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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 7-I, doc. 153
volume linkBern 1979
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
Cote d'archives | CH-BAR#E7350#1000/1104#1* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 7350(-)1000/1104 | |
Titre du dossier | Amerika (1914–1918) | |
Référence archives | 1 |
dodis.ch/43898 Le Ministre de Suisse à Washington, H. Sulzer, au Délégué du Conseil fédéral pour les Questions économiques et industrielles, H. Heer1
Für die ausführlichen Zeilen vom 28. Nov. danke ich Ihnen vielmals. Es tut einem so wohl, wenn man von zu Hause wieder einmal einen zusammenhängenden Bericht erhält. Nachdem die Wirtschaftsverhandlungen hier endlich zu Ende gekommen sind,2 welche mich neben allen anderen Geschäften, in Abwesenheit Dr. Hübschers und Herrn Oederlins, stark in Anspruch genommen hatten, ist es Zeit, dass auch ich einmal einige Zeilen an Sie richte.
Ich stehe am Vorabend einer Reise nach Cuba, auf welche ich mich, trotz allem Schönen, das sie mir vermutlich bringen wird, so gar nicht recht freuen mag. Einmal deswegen nicht, weil die formellen und sozialen Pflichten, welche meiner dort, im Zusammenhang mit der Überreichung meiner Akkreditive, warten, keine Ferien, sondern höchst unangenehme Arbeit sind; sodann, weil ich in letzter Zeit überhaupt keine rechte Freude mehr aufbringen kann. Das Resultat der Wirtschaftsverhandlungen befriedigt mich nicht. Die Kontingente sind ungenügend und die Frachtraten erscheinen heute, nachdem seitens aller Ententeländer bedeutende Reduktionen in Kraft getreten sind, hoch. Ich hatte mit zahlreichen Widerwärtigkeiten zu kämpfen, ganz besonders nachdem sich alle entscheidenden amerikanischen Persönlichkeiten nach Paris verzogen hatten. Nach Abreise McCormicks betrachtete man den von ihm genehmigten Wortlaut als sacrum sanctum und sträubte sich gegen irgendwelche materielle Änderungen; und auf französischer und englischer Seite lagen die Verhandlungen in den Händen untergeordneter Organe, die keine Sachkenntnis besassen und es darauf anlegten, mit diesem Abkommen für sich selbst Propaganda zu machen. Namentlich war es der französische Delegierte, der mir mit seinen Nörgeleien das Leben sauer machte, ein Mann der an Falschheit nichts zu wünschen übrig Hess und auch in der französischen Kolonie seines blasierten Auftretens wegen sehr unbeliebt war. Er ist nun glücklicherweise abgereist. Gott behüte mich davor, dass ich nochmals solche Verhandlungen zu führen haben werde! Ich empfand bitter das Alleinsein (Herr Oederlin, dessen Gesundheit durch die starke Beschäftigung über den Sommer sehr angegriffen war, weilte während der Zeit der Verhandlungen in den Ferien) gegenüber einer Dreiergruppe, deren Sonderinteressen nicht gleich gerichtet waren und von denen jeder bis zu einem gewissen Grade am eigenen Strikke zog; jeder stark genug, um uns sein Machtwort aufzuzwingen. Und ich empfand mehr und mehr das Unnatürliche des Verhandlungsortes, der viel besser Paris gewesen wäre. So kam schliesslich ein Abkommen zustande, bei dessen Unterzeichnung ich lebhaft an die Worte jenes Schusterlehrlings dachte, mit welchen er die Arbeit seinem Meister übergab: «Meister die Arbeit ist fertig, soll ich sie gleich flicken». Dieses Flicken muss nun in Paris geschehen. Hoffentlich gelingt es Ihnen, die französische Regierung zu überzeugen, dass wir mit 70,000 Tonnen monatlichem Transit nicht durchkommen können.
