Classement thématique série 1848–1945:
I. LA SUISSE ET LA SOCIÉTÉ DES NATIONS
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 7-II, Dok. 189
volume linkBern 1984
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2001B#1000/1508#54* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2001(B)1000/1508 8 | |
Dossiertitel | Négociations ultérieures (Transfer éventuel de Genève à Bruxelles comme siège de la Société des Nations) (1919–1923) | |
Aktenzeichen Archiv | B.56.41.02.2 |
dodis.ch/44400
Ich erlaube mir noch, die bereits mündlich Herrn Dr. Rüegger mitgeteilten Überlegungen hier nochmals zusammenzufassen:
1. Der ursprüngliche Zweck der Reise des Herrn Rappard war Aufklärung über die Sitzfrage. Diese Aufklärung ist z.T. inzwischen durch die englische Note2 erfolgt. Es könnte sich, da auch Polk verreist ist, nur noch darum handeln zu erforschen, welches die Stellungnahme des Generalsekretariates des Bundes ist. Ob es sich verlohnt, deswegen allein Herrn Rappard nach London zu schicken?3
2. Dagegen ist nun durch die britische Note eine andere wichtige Frage aufgetaucht: Die Rechtskraft der auf Grund des Bundesbeschlusses innerhalb der 2 Monate abzugebenden Erklärung.
Eines scheint mir staatsrechtlich und innenpolitisch ausgeschlossen: Die Abgabe einer unmittelbar verbindlichen Erklärung vor der Volksabstimmung. Das Volks- und Ständereferendum hat suspensive Wirkung für den Bundesbeschluss. Auch würde ein wenn auch nur vorübergehender Beitritt die Opposition sehr verstärken. Zudem ist es ja nicht einmal sicher, ob die – wie es scheint – britische Auffassung, dass bei negativem Volksentscheid sofortiger Rücktritt bewilligt werden sollte, allgemein anerkannt wird.
3. Die wichtigste Aufgabe der Mission Rappard wird jetzt sein, der britischen Regierung, wenn möglich auch einflussreichen Amerikanern und Sir Eric Drummond, verständlich zu machen, dass vor der Volksabstimmung eine sofort bindende Erklärung unmöglich ist und dass aus rechtlichen u. politischen Gründen (vide Note an die Signatarstaaten des Völkerbundes)4 eine Abstimmung nicht sicher innerhalb der zwei Monate erfolgen kann.
Was die Schweiz zu erhalten trachten muss, ist die Zusicherung, dass eine Erklärung unter Vorbehalt des Volksentscheides, aber innerhalb der 2 Monate, uns das Recht auf Beitritt als urspr. Mitglied sichert. Wir beanspruchen vor der Volksentscheidung weder die Mitgliedschaftsrechte noch übernehmen wir Pflichten. Praktisch kommt es auf eine Erstreckung der 2-Monate-Frist heraus.
4. Die ganze Sache wird dadurch erschwert, dass die Volksabstimmung bedingt ist durch den Beitritt der 5 Mächte. Aus diesem Grunde kann es möglich werden, dass die Volksabstimmung auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben werden müsste. Das wird der Völkerbund u. namentlich dessen Sekretariat nicht acceptieren. In diesem Falle bliebe nichts anderes übrig als die Bundesversammlung von neuem in ausserordentl. Session einzuberufen, damit sie darüber entscheide, ob sie, durch Festhalten an der 5-Mächteklausel, den Sitz und eventuell das Recht auf Beitritt als urspr. Mitglied aufs Spiel setzen will.
M.E. sollte man diese Möglichkeit einer erneuten Beschlussfassung auch in den Besprechungen des Herrn Rappard zum Ausdruck bringen, denn es kann dem Völkerbund nicht zugemutet werden, dass er uns ein Warterecht von ganz unbestimmter Dauer einräume. Durch die 5-Mächte-Klausel werden wir möglicherweise in eine Lage kommen, wo wir zwischen ursprüngl. Mitgliedschaft und erst nachträglichem Beitritt wählen müssen – oder dann den Standpunkt der brit. Note nachträglich uns anzueignen haben.
6. Es scheint mir übrigens, dass auch dann, wenn wir die englische Auffassung über den Beitritt acceptieren könnten, d. h. bis auf weiteres beitretenwürden, die Sitzfrage doch wieder akut würde. Denn man wird den Sitz doch nicht definitiv nach Genf verlegen, wenn damit zu rechnen ist, dass die Schweiz wegen eines negativen Volksentscheides vorzeitig austreten könnte.
Ich komme immer mehr zu der Überzeugung, dass wir nur durch einen nicht weit über 2 Monate hinausreichenden Volksentscheid den Sitz uns erhalten können. Ist diese Beschleunigung wegen U.S.A. oder aus Rücksichten der Abstimmungstaktik nicht möglich, so muss unsere Politik darauf ausgehen, dass von dem Völkerbundssitz alles abgetrennt wird, was sich ohne wesentliche Störung abtrennen lässt (Gericht, Arbeitsamt, internat. Bureaux etc.), um es uns, ev. noch Holland zuzuteilen.
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