Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
IV. NIEDERLASSUNGS- UND ASYLPOLITIK
2. Die schweizerische Asylrechtspraxis
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 283
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E21#1000/131#24646.2* | |
Old classification | CH-BAR E 21(-)1000/131 2557 | |
Dossier title | Auslieferungsvertrag vom 17.11.1888 (von der Bundesversammlung nicht behandelt) und Auslieferungsvertrag vom 10.3.1896, Bd 6-11 (1883–1923) | |
File reference archive | 03.2.2.26 |
dodis.ch/42262
Dem k.u.k. österreichischen Gesandten ist am 23. Febr. in hiefür anberaumter Audienz vom Unterzeichneten die Antwort des Bundesrathes auf die vertrauliche Mittheilung vom 10. November 1884 eröffnet worden.2
Dasselbe geschah am 24. gegenüber dem k. deutschen Gesandten. Heute, den 2. März, fand sich der österr. Gesandte wieder bei dem Bundespräsidenten ein, um ihm im Aufträge seiner Regierung in der Angelegenheit nachfolgende weitere vertrauliche Mittheilungen zu machen.
Es scheine, dass sich in der Schweiz unter dem Eindrücke der jüngsten Anschläge der Anarchisten in London, Frankfurt etc. die Erkenntniss Bahn zu brechen beginne, dass auch ihrerseits eine Abwehr gegen jene verbrecherischen Unternehmungen nothwendig sei, welche nunmehr auch den Boden bedrohten, der bisher ihre Urheber vor fremder Verfolgung geschützt habe.
Es lasse diess Seitens des Bundesrathes ein Eingehen auf die von Österreich gestellten Anträge hoffen. Die k. Regierung verlange nichts Anderes, als gleichmässige Vertheilung der Gerechtigkeit. Angriffe auf die Person des Staatsoberhauptes und der Mord sollen nicht straflos ausgehen dürfen, wenn sie unter dem Deckmantel von politischen Motiven an Personen in öffentlicher Stellung verübt werden; es solle ausgesprochen werden, dass diese Verbrechen unter allen Umständen als gemeine behandelt werden und auf den Schutz des Asyls keinen Anspruch haben.
Die Theorie des Asylrechts habe nach und nach unter dem Einflüsse der von den Flüchtlingen selbst aufgestellten Doctrinen und unter den seither gänzlich veränderten Umständen eine Ausdehnung erfahren, welche über die in der Natur der Sache gelegenen Grenzen hinausgehe. In der Wissenschaft sowol als in der öffentlichen Meinung sei bereits ein wesentlicher Umschwung und das Bedürfniss nach entsprechender Einschränkung zu Tage getreten.
Die k.u.k. Regierung erkenne gerne an, dass die Schweiz, namentlich in der letzten Zeit bestrebt gewesen sei, dem Missbrauch des Asylrechts entgegenzuwirken; auch habe der frühere Bundespräsident noch jüngst dem österr. Gesandten die Versicherung gegeben, dass keineswegs die Absicht bestehe, wegen Verbrechens des Mordes, unter welchen Umständen er auch verübt werde, die Auslieferung zu verweigern.3
Auf den Vorbehalt jedoch, die Auslieferung in jedem einzelnen Falle von der Beurtheilung über den politischen Character der Handlung abhängig zu machen, könne die k. u. k. Regierung schon principiellnicht eingehen, da sie den Mörder unter keinen Umständen als politischen Verbrecher gelten lassen könne. Nur wenn dieser Grundsatz anerkannt und vertragsmässig festgelegt werde, sei eine internationale Abwehr gegen die internationale Organisation des gemeinen Verbrechens möglich.
Der Ernst der allgemeinen Lage fordere zu Massnahmen gegen eine Bewegung heraus, welche sich nicht gegen einen einzelnen Staat, sondern gegen die gesellschaftliche Ordnung in allen Staaten richte. Solchen internationalen Bestrebungen gegenüber würden Vereinbarungen internationaler Natur immer nothwendiger. Die Schweiz selbst habe sich ja trotz ihres vorsichtigen Verhaltens nicht davor bewahren können, dass auch sie zum Gegenstand des Angriffs von Seite Jener werde, denen sie bisher eine Heimstätte gewährt habe.