Was die Frachtsätze anbetrifft, so kann heute darüber schwer ein Urteil gefällt werden, ob die Garantie bis Ende September zu hoch erkauft worden ist, ob es nicht richtiger gewesen wäre, sich auf kürzere Zeit zu binden. England hat seine offiziellen Raten unter unseren Ansätzen festgesetzt, ihm ist Amerika aus Konkurrenzrücksichten gefolgt. Die amerikanischen Raten nach atlantischen- und Mittelmeerhäfen vergleichen sich mit den unsrigen, für Mittelmeer $ 36.- zu $ 47.50, atlantische Häfen $ 28.- gegenüber $ 40.-. Mir wird behauptet, dass Amerika auf diesen Sätzen Verluste erleidet, die in der grossen Summe der Kriegsausgaben verschwinden. Auch Frankreich hat die Raten ermässigt, aber auch dort soll dies tatsächlich darauf hinaus kommen, dass die Ansätze unter den Selbstkosten der von der Regierung an die Schiffseigentümer bezahlten Charterraten liegen. Ob die Frachtraten im Frühling wieder steigen, sich gleich bleiben, oder sogar weiter zurückgehen, ist eine Frage, in der die Meinungen der Sachverständigen sehr auseinander gehen. Keiner der Letzteren hat noch bis zum Waffenstillstand daran geglaubt, dass die Raten so rasch fallen werden. Ihre Weisheit ist durch die Tatsachen ebenso sehr über den Haufen geworfen worden, wie die frühere Theorie der finanziellen Unmöglichkeit eines langen Krieges. Alles in allem genommen, scheint es mir doch, dass es zweckmässig war, uns während der Übergangszeit den Hauptteil unserer Tonnage zu den jetzigen Ansätzen zu sichern.
Es wird Ihnen hoffentlich in Paris gelingen, die Frage der Kredite an Frankreich befriedigend zu lösen. Nach den von Herrn Minister Dunant abgegebenen Erklärungen scheint dies möglich zu sein. Mit grossem Interesse habe ich das lehrreiche Finanzexposé studiert, welches Sie Herrn Dr. Linke zur Ausarbeitung übertrugen.3 Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Frankreich die stillschweigende Tendenz verfolgt, durch möglichst starke Beanspruchung unserer Finanzwirtschaft, unserer Volkswirtschaft den Vorzug, den sie sonst gegenüber Frankreich haben könnte, zu nehmen. Das Kreditgeben wird wohl noch lange nicht zu Ende sein, sondern mit den Rekonstruktionsarbeiten erst recht beginnen. Ich fürchte sehr, dass die schweizerische Industrie nur durch Übernahme dieser schweren Bürde zu diesen Arbeiten herangezogen werden wird.
Sehr interessiert haben mich auch Ihre Notizen über die Besprechung mit Herrn Dr. Wolfer und Herrn Stirlin.4 Ich wäre gerne etwas eingehender auf diese Punkte eingetreten, die knappe Zeit jedoch macht mir dies unmöglich. Die Frage der Arbeitszeit wird zweifellos international geregelt werden müssen; vielleicht auch diejenige des Minimallohns. Zu untersuchen wäre, ob nicht das während des Krieges in den Teuerungszulagen herausgebildete System in irgend einer Form beibehalten werden könnte, wonach der Minimallohn nach der Zahl der Familienangehörigen abgestuft wird. Die grossen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, verhehle ich mir aber nicht. Sehr warmes Interesse bringe ich der Institution der paritätischen Industrieräte entgegen. Vorausgesetzt, dass von beiden Seiten einsichtige und charaktervolle Männer gewählt werden, kann durch die Beratungen dieser Räte viel Zündstoff beseitigt werden. Was die Arbeiterkommissionen in den einzelnen Geschäften anbetrifft, so bin ich der Meinung, dass sie bis heute daran gekrankt haben, dass die Bildungsniveaux zwischen den beiden Parteien zu sehr auseinander lagen. Es sollte daran gedacht werden, den Arbeitern eine Vertretung in diesen Kommissionen einzuräumen, welche an Bildung und geschäftlicher Gewandheit den Vertretern der Arbeitgeber nicht hintansteht.
In Punkt 2 auf Seite 4 sprechen Sie von der zukünftigen Notwendigkeit, der Arbeiterschaft einen Anteil an einer steigenden Prosperität der Unternehmungen einzuräumen. Meinen Sie damit die Einführung von Systemen der Gewinnbeteiligung der Arbeiter persönlich am Gesamtgewinn des Unternehmens? Ich bin, auf Grund eigener Überlegung und des Studiums einschlägiger Literatur, zur Überzeugung gekommen, dass die Gewinnbeteiligung in dieser Form nicht empfehlenswert ist. Hauptsache für mich ist die Förderung des Unternehmergeistes, von oben bis unten, in der Weise, dass jeder, wenn immer möglich, am Gewinn desjenigen Arbeitskreises interessiert wird, den er massgebend beeinflusst. Hohe und gerechte Akkordlöhne sind für mich die beste Gewinnbeteiligung.
