dodis.ch/43186 Der Bundespräsident und Vorsteher des Politischen Departementes, L. Forrer, an sämtliche Auswanderungsagenturen1
Es sind in letzter Zeit in der Schweiz eine Menge Propagandaschriften verbreitet worden, in welchen die Klima-, Lohn-, Lebens- und Ansiedlungsverhältnisse in mehreren überseeischen Staaten in verlockender Weise geschildert werden; auch wird in solchen Publikationen bekannt gemacht, dass jeder Auswanderer dort leicht und bei hohem Lohn Arbeit und Verdienst finde. Von den Schattenseiten, die auch die besten Einwanderungsländer haben, wird in diesen Druckschriften selbstverständlich nichts erwähnt, und da sie meist anonym erscheinen, kann auch niemand für die Richtigkeit der darin enthaltenen Schilderungen verantwortlich gemacht werden. Es ist zur Genüge bekannt, dass derartige Publikationen von interessierter Seite, d. h. von Kolonisationsunternehmen, Eisenbahn- und Schiffsgesellschaften, Stellenvermittlungsbureaux, Landagenten, industriellen Etablissementen usw., zu dem Zwecke in Umlauf gesetzt werden, um Kolonisten und Arbeiter anzulocken, ohne ihnen für ihr Fortkommen im fremden Lande irgend welche Garantie zu bieten.
Die Verbreitung derartiger Publikationen muss, wie der Bundesrat bereits in seinem Kreisschreiben an sämtliche eidgenössischen Stände vom 12. Februar 1889 ausgeführt hat, als unbefugte Beteiligung an Kolonisationsunternehmen betrachtet werden. Solche Unternehmen liegen nämlich nicht nur dann vor, wenn für ein bestimmtes Gebiet eine Anzahl landwirtschaftliche Ansiedler angeworben werden, sondern auch dann, wenn durch propagandistische Mittel, wie Verbreitung von Broschüren, Prospekten, Mitteilungen über Löhne und Lebensmittelpreise, Gewährung von Vorschüssen usw., die Auswanderung von Landwirten, Handwerkern oder Berufsleuten nach einem bestimmten Lande zu lenken gesucht wird. In solchen Fällen wird von fremder Seite zur Auswanderung aufgemuntert und der Auswanderer in der Wahl seines Reiseziels beeinflusst. Wir dürfen aber nicht dulden, dass ohne Erlaubnis des Bundesrates für die Auswanderung nach irgend einem Lande Propaganda gemacht wird, und wir laden Sie deshalb ein, keinerlei Propagandaschriften zu verteilen oder zu versenden. Wenn dagegen Auswanderer mit Ihnen über ihre Beförderung nach einem bestimmten überseeischen Lande in Unterhandlung stehen und von Ihnen eine Beschreibung von demselben zu erhalten wünschen, so haben wir nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie ihnen eine solche verabfolgen, sofern Sie für die Richtigkeit der darin enthaltenen Angaben die Verantwortung übernehmen können. Die Nichtbefolgung obiger Einladung würde als eine Ausserachtlassung der Vorschrift in Artikel 10 des Auswanderungsgesetzes vom 22. März 1888 betrachtet und geahndet werden.