Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 175
volume linkBern 1983
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001A#1000/45#559* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(A)1000/45 47 | |
Dossier title | Nr. 479. Berichte der schweizerischen Delegation (1907–1907) | |
File reference archive | B.231-2 |
dodis.ch/43030
Ich habe den heutigen Tag zu Besuchen bei den ersten Bevollmächtigten der Grossmächte benützt. Es gelang mir, den ersten Deutschen (Baron Marschall), den ersten Österreicher (Mérey), den ersten Engländer (Sir Edward Fry), den ersten und dritten Italiener (Cte Tornielli und den Ex-Minister Fusinato), sowie den Präsidenten der Conferenz (Nélidow) zu treffen. Überdies hatte ich Besprechungen mit dem I. Rumänen Beldiman und mit dem hiesigen belgischen Gesandten.
Die eingezogenen Erkundigungen lauten im Wesentlichen dahin:
Der am nächsten Mittwoch, 3 Uhr Nachmittags, zusammentretenden IIten Plenar-Versammlung soll die Bildung folgender Commissionen vorgeschlagen werden:
re Version (Nélidow, Fry, Tornielli):
fe Commission (wahrscheinlicher Vorsitzender Bourgeois, Iter französischer Delegierter): Punkt 1) der russischen Note vom 21. März/3. April 19062: Schiedsgerichtsverfahren.
IF Commission (wahrscheinlicher Vorsitzender General Porter, IIer-Amerikaner): Punkt 2) der russischen Note: Landkrieg und Deklarationen von 1899.
Iire Commission (Vorsitzender noch unbestimmt): Punkt 3) 4) der russischen Note: Seekrieg und Adaptation für denselben der neuen Genfer Convention.
IVe Commission: Rechte und Pflichten der Neutralen (!).
Ve Commission: Redaktion.
Als mir Herr Nélidow diesen Entwurf zur Kenntniss brachte, konnte ich nicht umhin zu bemerken, dass mir die Fassung der mehrerwähnten russischen Note («Compléments à apporter aux dispositions... entre autres concernant... les droits des neutres...») die Einsetzung einer eigenen Commission für die Neutralen nicht zu rechtfertigen scheine; dies scheine mit dem eigenen russischen Programm nicht zu stimmen. Er erwiderte, man habe zu dieser IVten Commission gegriffen, weil man in der Behandlung die Frage der Neutralen trennen wollte von den Regeln des Land- und Seekrieges, die andere Spezialisten erheischten. Im gleichen Fahrwasser befanden sich Sir E. Fry und Graf Tornielli, wobei Fry hervorhob, es könne uns ja nur nützlich sein, wenn die Rechte und Pflichten der Neutralen klar zu Papier gebracht würden. Ich gab ihm zu bedenken, dass man zwar für die Form auch von Rechten der Neutralen spreche, dass es sich aber im Grunde immer um deren Pflichten handle und dass Gefahr bestehe, eine Präzisierung derselben würde einer Erschwerung der ohnehin drückenden Lasten gleichkommen. Hierauf versprach mir Fry seinen Beistand, wenn wir in’s Gedränge kommen sollten.
Aus Äusserungen des belgischen Gesandten entnahm ich später, dass er meine Befürchtungen teile.
IVe Version (Marschall, Mérey):
Ite-IIIte und Vte Commission, wie oben, dagegen keine IVte Commission, gegen die sich, zu meiner wirklichen Erleichterung, Marschall mit aller Entschiedenheit aussprach3.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass erst der morgige Tag die Entscheidung bringen wird. Ich werde sie bei Bourgeois in Erfahrung zu bringen suchen und Ihnen weiter berichten4.
Eines ist indessen sicher: für die Abrüstung wird keine eigene Commission gegründet und es wird uns voraussichtlich erspart bleiben, in dieser Frage Stellung nehmen zu müssen. Alles deutet darauf hin, dass auch Grossbritannien sich schliesslich mit der Erneuerung der 1899 einstimmig gefassten diesbezüglichen «Resolution» zufrieden geben wird.
Obligatorisches Schiedsgericht. Deutschland und Österreich verhalten sich absolut ablehnend, nach wie vor.
Von einer Gruppierung der Mächte ist noch nicht viel zu merken, doch nimmt man an, dass die mittelamerikanischen und südamerikanischen Republiken wie ein Mann mit den Vereinigten Staaten, denen sie ihre Zulassung zur Conferenz verdanken, stimmen werden.
Über die Zulassung oder den Ausschluss der Presse, ist noch keine Entscheidung getroffen. Es machen sich drei Strömungen geltend: gänzlicher Ausschluss; - Zulassung zu den Plenarsitzungen; - gänzliche Zulassung. Die mittlere Lösung scheint gegenwärtig die Oberhand zu haben, obwohl man sagt, Deutschland dränge auf gänzliche Zulassung. Baron Marschall äusserte sich hierüber mir gegenüber nicht.
Ich schreibe Ihnen Vorliegendes spät Abends. Wollen Sie also meinen Stil nachsichtig beurteilen und mir gütigst den Empfang anzeigen, da ich den Brief nicht mehr einschreiben lassen kann, wünschend dass er baldmöglichst in Ihre Hänge gelangt.
- 1
- Schreiben: E 2001 (A), Archiv-Nr. 479.↩
- 2
- Vgl. Nr. 118, Anm. 2.↩
- 3
- Carlin rief in seinem Bericht vom 18. Mai 1912 in Erinnerung: Als bei der Ausarbeitung des Programms der Conferenz, Gefahr bestand, das Neutralitätsprinzip der Schweiz möchte in Diskussion kommen, war es Baron Marschall, der, auf mein Ansuchen, sich dahin verwendete, dass von der Bestellung der projektierten «Neutralitätskommission» abgesehen und der betreffende Teil des Programms so gefasst wurde, dass nur die Rechte und Pflichten der Neutralen im Kriegsfall erörtert werden konnten (E 2300 London, Archiv-Nr. 8).↩
- 4
- Es wurden schliesslich vier Kommissionen gebildet, wobei sich die 2. Kommission neben den Rechten und Pflichten der Neutralen im Landkrieg mit der Verbesserung und Ergänzung des Landkriegsabkommens von 1899, den Erklärungen von 1899 und der Eröffnung von Feindseligkeiten zu befassen hatte. Vgl. dazu die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Ergebnisse der im Jahre 1907 im Haag abgehaltenen zweiten internationalen Friedenskonferenz, vom 28. Dezember 1908, in: BBl 1909, I, S. Iff., besonders S. 6f. - In seinem Bericht vom 20. Juni 1907 an Müller teilte Carlin mit: Gestern, nach einem Diner beim Minister des Äussem, hatte ich ein langes Gespräch mit dem Freiherrn von Marschall, dem l, en Delegierten Deutschlands. Er bestätigte mir, dass das Zustandekommen der Special-Commission für die Rechte und Pflichten der Neutralen, wie sie seitens Russland’s, Grossbritannien’s und Italien’s geplant war, nur durch seine durch meinen Besuch bei ihm veranlasste Dazwischenkunft vereitelt wurde. Mit den Commissionen, wie sie jetzt bestellt wurden, können wir uns einverstanden erklären (E 2001 (A), Archiv-Nr. 479).↩
Tags
Hague Peace Conferences (1899 and 1907)