Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 6, Dok. 134
volume linkBern 1981
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2001B#1000/1501#3257* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2001(B)1000/1501 92b | |
Dossiertitel | Errichtung der SSS, II und III (1914–1916) | |
Aktenzeichen Archiv | C.21.11.4 |
dodis.ch/43409
Die Frage des Einfuhrtrustes hat eine recht unangenehme Wendung genommen. Das Ergebnis der Verhandlungen mit Sir Francis Oppenheimer war so gewesen, dass sich der Bundesrat grundsätzlich damit einverstanden erklären konnte; Vorbehalten blieben Garantien für die Kompensationsmöglichkeiten mit eingeführten Waren und eine formelle Umarbeitung, um gewisse Härten in der Ausdrucksweise, die nach aussen einen schlechten Eindruck machen mussten, zu vermeiden.
Zu unserer grossen Überraschung und Enttäuschung sind die Herren Oppenheimer undCrozier aus Paris mit einem Projekte2 zurückgekommen, das den Importtrust auf eine ganz neue Grundlage stellt.
Während bisher die ganze Organisation sich aufbaute auf dem gegenseitigen Vertrauen, namentlich auf dem Zutrauen in die Wirksamkeit und Zuverlässigkeit der einzurichtenden rein schweizerischen Kontrolle, wird die neue Schöpfung nun beherrscht von dem Misstrauen der verbündeten Regierungen und demgemäss einer dauernden Überwachung durch deren Repräsentanten unterstellt.
Während bisher die Bildung des Einfuhrtrusts auf der Grundlage einer privaten Vereinigung vorgesehen war, bei der die schweizerische Regierung, wenigstens gegen aussen, ihre unabhängige, neutrale Stellung behaupten konnte, wird sie nunmehr in die Organisation hineingezogen und soll die strikteste Beobachtung der durch die Organe der S.S.E übernommenen Verpflichtungen gewährleisten, was ihr gegenüber den fremden Staaten eine neue Abhängigkeit und der Diplomatie Veranlassung zur Einmischung geben wird.
Während bisher die Freiheit des Handelns wenigstens mit Bezug auf unsere Eigenprodukte unangetastet war, sollen wir nun monatlich alle mit diesen vorgenommenen Kompensationsgeschäfte der S.S.E unter Angabe der Gründe mitteilen, und diese hätte dann die betreffende Statistik den fremden Regierungen zur Kenntnis zu bringen.
Die Kompensationsmöglichkeit mittelst in der Schweiz importierter Waren bleibt nach wie vor dem guten Willen der Regierungen überlassen. Während bisher die Gegenleistung für die mit dem Einfuhrtrust verbundenen Hemmungen die freie Ausfuhr und Durchfuhr alles dessen, was die Schweiz nötig hat, in Aussicht gestellt war, soll nun eine Kontingentierung für alle Waren auf der Basis der normalen Einfuhrziffern früherer Jahre, alle drei Monate durch die verbündeten Regierungen vorgenommen werden, was die Basis, auf der das ganze Abkommen aufgebaut ist, völlig ändert.
Wir fügen noch bei, dass die unter absolute Ausfuhrverbote fallenden Artikel vermehrt worden sind, so ist statt bloss ägyptischer Baumwolle, Baumwolle schlechthin aufgenommen, ferner Hanf und Häute nebst Leder beigefügt worden. Besonders verletzend erscheint uns die Form, in der die Verpflichtungen gegenüber den verbündeten Regierungen festgesetzt wurden. Wir verweisen dabei auf die Art und Weise, wie wir uns verpflichten sollen, die Mitglieder der S.S.E., auf die wir uns ja, wie Sie wissen, bereits geeinigt hatten, und die Abordnung des Bundesrates in den Syndikaten auf Doppelvorschlag der Alliierten zu wählen. Wir verweisen ferner auf die ganz sonderbare Formulierung der Kompensationsmöglichkeit mittels eingeführter Waren. Und wir verweisen endlich auf die völlig unannehmbare Zumutung, Deutschland gegenüber Repressalien zu ergreifen, wenn Letzteres Kupfer, das im Veredlungsverkehr dorthin gelangt ist, mit Beschlag belegen sollte.
