dodis.ch/42718 Le Ministre de Suisse à Rome,
G. Carlin, au Président de la Confédération et Chef du Département politique, E. Millier
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Als ich von Canevaro Abschied nahm, sagte er mir:
«Um Ihnen einen letzten amtlichen Beweis meiner freundschaftlichen Gesinnung zu geben, will ich Ihnen ganz vertraulich mitteilen, dass ich in meinen Instruktionen an unsere Delegation zur Haager Abrüstungskonferenz ausdrücklich betont habe, Italien solle sich der Konstituierung eines ständigen Schiedsgerichtes zur Schlichtung entstehender Streitigkeiten internationaler Natur widersetzen, und zwar im Interesse der kleinern europäischen Staaten, wie der Schweiz, die bei einer solchen Konstituierung notwendigerweise das Kürzere ziehen würden, wie es im ehemaligen Deutschen Reiche mit den Delegierten der Kleinstaaten an weiland dem Bundestag geschah. Diese Frage wird sicherlich im Haag zur Behandlung gelangen, und da ist es gut, wenn Ihre Regierung auf die Gefahr, die von dieser Seite drohen könnte, aufmerksam gemacht wird. Sie kann dann, wenn Sie es für gut hält, schon in ihren Instruktionen an ihre Delegation darauf Bezug nehmen.
Wenn also Italien seine Zustimmung der Konstituierung eines ständigen Schiedsgerichtes, das nicht allen Staaten eine gleiche Stimmenzahl einräumen würde, versagen müsste, so ist es hingegen ganz bereit, zuzustimmen, dass die Konferenz die allgemeinen Grundsätze, nach denen das jeweilen für jeden einzelnen Fall zu bestellende Schiedsgericht errichtet werden soll, ein für alle Male festsetze.»
Das ganz unerwartete Interesse, das plötzlich Italien für die Unabhängigkeit der europäischen Kleinstaaten zeigt, könnte vielleicht meines Erachtens, darauf zurückzuführen sein, dass Italien fürchtet, es möchte bei Errichtung eines ständigen Schiedsgerichtes der Papst als dessen Präsident bezeichnet werden.
Wie dem auch sei, ich wollte nicht ermangeln, Ihnen die Eröffnungen Canevaros in gleicher Weise, wie sie mir gemacht wurden, d. h. als solche streng vertraulicher Natur, zur Kenntnis zu bringen.
Ich füge noch bei, dass wie mir Canevaro sagte, die Meldungen der Zeitungen, die Mächte des Dreibundes hätten sich über ein gemeinschaftliches Vorgehen auf der Haager Konferenz geeinigt, unrichtig sind. Jede einzelne Macht hätte sich im Gegenteil freie Hand Vorbehalten, was wohl nicht anders sein könne. Eine Herabsetzung der Friedens-Präsenzstärke um z.B. ein Drittel sei für Deutschland, Frankreich oder Russland annehmbar, für Italien, dessen Heerwesen weit weniger ausgebildet sei, aber nicht.