Classement thématique série 1848–1945:
IX. DÈFENSE NATIONALE ET NEUTRALITÉ
3. Neutralité
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 4, doc. 369
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#886* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 392 | |
Dossier title | Rom, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 10 (1900–1901) |
dodis.ch/42779
Gestern mittag hatte ich meine übliche Herbstaudienz beim König.
Wie ich schon früher, als der König noch Kronprinz war, hervorhob, verfügt Victor Emanuel III über umfassende Kenntnisse auf allen Gebieten und über ein erstaunliches Gedächtnis. Dabei ist er viel energischer und entschiedener als sein Vater es war. Und auch sein Auftreten hat, seitdem er den Thron bestieg, viel an Festigkeit und Bestimmtheit gewonnen. Er ist ein Monarch im modernen Sinne des Wortes, demokratischen Ideen zugänglich, wie die Berufung und die Stützung des Ministeriums Zanardelli beweist, die, wie ich aus ganz zuverlässiger Quelle erfuhr, gegen die Ratschläge seiner Mutter erfolgte. Die Königin Margherita war schon in den letzten Lebensjahren Umbertos conservativen Einflüsterungen von seiten des Deputierten Sonnino und seines Hofanhanges in hohem Grade zugänglich und wusste den König stark zu beeinflussen. Seither neigt sie sogar zum Clericalismus. Auf ihren Sohn hat sie jedoch keinerlei politischen Einfluss; sie hat sich hierüber während ihrer Reise diesen Sommer in Holland, einer mir bekannten Dame gegenüber beklagt.
Im Laufe unserer fast halbstündigen Unterredung erkundigte sich der König, welcher im Gegensatz zu seinem Vater stets in Uniform gekleidet ist, unter anderem über den Stand des Simplon-Durchstichs, des Rückkaufs der Eisenbahnen und sprach einlässlich von unserer Militärorganisation, die er bis in ihre kleinen Details kennt. Er erwähnte, er habe die Schrift des Oberst Weber, «die strategische Bedeutung der Schweiz» mit Interesse gelesen, glaube aber die These, die Schweiz solle im Falle einer effectiven Verletzung ihrer Neutralität je nach ihrem Interesse ein Bündniss schliessen und am Kriege teilnehmen, sei gefährlich. Er meint, die Schweiz sollte sich unter Berufung auf die ihr verbürgte Neutralität auf die Rückweisung der auf ihr Gebiet eingedrungenen Truppen beschränken, ohne ihr Schicksal an eine der kriegsführenden Mächte zu binden. Eine Kriegsführung zu dreien, jeder unabhängig vom ändern, sei sehr wohl denkbar; sie habe in den Jahren 1828/29 in der Gegend des Ararats stattgefunden, wo Russen, Türken und Perser jeder für sich und gegen die zwei anderen kämpften.
Wenn die Schweiz durch Eindringen fremder Truppen in ihr Gebiet zu einem Bündnisse mit einer der kriegsführenden Mächte veranlasst werden könnte, so läge die Gefahr nahe, dass zu einer Neutralitätsverletzung nicht aus taktischen, sondern aus politischen Gründen geschritten würde.
Ich erwiderte, wir hofften zuversichtlich nicht sobald in die Lage zu kommen eine diesbezügliche Entscheidung treffen zu müssen; wenn aber die Frage an uns herantreten sollte, so würden wir sie je nach den Verhältnissen lösen und mit Aufgebot aller Mittel und aller Kräfte für unsere Unabhängigkeit und die Integrität unseres Gebietes eintreten.
Die Conversation über diesen Punkt war selbstverständlich rein akademischer Natur; ich glaubte sie Ihnen aber doch signalisieren zu sollen, wäre es nur um aufmerksam zu machen, wie sehr der König von Italien für unsere Verhältnisse sich interessiert.
- 1
- Rapport: E 2300 Rom 10.↩
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