Dies nur einige allgemeine Bemerkungen. Ich bin wie immer in Eile und vermisse im Drange der laufenden Geschäfte schmerzlich die Möglichkeit ruhigen und gründlichen Durchdenkens.
Und nun noch ein paar kurze Worte über meine zukünftigen Pläne. Ich habe, wie Sie wohl inzwischen erfahren haben werden, den Bundesrat ersucht, innert möglichst kurzer Frist mich von meinem Posten abzuberufen. Nach meiner Rückkehr aus Cuba, gegen Ende Februar, beabsichtige ich noch für ca. 2 Monate hier zu bleiben und dann eine längere Reise durch die Staaten anzutreten bevor ich zurückkomme. Mit dieser Reise werde ich hauptsächlich eine Inspektion der Konsulate verbinden, um mir ein Bild über deren Tätigkeit zu verschaffen, die ich nach mancher Richtung hin für reformbedürftig halte. Zirka im Juli hoffe ich bestimmt die Rückreise nach der Heimat antreten zu können. Je früher mein Nachfolger eintrifft, desto lieber ist es mir.
Was die kommerzielle Abteilung der Gesandtschaft anbetrifft, so rechne ich damit, dass sie gegen Mitte des Jahres mehr und mehr zusammenschrumpft. Von den drei Hauptabteilungen, S.S.S., Einkauf und Transport, sollten die beiden ersten bis dahin verschwinden, dagegen wird wohl die Transportabteilung noch so lange weiter bestehen müssen als das Transportabkommen dauert, d.h. bis 30. September. Von jenem Zeitpunkt an sollten dann die Dinge so weit sein, dass das Spiel der freien Konkurrenz überall wieder einsetzt. Für die kommerziellen Angelegenheiten bildeten die Herren Oederlin, Lüthi und ich ein sehr gut harmonierendes Team. Herr Lüthi verlässt heute die Gesandtschaft, um ins Geschäftsleben überzutreten, und Herr Oederlin hat den dringendsten Wunsch, nicht später als ich selbst die Gesandtschaft zu verlassen. Damit erhebt sich die Frage, ob nicht so rasch als möglich aus der Schweiz ein Ersatz gesandt werden sollte, der dann vielleicht der Gesandtschaft als ständiger Handelsattache beigegeben werden könnte. Diese Frage hängt vor allem davon ab, ob mein Nachfolger reiner Diplomat ist oder kaufmännische Kenntnisse mit sich bringt. Ist Letzteres der Fall, so könnten wir ihn unschwer aufs Laufende setzen und die dann noch notwendigen kommerziellen Angelegenheiten mit Hilfe des jetzigen Chefs der Transportabteilung, eines sehr zuverlässigen Schweizers, fortsetzen. Es muss aber damit gerechnet werden, dass auch der Letztere, wie alle anderen jetzt in der Gesandtschaft beschäftigten kaufmännischen Angestellten, sich im Laufe des Jahres nach Anstellungen im privaten Geschäftsleben umsieht. Ich richte deshalb die Bitte an Sie, nach einem tüchtigen kaufmännisch gebildeten Mann Umschau zu halten, der unter meinem Nachfolger die kommerziellen Angelegenheiten der Gesandtschaft möglichst selbständig weiterführen könnte. Dieser Mann sollte so frühzeitig hier eintreffen, dass er während meiner und Herrn Oederlins Anwesenheit noch auf das Laufende gesetzt werden kann, d. h. er sollte nicht später als etwa im Mai eintreffen. Bitte sehen Sie sich um und geben Sie mir baldmöglichst Bericht über das Resultat Ihrer Bemühungen.
Und nun leben Sie wohl, lieber Herr Heer. Ich kann Ihnen nicht sagen wie ich mich darauf freue, bald wieder in die Heimat zurückkehren zu können, um meine alte Tätigkeit wieder aufzunehmen. Ich empfinde mein weiteres Verbleiben hier mehr und mehr als Verbannung von einem Tätigkeitskreis an dem ich gerne regeren Anteil nehmen würde.
Mit herzlichen Grüssen verbleibe ich
Ihr sehr ergebener Sulzer
Tags
Négociations économiques et financières avec les Alliés (Première Guerre mondiale)