Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 186
volume linkBern 1981
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001B#1000/1501#3291* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(B)1000/1501 95 | |
Dossier title | Wirtschaftsabkommen mit der Entente und Deutschland in den Jahren 1916-1917, I (1915–1916) | |
File reference archive | C.21.51 |
dodis.ch/43461
Erhaltenem Auftrag zufolge beehrt sich die Gesandtschaft, dem Schweizerischen Politischen Departement folgendes mitzuteilen:
Es ist der Schweizerischen Regierung bekannt, dass die Entente-Mächte die wirtschaftliche Erdrosselung des Deutschen Reiches entgegen allem Völkerrecht dadurch durchzuführen suchen, dass sie den neutralen Staaten, unter Androhung der Absperrung aller wesentlichen Zufuhren, Beschränkungen auferlegen, die deren Handel behindern und in vielen Fällen lahmlegen, ja die sogar den Lebensunterhalt der Bevölkerung dieser Staaten in Frage stellen.
Die auf Verlangen der Entente-Mächte in der Schweiz gegründete S.S.S. verfolgt den angeblichen Zweck, der Schweiz alle zur Aufrechterhaltung ihres wirtschaftlichen Lebens erforderlichen Zufuhren zu sichern. In Wahrheit aber ist der Erfolg dieser Gesellschaft, dass dem schweizerischen Handel mit den Zentralmächten Fesseln angelegt werden, die den legitimen Verkehr mit denselben auf ein Mindestmass beschränken und namentlich die Ausfuhr aller derjenigen Erzeugnisse völlig unterbinden, welche die Zentralmächte nicht selbst erzeugen und auf deren Bezug aus dem Ausland sie daher angewiesen sind.
Doch nicht genug damit, suchen die Entente-Mächte neuerdings, die geringen Freiheiten, welche nach den S.S.S.-Bestimmungen der Schweiz verblieben, dadurch hinfällig zu machen, dass dem schweizerischen Handel neue schwerwiegende Beschränkungen - stets nach dem gleichen System der Bedrohung - auferlegt werden, die der Schweiz auch die Ausfuhr ihrer wichtigsten eigenen Erzeugnisse an die Zentralmächte unmöglich machen. Es sei hier nur erinnert an die neuen Erschwerungen in bezug auf Baumwollgarne und -gewebe sowie Schokolade.
So ist die Schweiz durch das Bestreben der Entente, die Zentralmächte durch Absperrung von wesentlichen Zufuhren wirtschaftlich auf die Knie zu zwingen, selbst in eine äusserst schwierige Lage geraten, die noch dadurch ausserordentlich verschärft wird, dass die Entente ihre Zusage, ihrerseits die Schweiz mit allen erforderlichen Erzeugnissen zu versehen, nicht einhalten kann, weil sie selbst die alierwesentlichsten derselben nicht abgeben kann, aber auch der Schweiz die Mittel vorenthält, sich diese Erzeugnisse im Austauschwege bei den Zentralmächten zu beschaffen.
Auf der anderen Seite sind die Bestände und die Möglichkeit der Erzeugung gewisser Waren im Deutschen Reich auf ein Mass zurückgegangen, das - wenn auch keinerlei Gefahr für die Volksernährung und die Aufrechterhaltung der wichtigsten Betriebe besteht - doch die Kaiserliche Regierung zwingt, alle Massregeln zu ergreifen, die einer solchen Gefahr auch für die Zukunft Vorbeugen.
Die Kaiserliche Regierung sieht sich daher vor die Notwendigkeit gestellt, den Umfang ihrer Ausfuhr nach neutralen Ländern davon abhängig zu machen, dass diese Länder ihrerseits dem Deutschen Reich die Aufrechterhaltung der bisherigen Ausfuhr durch angemessene Zufuhren von Erzeugnissen ermöglichen, die zum Lebensunterhalt der an der Erzeugung der Ausfuhrwaren beteiligten Bevölkerung erforderlich sind und die bei der Erzeugung der Ausfuhrwaren und der Beförderung der Aus- und Durchfuhrwaren verbraucht werden.
