Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
16. Italie
16.2. Ouvriers italiens en Suisse
16.2.2. Rupture des relations diplomatiques (affaire Silvestrelli)
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 4, doc. 411
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001A#1000/45#652* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(A)1000/45 75 | |
Dossier title | Nr. 627. Silvestrelli-Handel (1900–1903) | |
File reference archive | B.252 |
dodis.ch/42821
Wie ich aus Kreisen der Bundesversammlung höre, hat in der öffentlichen Meinung der Schweiz und auch in den Eidgenössischen Räten selbst eine ganz irrtümliche, die tatsächlichen Verhältnisse geradezu auf den Kopf stellende Auffassung meiner Haltung im Silvestrelli-Conflict Platz gegriffen und zwar deshalb, weil eine Aufklärung bisher nicht erfolgen konnte.
Man nimmt an und scheut sich nicht zu sagen und zu publizieren:
1) Dass ich den Conflict herbeigeführt, beziehungsweise nicht zu verhindern gewusst habe.
2) Dass ich durch meine Intrigen Herrn Bourcart von seinem Posten in London weggedrängt habe, um mich an dessen Stelle zu setzen.
Dem gegenüber erinnere ich daran, dass ich das ganz unschuldige Opfer des Zwischenfalls wurde. Von dem in Bern ausgebrochenen Conflict erhielt ich in Rom erst Kenntnis, als er schon vorlag. Sofort bemühte ich mich, mit Anspannung aller Kräfte, eine Versöhnung herbeizuführen und machte eigens eine zweite Reise nach Bern, als ich in Erfahrung gebracht hatte, dass die italienische Regierung auf das ihr von mir in freundschaftlichster und schonendster Weise vorgebrachte Verlangen des Bundesrats, den Urheber des Conflicts, Herrn Silvestrelli, vorläufig wenigstens zu beurlauben, nicht eintreten wollte. Der Zweck dieser Reise war, über alle in der gespannten Situation noch möglichen gütlichen Auskunftsmittel mündlichen Vortrag zu erstatten. Als keines derselben beliebte, musste Ihr Gesandter, auf Ihren ausdrücklichen Befehl hin, nach Rom zurückreisen, um persönlich die Note zu übergeben, in welcher Sie die Abberufung des Herrn Silvestrelli forderten, widrigenfalls Sie genötigt wären, die Beziehungen zu ihm abzubrechen. Die Ausführung dieser Mission musste, wie dem Bundesrat bekannt war, seinen Gesandten um sein Amt bringen und seine Person den unausbleiblichen gehässigen Repressalien aussetzen.
Betreffend mein übriges Verhalten verweise ich auf die Akten. Dass Sie dasselbe billigten, geht unter anderem aus Ihrem Schreiben an mich vom 30. Juli 19022 hervor, in welchem Sie mich des Fortbestehens Ihres unverminderten Vertrauens versichern.
Die Beilegung des Zwischenfalls erfolgte Übungsgemäss auf Grund der gleichzeitigen Abberufung beider Gesandten.
Hatte der Bundesrat in die Abberufung seines am Conflict ganz unbeteiligten Gesandten eingewilligt, so war er darauf bedacht, ihm unverzüglich einen ändern Posten anzuweisen. Eine Unterlassung dieser Massnahme wäre nach internationaler diplomatischer Auffassung als ein Aufgeben der bisher behaupteten Stellung Italien gegenüber ausgelegt worden.
Dieselben Rücksichten mussten auch Ihren Gesandten bestimmen, den ihm zugedachten Posten anzunehmen, ob gern oder ungern. Sie bestimmten London und der Unterzeichnete fügte sich ohne Widerspruch, obschon er sich diesen Posten nie gewünscht hatte. Das Festhalten an London für den Unterzeichneten rechtfertigt sich sachlich um so mehr, als Italien Herrn Silvestrelli ebenfalls an einen Europäischen Posten sandte und der Unterzeichnete um fast fünf Jahre rangälterer ausserordentlicher Gesandter ist als Herr Bourcart. Überdies weiss der Bundesrat, dass anfänglich die Absicht bestand, Herrn Bourcart nicht nach Washington, sondern nach Rom zu versetzen und dass der Unterzeichnete bereit war, nötigenfalls auch nach Washington zu gehen.
So stehen die Sachen und man hätte annehmen sollen, dass sie in der Schweiz allgemein verstanden und gewürdigt würden. Da dem leider nicht so ist, so muss der Unterzeichnete den hohen Bundesrat dringend bitten, bei nächster Gelegenheit, angeeignetsten wohl im Jahresbericht für 1902, zu dessen Entlastung, der Wahrheit öffentlich zu ihrem Recht zu verhelfen.
Es sollte namentlich – und dies kann ja geschehen ohne höhere Interessen blosszustellen – öffentlich festgestellt werden:
1) Für den Ausbruch des Conflicts mit Italien trägt Herr Carlin keinerlei Verantwortung; er hat zur versöhnlichen Beilegung desselben das Mögliche getan. Den Anordnungen seiner Regierung hatte er sich zu fügen.
2) Trotzdem musste der Bundesrat, einem feststehenden diplomatischen Gebrauche gemäss, behufs Beendigung des Conflicts mit Italien, in die Wegversetzung seines Gesandten von Rom einwilligen. Er besitzt jedoch nach wie vor sein volles Vertrauen.
3) Um seine eigene Politik nicht zu desavouieren, dürfte der Bundesrat nicht zögern, dem Schweizerischen Gesandten der Conflictszeit einen ändern Posten zu verleihen; aus demselben Grund war es für den Gesandten Pflicht, die neue Mission anzunehmen. Der Bundesrat bestimmte hiezu von sich aus und ohne das Zutun des Unterzeichneten London und hielt, aus der erwähnten Rücksicht auf die internationale Convenienz an diesem Beschluss fest. Herr Carlin hatte übrigens erklärt, eventuell eine Versetzung auch nach Washington sich gefallen zu lassen.
Als öffentlicher Beamter steht ein Gesandter mittelbar auch unter der Controlle des Parlaments und der öffentlichen Meinung seines Landes. Geniesst er nicht auch deren Vertrauen, neben dem seiner Regierung, so ist er in der Ausübung seines ohnehin schwierigen Amts in unerträglichem Masse gehemmt. Dazu kommt, dass es dem Bundesrate nicht gleichgültig sein kann, welchen Ruf seine Gesandten haben.
Unter diesen Umständen gibt sich der Unterzeichnete der Erwartung hin, dass der Bundesrat, in Entsprechung dieses ganz ergebenen Gesuchs, bei nächster Gelegenheit der Bundesversammlung über den wirklichen Sachverhalt Aufschluss zu geben die Geneigtheit haben werde.