Classement thématique série 1848–1945:
I. SITUATION INTERNATIONALE
5. Affaires intérieures
5.7. Mort du Roi Humbert I er
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 4, doc. 345
volume linkBern 1994
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▼ ▶ Archival classification | E2200.41-02#1000/1671#3911* |
Archival classification | E 2200.41-02(-)1000/1671 533 |
Dossier title | Correspondance politique et diplomatique (1899–1900) |
File reference archive | 1 |
dodis.ch/42755 Le Département politique aux représentations diplomatiques1
Herr Carlin schreibt uns unterm 9. dies:
«Der am 29. Juli 1900 in Monza ermorderte König Umberto hätte, wie kein anderer, ein besseres Ende verdient. Will man in der That seine hauptsächlichsten Charaktereigenschaften in einem Wort zusammenfassen, so muss man ihn «der Gute» nennen. Und diese Bezeichnung ist bereits in der Presse und in der öffentlichen Meinung geläufig geworden. Wenn seine Geistesgaben nicht gerade hervorragend genannt werden können, so war seine Güte unerschöpflich und seine Gewissenhaftigkeit bis auf die Spitze getrieben. Dabei war er unerschrokken und furchtlos, wie es einem Spross des kriegerischen Hauses von Savoya gebührt. Insbesondere für die Leiden der Armen und vom Schicksal missgünstig Behandelten hatte er stets ein offenes Herz. Ich erinnere hier daran, dass es genügte, um sein Interesse für den Simplondurchstich zu wecken und rege zu erhalten, dass ich darauf hinwies, es würden bei Ausführung dieses Werkes hunderte und aber hunderte von italienischen Arbeitern lohnende Beschäftigung finden. Sein Verhalten anlässlich des Erdbebens auf Ischia, der Choleraepidemie in Neapel und der Überschwemmungen in Ober-Italien, in den Jahren 1883, 1884 und 1889, ist bekannt. Auch sonst pflegte er sich sehr um das Los der arbeitenden Klasse zu bekümmern. In manchen Unterredungen, die wir zusammen hatten, war diese Materie der Hauptgegenstand des Gespräches. Noch das letzte Mal, als er mich anredete, erzählte er, wie er regelmässig, wenn er von seinen Jagdausflügen nach Castelporziano zurückkehrte, auf der Arbeiterkolonie im «agro romano» sich aufhalte, um sich über die Lebensweise und die ökonomischen Verhältnisse der Landarbeiter bei diesen selbst direkt zu erkundigen. Seine Fürsorge ist ihm schlecht gelohnt worden!...
König Umberto war am 14. März 1844 geboren und bestieg den Thron am 9. Januar 1878. Wie ich schon oben hervorhob, war er von einer peinlichen Gewissenhaftigkeit. Er erstreckte dieselbe auf ein Gebiet, wo es vielleicht von gutem gewesen wäre, wenn er sie weniger angewendet hätte. Ich meine in seiner Rolle als streng konstitutioneller Herrscher. Ohne im geringsten die ihm von der Verfassung zugewiesenen Kompetenzen zu überschreiten, hätte er in der Regierung seines Landes, besonders was die innere Politik anbelangt, viel kräftiger eingreifen können, als er es gethan hat. Aber er befolgte immer den Rat seines gerade im Amte stehenden Ministerpräsidenten, und dies nicht immer zum Wohle des Landes und zur Hebung der Popularität seines Hauses. War es Mangel an Initiative, übertriebene Ängstlichkeit oder fatalistische Weltanschauung: Thatsache ist, dass er seine Minister immer walten liess, selbst da, wo eine Willensäusserung seinerseits auf die öffentliche Meinung erlösend gewirkt und sein Ansehen vermehrt hätte. Besonders in der jüngsten Zeit, bei der im Parlament herrschenden Obstruktion und Zerfahrenheit, wäre es wünschenswert gewesen, die feste Hand eines Souveräns zu fühlen.
In der auswärtigen Politik hatte Umberto, was auch die ausländischen Zeitungen, je nach ihrer Nationalität sagen mögen, keine vorgefasste Vorliebe und keine vorgefasste Abneigung. Die Verhältnisse waren es, die Italien leiteten, und nach der Okkupation von Tunesien durch die Franzosen war der Anschluss Italiens an Deutschland und Österreich unvermeidlich. Daraus ergaben sich dann auch von selbst die Beziehungen von Italien zu England mit Rücksicht auf Frankreich und dessen Stellung im Mittelmeer.
Ich hatte schon Gelegenheit, mit Ihnen, Herr Bundespräsident, und ändern Mitgliedern des Bundesrates über den gegenwärtigen König zu sprechen. Es ist immer schwer, sich über einen Kronprinzen ein Urteil zu bilden. Aber ich glaube nicht zu irren, wenn ich sage, dass Viktor Emanuel III. einen festem und bestimmtem Willen haben und manifestieren wird als sein Vater. Dass er ein ernster und gebildeter junger Mann ist, davon habe ich mich im Gespräche mit ihm überzeugen können. Im Jahre 1869 geboren, ist er jetzt 31 Jahre alt, d.h. zwei Jahre älter als der deutsche Kaiser zur Zeit, als er den Thron bestieg. Gewisse Leute, die beide Souveräne gut kennen, behaupten, Viktor Emanuel III. könnte die Welt überraschen, wie es seinerzeit Kaiser Wilhelm that. Indessen sind die Verhältnisse ganz andere: in Italien kann der König unmöglich schalten und walten wie der Kaiser in Deutschland; dazu halte ich den jungen König für eine viel überlegtere und ruhigere Natur als den Kaiser. Überdies ist der König, wenn auch zweifellos begabter als sein Vater, gewiss nicht so talentvoll wie Wilhelm II.
Vor sein Volk ist Viktor Emanuel bisher mit seiner vom 2. August 1900 datierten Proklamation und seinem «Tagesbefehl» vom folgenden Tage getreten.
Der Mord in Monza wird meines Erachtens das Gute haben, die Popularität des Hauses Savoyen auch in den Teilen des Reiches zu stärken, wo die Dynastie neu ist und noch keine tiefen Wurzeln geschlagen hat. Das Blut Umbertos ist ein neuer Kitt, der das geeinigte Italien mit dem piemontesischen Königshause verbindet.
Unruhen irgend welcher Art scheinen mir auf absehbare Zeit ausgeschlossen.»
- 1
- E 2200 Paris 1/317.↩