Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 6, doc. 179
volume linkBern 1981
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#892* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 393 | |
Dossier title | Rom, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 16 (1916–1916) | |
File reference archive | 147 |
dodis.ch/43454
[...]2In meinem letzten Berichte habe ich Mitteilung gemacht von einer Besprechung mit Herrn de Martino über das Verhältnis zwischen der Schweiz und Italien. Ich muss heute nachtragen, dass inzwischen bei mir und namentlich bei meinen Mitabeitern Zweifel darüber aufgestiegen sind, ob die Erklärungen, die Herr Paulucci beauftragt war, Ihnen zu geben3, wirklich ernst und aufrichtig gemeint waren oder ob nicht für dieses Vorgehen das Wort gelte «Qui s’excuse s’accuse». Auffallend ist ja, dass die angekündigten Befestigungen und die Erklärungen der Regierung zeitlich als unmittelbare Folge des Oberstenprozesses und der Verhandlungen der Bundesversammlung erscheinen. Richtig ist leider auch, dass in weiten Kreisen die Verhandlungen in Zürich und Bern die Überzeugung neuerdings hervorgerufen haben, dass unsere Armeeleitung mit Leib und Seele den Zentralmächten verschworen sei. Man anerkennt wohl, dass die politischen Behörden ernstlich gewillt seien, neutral zu bleiben, aber man fürchtet die Allmacht des Militärs, das im gegebenen Falle über den Kopf der Behörden und über die Volksmeinung hinweg einen eigentlichen Staatsstreich begehen könnte. So unvernünftig diese Ansicht auch ist, so findet sie doch Gläubige bis in die höchsten Kreise hinauf. Auch die Berichte, die ich durch einzelne Konsulate erhalte, bestätigen die Tatsache, dass das Misstrauen in Italien gewaltig gewachsen ist seit den Verhandlungen in Zürich und Bern. Man darf sich darüber nicht wundern, wenn man die Kundgebungen einer gewissen Presse der Schweiz liest bzw. gelesen hat, die hier in Italien natürlich sorgfältig registriert worden sind.
Ich bleibe persönlich der Ansicht, dass in den Kreisen der Regierung die Situation in der Schweiz richtiger beurteilt wird und dass man dort nicht an die Möglichkeit eines neutralitätswidrigen Verhaltens der Schweiz glaubt; aber darüber dürfen wir uns keiner Täuschung hingeben, dass in den Kreisen des Militärs und in den breiten Schichten der Bevölkerung das Misstrauen gewaltig zugenommen und dass die Stimmung unserem Lande gegenüber wesentlich an Freundlichkeit und an Vertrauen eingebüsst hat.
Schliesslich noch die Bemerkung, dass der Sieg des Ministeriums bei der letzten Abstimmung der Kammer in seiner praktischen Folge doch nicht so entscheidend zu sein scheint, wie man annehmen müsste, wenn man nur die Abstimmungsziffern und die Voten der Parteiführer in Betracht zieht. Die bisher oppositionelle Presse der Interventionisten hat sich durch das Kammervotum nicht imponieren lassen, sondern fährt fort, die Politik der Regierung zu bekämpfen. Und die neuen Freunde der Regierung, die Giolittianer und Katholiken, sind doch nur äusserlich zu Freunden geworden. Das alles lässt erkennen, dass die Regierung eben doch im Parlament nicht feste Wurzeln hat und dass Salandra nur deshalb bleiben konnte, weil niemand da war, der ihn ersetzen wollte. Unter diesen Umständen muss man immer noch mit Überraschungen rechnen, freilich nicht mehr für die jetzige Tagung, aber für eine folgende. Immerhin wird auch hier die Entscheidung bedingt sein durch den Verlauf der kriegerischen Ereignisse.