dodis.ch/44639 Le Jurisconsulte du Département politique,
M. Huber, au Président de la Confédération,
G. Motta1
Ossingen, 10. November 1920
Herr Rüegger hat mir den vorläufigen Text Ihrer Rede zur Eröffnung der VB-Versammlung2 zugesandt.
Ich bin überzeugt, dass die Rede einen tiefen Eindruck machen wird, und sie hebt den Ton der ganzen Verhandlungen von vornherein auf ein Niveau, das sonst an internationalen Konferenzen nicht erreicht wird. Die offiziellen Reden an den Haager Konferenzen waren geist- und seelenlos, denn diejenigen, die sie hielten, spotteten innerlich über die an der Konferenz angestrebten Ziele.
Wenn ich eine Bemerkung machen darf, so wäre es die: der Gedanke, dass der Völkerbund vor allem die Mission des geistigen und materiellen Wiederaufbaus der Gemeinschaft aller Völker hat, tritt im Verhältnis zu den übrigen Partien der Rede, wenigstens an äusserem Umfang, zurück. Und doch ist dies für die grosse Mehrzahl der Schweizer, die nicht überhaupt gegen den VB sind, die Hauptsache. Sie ist es aber auch für die aufrichtigen Anhänger im Ausland. Gewiss werden an der Unterstreichung dieses Gedankens gewisse Kreise Anstoss nehmen, aber viele werden erwarten, dass die Schweiz den Gedanken des resoluten Abbaues der Kriegsstimmung entschieden vertrete. Der Umstand, dass nur von Russland, nicht aber ausdrücklich von Deutschland die Rede ist, könnte für oberflächliche Leser den Eindruck erwecken, dass man dem vitalen Problem des Verhältnisses des VB zu den Zentralmächten aus dem Wege gehe.
Dass der Anlass benutzt wird, Belgien die verdiente Ehre auch von seiten der Schweiz zu geben, ist sehr glücklich; nur einzelne Ausdrücke, z.B. betr. König Albert, würden – finde ich – in der deutschen Übersetzung und in der deutschen Schweiz einen Ton zu hoch klingen. Aus den gleichen psychologischen, innerpolitischen Erwägungen hätte ich Ihnen einige weitere Abschwächungen empfohlen. Wie mir Herr Rüegger sagt, haben Sie aber gerade diese Stelle selber schon abgetönt.
Entschuldigen Sie meine Freiheit, mich ungebeten zu Ihrer Rede zu äussern; ich glaubte aber doch, es tun zu dürfen.