Das Verlangen der k.u.k. Regierung sei ohne diess mit Rücksicht auf die von der Schweiz erhobenen Bedenken auf das unerlässlichste Mass reducirt worden und gipfle schliesslich in dem Satze, dass beim Verbrechen des Mordes der Schuldige nicht seinem ordentlichen heimathlichen Richter entzogen werden solle, der in den meisten Fällen allein im Stande sei, ihn der verdienten Strafe zuzuführen.
Diess sei nicht ein vereinzeltes Postulat der k.u.k. Regierung, sondern es werde von ändern massgebenden Regierungen als ein Minimum dessen angesehen, was das staatliche Interesse erfordere und es würde ihr im eigenen Interesse der Schweiz besser erscheinen, der von ihr angebrachten gemässigten, in der Rechtsidee begründeten Anforderung lieber schon jetzt nachzugeben, ehe sie, wenn neue Unthaten und Catastrophen die Situation noch verschlimmern, in die Lage gebracht würde, unter dem Drucke anderer Verhältnisse oder der Verstimmung mehrer Mächte nachzugeben.
Die gegenwärtige Sachlage könne nicht unter demselben Gesichtspunkte betrachtet werden, wie seinerzeit, als es sich um politische Vergehen im eigentlichen Sinne des Wortes gehandelt habe, welche nur in jenem Staate strafbar seien, gegen dessen Institutionen sie gerichtet erscheinen, in dem Zufluchtsstaate aber nach dessen Gesetzgebung überhaupt kein Delict bildeten. Derzeit handle es sich um das gemeine Verbrechen, welchem der politische Character nur mit Unrecht zugesprochen werden könnte und welches, wenn es ihn auch hätte, mit Rücksicht auf seine Verabscheuungswürdigkeit durch denselben nicht geschützt zu werden verdiene.
Es sei der verbrecherische Kampf einer Verbindung gegen Alles, was bisher den Kitt der gesellschaftlichen Existenz bilde und dieser Kampf werde mit Mitteln geführt, welche den Begriff der Humanität geradezu auslöschen. Auf Individuen, welche in dieser Weise nicht eine Änderung, sondern nur den Umsturz der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung herbeizuführen bestrebt seien, die das Asylrecht rechtfertigenden Principien anzurufen, hiesse die letztem zum Deckmantel für die abscheulichsten Verbrechen missbrauchen lassen. Auch könne die Regierung nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass es ebenjene politischen Flüchtlinge gewesen seien, welche aus der sicheren Stätte des Asyls ihre wahnwitzigen Zerstörungstheorien verbreitet und endlich die Mordgesellen erzogen und ausgesandt hätten, deren Thaten nun die civilisirte Gesellschaft mit Schrecken erfüllen.
Der Gesandte hat den Auftrag, die gemachte Anregung im Sinne der obigen Ausführungen in freundschaftlicher, aber bestimmter und eindringlicher Weise wieder zur Sprache zu bringen und dahin zu wirken, dass der k.u.k. RegfierungJ nunmehr ehestens eine, wie sie hoffen wolle, befriedigende Erwiederung auf ihre Vorschläge zu Theil werde.
Nachdem inzwischen, wie gemeldet, der k. österr. Gesandtschaft die hierseitige Erwiederung auf die vertraul. gestellten Anträge in ebenfalls vertraulicher Weise eröffnet worden ist, wird neu abzuwarten sein, ob und zu welchen weitern Schritten die österr. Reg[ierung sich veranlasst sehen werde.
Im übrigen beantragt der Unterzeichnete, auch diese Relation dem Justiz- und Polizeidepartement zu überweisen.4
- 1
- Bericht: E 21/24646, Bd. 1.↩
- 2
- Vgl. Nrn. 277 und 281.↩
- 3
- Anlässlich der Bundesratssitzung vom 9. 3.1885präzisierte Welti dies dahingehend: [...] Er [...] habe den ausdrücklichen und bestimmten Vorbehalt gemacht, dass die Schweiz das Recht beanspruche, in jedem einzelnen Falle zu entscheiden, ob ein politisches Verbrechen vorliege oder nicht.[...] (E 1004 1/140, Nr. 1065).↩
- 4
- Der Bundesrat entschied antragsgemäss.↩
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