Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 6, Dok. 244
volume linkBern 1981
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2300#1000/716#1174* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2300(-)1000/716 494 | |
Dossiertitel | Washington, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Sozialberichte, Band 33 (1916–1916) | |
Aktenzeichen Archiv | 186 |
dodis.ch/43519
Seit meinem letzten Berichte vom 22. Dezember2 (Beilage 1) lief am 23. Nachmittags die Note des Bundesrates3 ein. Während sie entziffert (Beilage 2) und übersetzt (Beilage 3) wurde, zeigte ich die Ankunft dem Sekretär des Präsidenten an und bestätigte Ihnen telegraphisch den Empfang. Gleichen Abend 6Vi Uhr, gab ich die Note, im Originaltext und in der englischen Übersetzung4, im Weissen Hause ab.
Am Sonntag, den 25., kam Staatssekretär Lansing persönlich auf die Gesandtschaft, änderte mit meinem Einverständnis in der Übersetzung (Absatz 2 am Ende) die Worte «the evacuated» in «those expelled» um und teilte mir mit, dass, sofern ich keinen Einspruch erhebe, der Präsident die gute Nachricht am Weihnachtsmorgen veröffentlichen werde.
Dies meldete ich Ihnen mit Kabel Nr. 31 und lege Ihnen heute zahlreiche Ausschnitte grösserer Zeitungen vom 25. Dezember bei, damit Sie daraus die Freude ersehen, welche durch die schweizerische Note hier erweckt worden ist.
Die von Ihnen gebrauchte Wendung «has been for a considerable time in touch with the President» hat vereinzelt die Meinung aufkommen lassen, dass es sich um eine bestehende Vereinbarung oder beabsichtigtes künftiges Zusammengehen handle (Beilage 4). Dieser Ansicht trat Herr Lansing in sehr oberflächlicher Weise in der Presse entgegen, hervorhebend, dass Herr Wilsonfiir die Abfassung seiner Note mit niemand, auch nicht mit der Schweiz, «in touch» gewesen sei (Beilage 5, Seite 2, und Beilage 10, Seite 1 unten, blau).
Mehrere Zeitungen hoben hervor und sprechen ihre Verwunderung darüber aus, dass der Text der Schweizer Note nach Washington und nach London nicht identisch sei. Während man hier lese, dass der Bundesrat «seit geraumer Zeit» mit Präsident Wilson Fühlung gehabt habe, stehe in der Note nach London, dass man «seit 5 Wochen» mit ihm in Fühlung gestanden habe (Beilage 5, pag. 2, und Beilage 10).
Einige wenige, der Administration feindliche Blätter, wie z. B. die New York Sun vom 25. Dezember, versuchten die Handlungsweise der Schweiz als eine Begünstigung Deutschlands darzustellen (Beilage 6, pag. 2). Als ich am 26. Dezember dem Sekretär des Präsidenten mein Befremden darüber aussprach, erliess er sofort für mich ein Statement (Beilage 7, pag. 1), dass diese falsche Auffassung bedauerlich sei, indem das Vorgehen meiner neutralen Regierung einzig und allein als im Interesse des Friedens geschehend gedeutet werden dürfe. Ein hübsches
Bild hat die World vom gleichen Tage (Beilage 8, pag. 2).
Ich kabelte Ihnen am 26. Dezember die «high appreciation» des Präsidenten für Ihre Note und dass er mich in einigen Tagen zu empfangen gedenke. Auch fügte ich bei, dass die Presse unsere Note preise und dass die Hoffnung allgemein sei, dass andere Neutrale bald folgen werden.
Man vernimmt, dass auch süd- und zentralamerikanische Diplomaten ihren Regierungen vorgeschlagen haben, Äusserungen im Sinne wie von der Schweiz geschehen zu erlassen. Gestern abend meldeten einzelne Zeitungen (Beilage 10), dass Schweden ebenfalls mit einer Note gefolgt sei; doch scheint sich die Nachricht bis jetzt nicht zu bewahrheiten, denn auf dem Staatsdepartement, wo ich heute vorsprach, wusste man nichts davon.
Wie immer in diesem Lande, ist auch dieses Mal wieder die Politik zu unlauteren Geschäften benützt worden. Mitglieder der republikanischen Partei im Kongresse verlangen nun eine Untersuchung darüber, wer für das verfrühte Durchsikkern der Wilsonschen Friedensnote an die New Yorker Börse verantwortlich gemacht werden könne. Es geht das Gerücht um, dass der Schwiegersohn des Präsidenten, Schatzamts-Sekretär McAdoo, sich bei diesem Anlass spekulativ immens bereichert habe. Lansing und Polk erklärten vor einigen Tagen öffentlich (Beilage 9), sie seien es nicht gewesen. Heute brachte die Washington Post einen Artikel, besagend, dass auch amerikanische Diplomaten das Amtsgeheimnis zu eigenem Vorteile gebrochen haben sollen (Beilage 9). Dieser Artikel ist aber derart ungenau abgefasst, dass darunter leicht auch Botschafter Riano und ich (die einzigen, welche hier zwei Tage im voraus eingeweiht waren) verstanden werden konnten. Ich teilte daher heute Herrn Lansing mit, dass ich nicht die leiseste derartige Anspielung der Presse dulden würde, und bat ihn, meine Aussage entgegenzunehmen, dass ich nicht spekuliere und dass Einsichtnahme in meinen Bankverkehr freistehe. (In den Vereinigten Staaten muss beim Aktienhandel der Name des Käufers und Verkäufers in die Bücher eingetragen werden. Es ist somit eine gewisse Kontrolle möglich.)
Der Staatssekretär sagte mir ferner, dass ihm erst heute, den 28. Dezember, der Wortlaut der deutschen Antwort, deren Text seit zwei Tagen in den Blättern zu lesen ist (Beilage 7), zugegangen sei. «Haben Sie jemals etwas Ähnliches von diplomatischer Handlungsweise erlebt?» fragte er mich.
Dass der Präsident vom Inhalt der deutschen Note, als zuwenig in Detail der tatsächlichen Friedensbedingungen eingehend, enttäuscht ist, weiss man bereits, und ich beehre mich, Sie auch dieses Mal wieder auf die beiliegenden Ausführungen des wohlinformierten Korrespondenten der New Yorker Staatszeitung in der heutigen Nummer vom 28. Dezember zu verweisen (Beilage 10).
Die soeben erscheinenden Abendzeitungen bringen offiziell den Wortlaut der deutschen Antwort an die Vereinigten Staaten. Zufällig steht im Evening Star (Beilage 11) auf der gleichen Seite auch der Text der deutschen Antwort an den Bundesrat, und es ist derart der wärmere Ton der letzteren besonders in die Augen springend.
Ich hoffe sehr, den Präsidenten in allernächster Zeit sehen zu dürfen, um Ihnen alsdann seine Meinungsäusserungen speziell über die deutsche Antwort kabeln zu können. Es verlautet heute abend, dass, was der Präsident bzw. die Administration in Friedenssachen künftig vorzukehren gedenke, geheim geschehen werde. Es seien für die zu erwartenden langwierigen Verhandlungen bessere Antworten aller Parteien unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu erwarten.
Dieser Entschluss ist - soweit er die Vereinigten Staaten anbetrifft - sehr zu begrüssen.
Ich erwähne noch gerne, dass die Schweizerkolonie in den Vereinigten Staaten grosses freudiges Interesse an der Handlungsweise des Bundesrates nimmt, und ich beehre mich, Ihnen auch die soeben einlaufende jüngste Nummer der Amerik. Schweiz. Zeitung (Beilage 12) hier beizulegen.
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