dem Staatsminister Giral durch den rumänischen Geschäftsträger (der in eigener Sache nach Valencia zu reisen beabsichtigte) eine Note überreichen zu lassen. Er erhielt zugleich den Auftrag, in mündlichem Vortrag auf die Unzulässigkeit und besonders auf die Gefährlichkeit solcher Zeitungsartikel hinzuweisen. Persönlich erwarte ich von dieser Démarche nur eine ausweichende, vielleicht aber auch eine unbefriedigende oder verletzende Antwort.
Zu dieser Auffassung komme ich aus der Erwägung, dass ganz unbestreitbar von verschiedenen Missionen schwere Unregelmässigkeiten begangen wurden und noch begangen werden, von denen die Regierung Kenntnis haben muss, und weiss, dass Hunderte von falschen Pässen fabriziert und die diplomatischen Kurriere zur Kapitalflucht und zum Dokumenten-Schmuggel missbraucht wurden. Zweifelhafte Makler haben Eintritt in die Asyle und tätigen einen anrüchigen Handel mit Edelsteinen und ändern Kostbarkeiten der Flüchtlinge. Gestern noch erhielt ich den Besuch eines mir bekannten Spaniers, dessen Bruder auf einer hiesigen Botschaft asyliert ist und der mich um Rat fragen kam, ob ich es für riskiert halte, wenn er der Botschaft den verlangten Preis von Pts. 9000.– für einen falschen Pass zahle. Täglich würden viele solcher Pässe ausgestellt. Das Schachergeld fliesst natürlich in die Privattaschen der Aufsichtsbeamten. Persönlichkeiten des Staatsministeriums, zu denen ich private freundschaftliche Verbindungen habe, erklärten mir in Valencia in aller Offenheit, dass wir uns über das Missvertrauen gegen das diplomatische Korps nicht zu sehr wundern sollten, denn es fehle nicht an einwandfreien Beweisen über argen Missbrauch der diplomatischen Privilegien. So war ich denn auch über den Artikel des «Socialista» nicht all zu sehr überrascht.
In Valencia hat man mir auch zu verstehen gegeben, dass das korrekte Verhalten der Schweiz in der Sache der Asylierten stets restlos anerkannt worden sei, und ich buche es als ein persönliches Zugeständnis, dass man die Ausreise unsrer Asylierten unter Bedingungen zuliess (Ausstellung der Pässe und Erledigung aller ändern Formalitäten in Madrid) die bis jetzt keiner ändern Mission erteilt wurden. Wenn auch die ändern Missionen die grundsätzliche Erlaubnis zur Evakuation haben (Liste II), hat sie bis zur Stunde noch keine durchführen können (auch Frankreich nicht!); das Innen-Ministerium verzögert die Prüfung der Listen, oder es schickt sie absichtlich zu Abänderungen zurück etc.
Wenn ich seinerzeit nach einem Besuch in Valencia die Auffassung vertrat, die Schweiz werde von Regierungskreisen zu den mit Franco sympathisierenden Staaten gezählt, so dürfte dies leider auch heute noch zutreffen. Diese Stimmung wird zweifellos durch die sozialistische Presse und durch die Berichterstattung aus Bern aufrecht erhalten, und nach dem jüngsten Besuch von Minister Fabra Ribas konnte ich eine merkliche Verschärfung feststellen. Bei meiner Unterredung in Bern erklärte er mir auch mit nachdrücklicher Betonung, er habe den Eindruck, das Schweizervolk sympathisiere mit Valencia, der Bundesrat aber und besonders der Chef des Politischen Departements stehe auf Seiten Francos. (Es war unmittelbar nach dem Verbot der Durango-Broschüre.) In Valencia hörte ich deutlich das Echo. Ich vernahm auch, dass das Spanische Rote Kreuz die gleiche Einstellung zeige. Ich ging der Sache nach und fand, dass das unfreundliche Verhalten seine Ursache hat in Unstimmigkeiten und Zänkereien mit den Delegierten (Schweizern) des Internationalen Roten Kreuzes aus Genf. Dies hinderte aber den Präsidenten des Spanischen Roten Kreuzes, Herrn Dr. Romeo, nicht, längst schon bei der Schweizerischen Gesandtschaft um Asyl gebeten zu haben für den Fall einer Besetzung Madrids durch Franco!
Ich glaube aber, und ich habe dafür vielerlei Beweise, dass die Bevölkerung von Madrid auch in aufgepeitschter Erregung die Personen und die Gebäude schonen würde, die von der Schweizer Flagge gedeckt sind, und ich vermag eine Alarmstimmung verschiedener Kollegen nicht zu teilen wie sie anlässlich der gestrigen Sitzung zu Tage trat. Mit einer Reserve: es müsste eine solche Mordbrenner-Bande von Russen geführt werden, die wissen, dass es einst einen Conradi gab und denen das weisse Kreuz im roten Tuch das Blut in den Kopf steigen liesse.
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Spanischer Bürgerkrieg (1936–1939) Spanische Republik (1937–1938)