Language: German
16.5.1888 (Wednesday)
Memorandum des Departements des Auswärtigen
Memorandum (aide-mémoire) (M)
Das Departement des Auswärtigen beschreibt die Ausgangslage für die Handelsvertragsverhandlungen mit Italien, Österreich-Ungarn und Deutschland nach der Abänderung des Zolltarifgesetzes von 1887. Die Ausgangslage sei schwierig, da Italien mit Frankreich und Deutschland und Österreich gegenwärtig miteinander unterhandeln. Dank Kampfzöllen sollte aber die Schweiz doch neue Verträge erreichen können.

Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. WIRTSCHAFTS-, HANDELS- UND WÄHRUNGSPOLITIK
1. Bilaterale Verhandlungen
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Printed in

Erwin Bucher, Peter Stalder (ed.)

Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 373

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Bern 1986

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Repository

dodis.ch/42352
Memorandum des Departements des Auswärtigen1

EXPOSÉ BETR. DEN STAND DER HANDELSVERTRAGS­UNTERHANDLUNGEN

Über Handelsverträge wird zur Zeit hauptsächlich mit Italien, Österreich-Ungarn, Deutschland und Belgien unterhandelt. Was letztem Staat betrifft, so handelt es sich nur um einen Meistbegünstigungsvertrag an Stelle der täglich kündbaren Meistbegünstigungserklärung vom Jahr 1879.3 Die belgische Regierung hat im vergangenen Jahre einen Vertragsentwurf eingereicht der einiger Modifikationen bedarf. Die hierauf bezüglichen Vorschläge des Bundesrathes werden zur Zeit von der genannten Regierung geprüft. Dringlichkeit ist nicht vorhanden, doch ist anzunehmen dass der neue Vertrag noch im laufenden Jahre perfekt werde.4

Sehr schwierig und komplizirt ist die Sachlage betr. die 3 genannten Nachbarstaaten. Unsere Handelsbeziehungen mit denselben sind so mannigfaltig und die Zölle sind in den letzten Jahren hüben und drüben so gesteigert worden, dass durch blosse Meistbegünstigungsverträge die gegenseitigen Beziehungen nicht befriedigend geregelt werden können. Dem Zustandekommen der Konventionaltarife welche wir anstreben, stehen aber ganz eigenartige Schwierigkeiten entgegen. Jeder der 3 Staaten mit welchen wir unterhandeln, ist zugleich in Unterhandlungen mit ändern, kommerziell und politisch für ihn wichtigeren Staaten begriffen: so Italien mit Frankreich, Österreich-Ungarn mit Deutschland und umgekehrt. So lange sich diese über ihre künftigen Konventionaltarife nicht verständigt haben, machen sie der Schweiz keine wesentlichen Zollkonzessionen, die sie unter sich auszutauschen beabsichtigen. Unserseits aber können wir keine Verträge abschliessen, deren Vortheile nur auf der Voraussetzung beruhen würden dass für diese oder jene unserer Hauptexportartikel in Bälde Zollerleichterungen zwischen den Gegenkontrahenten und dritten Staaten vereinbart u. uns kraft der Meistbegünstigungsklausel zu Gute kommen werden. Schon mehr als ein Mal, und besonders gegenüber Deutschland, hat man sich in solchen Voraussetzungen getäuscht.

Gestützt darauf, dass eine lange Dauer des gegenwärtigen französisch-italienischen Zollkrieges in kommerzieller u.politischer Beziehung unberechenbare Folgen haben könnte, darf auf eine baldige Verständigung zwischen Frankreich und Italien gehofft werden; an eine solche würde sich voraussichtlich sofort auch der Abschluss unseres eigenen Handelsvertrags mit Italien schliessen.

Deutschland u. Österreich wünschen mit einander seit Jahren einen umfassenden Konventionaltarif – wenn nicht eine Zollunion, zu vereinbaren. Unterhandlungen hierüber sind wiederholt begonnen worden und gescheitert, so auch wieder vor einigen Monaten. Momentan herrscht desshalb eine Spannung zwischen beiden Reichen, welche jedes derselben verhindert, der Schweiz Zollreduktionen zu konzediren, von welchen der andere in Folge der provisorischen Meistbegünstigung in erheblichem Masse profitiren könnte. Unter den wichtigsten Interessen welche wir gegenüber Österreich und Deutschland zu verfechten haben, befinden sich aber viele welche auch diese Staaten untereinander sehr nahe angehen. Ferner stehen Österreich sowohl wie Deutschland in einem Meistbegünstigungsverhältniss zu Frankreich welches sie mehr oder weniger hindert, sich gegenseitig oder andern Staaten Vortheile einzuräumen die für Frankreich erheblichen Werth besässen.

Was bei dieser Sachlage bis jetzt gethan werden konnte, ist geschehen. Ein gewisses Minimum von Erleichterungen für den schweizerischen Export nach den fraglichen Nachbarländern dürfte, namentlich auch dank unseren Kampfzöllen5, doch durchgesetzt werden können. Die Unterhandlungen mit Österreich werden zu diesem Zwecke in den nächsten Wochen beginnen. Was Deutschland betrifft, werden die Unterhandlungen im laufenden Jahre ebenfalls wieder betrieben werden und es ist die Annahme erlaubt, dass von beiden Staaten einige Zugeständnisse gemacht werden, welche den Abschluss eines Vertrages ermöglichen.

1
E 13(B)/236. Das nicht Unterzeichnete Memorandum wurde wahrscheinlich von Ph. Willi, dem Chef der Handelsabteilung im Departement des Auswärtigen verfasst.
2
;Laut Stempel des Departements des Auswärtigen.
3
AS 1879, 4, S. 365 und 447.
4
Vgl. die Botschaft des Bundesrates und den Vertragstext in: BBl 1889, 4, S. 319–330.
5
Vgl. die Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend Abänderung des Zolltarifgesetzes vom 26. Juni 1884. Vom 19. November 1886 (BBl 1886, 3, S. 1045–1095) und das Bundesgesetz betreffend Abänderung des Zolltarifgesetzes vom 26. Juni 1884. Vom 17. Dezember. 1887 (BBl 1887, 4, S. 879-894).