Dabei muss die Kaiserliche Regierung gezwungenermassen die Verteilung der zur Ausfuhr verfügbaren Erzeugnisse auf die einzelnen neutralen Staaten in dem Masse vornehmen, wie diese Staaten den ihnen durch die Entente-Mächte auferlegten Beschränkungen Widerstand leisten, indem sie die Zufuhr von «Bannware» nach Deutschland ermöglichen und gestatten.
Die Kaiserliche Regierung sieht sich daher gezwungen, die Ausfuhr deutscher Erzeugnisse nach der Schweiz im bisherigen Umfange davon abhängig zu machen, dass auch die Ausfuhr aus der Schweiz nach Deutschland vollkommen in der bisherigen Handhabung weitergeht, insbesondere der in der Schweiz lagernde deutsche Besitz an Lebens-, Genuss- und Futtermitteln aller Art sowie an Maschinenölen, innerhalb einer kurzen Frist zur Ausfuhr nach Deutschland gelangt. Dieser Besitz, soweit er bereits zur Ablieferung gelangt ist, wurde bei den zuständigen schweizerischen Behörden angemeldet.
Fernerhin muss die Kaiserliche Regierung darauf bestehen, dass der sich auf etwa 35 000 Ballen belaufende in der Schweiz lagernde deutsche Besitz an Rohbaumwolle und der nach Artikel 10c Ziff.5 und 6 der S.S.S.-Bestimmungen zulässige Export von Baumwollgarnen und Baumwollgeweben sowie der geringe Besitz an verschiedenen Metallen ebenfalls baldigst freigegeben wird.
Die Kaiserliche Regierung darf darauf hinweisen, dass Deutschland im Vertrauen auf die erteilten Zusagen ganz erhebliche Vorleistungen gemacht hat, deren Wert sich auf etwa 16 500000 Franken beläuft.
Diese Schuld könnte in der Weise abgewickelt werden, dass der deutsche Besitz in der Schweiz zunächst bis zur Tilgung derselben in drei Monatsraten zur Ausfuhr gelangt, wobei die Wahl der zum Abstransport gelangenden Waren der Kaiserlichen Regierung überlassen bleibt.
Sobald die schweizerische Schuld abgetragen sein wird, erfolgt eine globale Verrechnung in der Weise, dass die verbleibenden deutschen Bestände in der Schweiz nach Massgabe der deutschen Gegenleistungen seitens der Schweizerischen Regierung freigegeben werden.
Alle Absprachen in bezug auf die als Kompensation zu verrechnenden Waren sowie auf die Verrechnungsverhältnisse sollen dabei unverändert in Kraft bleiben.
Mit Hinsicht auf die von anderen neutralen Staaten an sie herantretenden, ausserordentlich hohen Anforderungen muss sich die Kaiserliche Regierung in allerkürzester Frist volle Klarheit darüber verschaffen, in welchem Verhältnis und in welchen Mengen sie - unter Berücksichtigung der erzielbaren Gegenleistungen - ihre zur Ausfuhr verfügbaren Bodenschätze und industriellen Erzeugnisse in Zukunft den einzelnen neutralen Staaten zuführen kann.
Sie würde deshalb nach Ablauf von zwei Wochen für die Schweiz bestimmte Waren behufs anderweitiger Verwendung zurückhalten müssen, glaubt indes annehmen zu dürfen, dass bis dahin die Ausfuhr aus der Schweiz in der oben angegebenen Weise gehandhabt werden wird.
Die Kaiserliche Regierung erkennt voll und ganz das weitgehende Entgegenkommen an, welches die Schweizerische Regierung stets bewiesen hat. Wenn sie trotzdem heute auf einer schleunigen Abstellung der neuerdings bei der Erteilung von Ausfuhrbewilligungen eingetretenen Erschwerungen bestehen muss, so ist dies in den Verhältnissen begründet, welche die Entente durch ihre völkerrechtswidrigen Massnahmen geschaffen hat.
- 1
- Note: E 2001 (B) 1,95.↩
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Economic and financial negotiations with the Central Powers (World War I)