Der Bundesrat musste sich nun sagen, dass eine ganze Reihe von Bestimmungen sich voraussichtlich auf dem Wege der Verhandlungen mit den kommerziellen Unterhändlern mildern und mundgerecht machen lassen werden, dass dagegen das Prinzip gegenüber dem Ergebnis der früheren Verhandlungen in einem Masse verändert worden sei, dass es ausgeschlossen erscheine, auf dieser Grundlage zu einer annehmbaren Lösung zu kommen. Der Bundesrat hat daher den Unterzeichneten ermächtigt, zunächst einmal dem französischen Botschafter zu eröffnen und zu erklären, dass und warum wir das umgearbeitete Projekt nicht als geeignet erachten können, als Grundlage der Verhandlungen über Detailpunkte zu dienen.
Das ist in einer vorgestrigen Konversation geschehen. Der französische Botschafter hat die Eröffnungen in gewohnter zuvorkommender Weise entgegengenommen und in den meisten Punkten die Einwendungen als zutreffend erachtet. Mit Bezug auf die Kontingentierung erörterte er modifizierte Vorschläge: Beschränkung auf einige für den Kriegszweck wichtige Artikel, Jahreskontingent statt Trimesterkontingent, Feststellung im Benehmen zwischen der schweizerischen und den alliierten Regierungen. In der Form stellte er eine völlige Umarbeitung in Aussicht, um «le langage policier» verschwinden zu lassen.
Wir geben Ihnen von dem Vorstehenden Kenntnis, um Sie auf dem laufenden zu erhalten und ihnen die Gelegenheit zu verschaffen, bei der Regierung, bei der Sie beglaubigt sind, die Bedenken gegen den Entwurf im geeigneten Momente und in gutscheinender Weise zum Ausdruck zu bringen. Wir müssen mit der öffentlichen Meinung rechnen, die ja, wie Sie wissen, in keinem Punkte empfindlicher ist als in der Frage der Beschränkung der Autonomie und der fremden Kontrolle. Wenn wir eine S.S.E einrichten und mit so eingreifenden Kontrollmassnahmen ausstatten, so können wir nicht darüber noch eine Kontrolle fremder Handelsagenten (Sir Oppenheimer und Co.) und darüber noch eine oberste Kontrolle durch die diplomatischen Vertreter uns gefallenlassen, denen wir über alle Geschäfte Rechenschaft zu geben, Statistiken einzureichen haben usw. Und wenn wir unsere besten Leute als Kontrollinstanz vereinigen, so können wir nicht zugeben, dass ihnen zum voraus mit Misstrauen begegnet und der Bezug von Waren kontingentiert werde. Letzteres wäre, wenn es allgemein vorgeschrieben werden sollte, darüberhin praktisch gar nicht durchführbar, wie ein einziger Blick auf Warenstatistik und Zolltarif lehren. Das Projekt, das in Paris geboren wurde, ist eine Bevormundung in optima forma und daher nicht annehmbar.
Damit ist in keiner Weise gesagt, dass die Idee des Einfuhrtrusts begraben sei; es will uns scheinen, dass mit verhältnismässig wenigen Konzessionen auf Seite der Alliierten und mit einer geschickten formellen Umarbeitung die Sache selbst, von deren Notwendigkeit wir nach wie vor überzeugt sind, annehmbar gemacht werden könnte.
Wir werden Ihnen zum besondern Danke verpflichtet sein, wenn Sie uns auch Ihre Auffassung mitteilen und uns andeuten würden, wie weit wir in unseren Anforderungen gehen können, ohne das Ganze zu gefährden.
Dabei wollen wir nicht unterlassen, Ihnen mitzuteilen, dass die wichtige Frage der Kontrolle über Einhalten der bei Einfuhr deutscher Waren übernommenen Verpflichtungen ausschliesslich schweizerischen Konsums in einer ganz einfachen und uns befriedigenden Weise gelöst worden ist3. Für die chemischen und Arzneimittel und alle ändern sanitärisch in Betracht fallenden Gegenstände ist die Kontrolle dem schweizerischen Gesundheitsamte übergeben. Für alle ändern Waren ist ein schweizerischer Treuhänder vorgesehen und in der Person des Herrn Ständerat Usteri bereits ernannt, dem die Reichsregierung die Ausfuhrscheine zu treuen Händen übergibt und der sie, nachdem er sich durch die von ihm ernannten Vertrauenspersonen überzeugt hat, dass die nötigen Garantien für die Einhaltung der Verpflichtungen gegeben sind, den Importleuten aushändigt. Der Beweis des Vertrauens, der in dieser Einrichtung liegt, steht in einem schroffen Gegensatz zu dem Geist des Misstrauens, der das neueste Projekt der Alliierten beherrscht.
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Wirtschafts- und Finanzverhandlungen mit den Alliierten (Erster Weltkrieg)